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Joschka, Dani und Dan

Die Karl Marx Buchhandlung ist ein Kind der Studentenbewegung in Frankfurt. Unter den Gründungsmitglieder finden sich prominente Namen: Daniel Cohn-Bendit, Joschka Fischer, Tom Königs und Jonny Klinke. Zum 35. Jubiläum waren einige von ihnen zum Erinnern, Diskutieren und Feiern in die Jordanstraße gekommen. So auch Antiquaritätsbegründer Joschka Fischer.

Von Jochanan Shelliem | 06.02.2006
    "Wir schließen nicht" hätte das Motto der Veranstaltung sein können, im Dienst der Dialektik entschieden sich die Kommanditisten aber für ein "35 Jahre und noch mehr". Und wie gewohnt, wurde das Feiern auf die Zeit nach den Vorträgen, Diskussionen und Demonstrationen vertagt, letztere zwei fielen an diesem Sonntag aus, stattdessen hielten der langjährig Kommanditist und Antiquariatsbegründer Joschka Fischer und der prominente Historiker Dan Diner, dessen Jerusalemer Bibliothek der Karl Marx ihren Grundstock verdankt, kleine Referate und Daniel Cohn Bendit moderierte.

    "Ich habe heute die Frauenrolle, ich bin Moderator und zwischen zwei Professoren ist es immer für einen aktiven Politiker ein Vergnügen, moderieren zu können. "

    Gezeugt worden war die Buchhandlung 1970 ganz im Stil der neuen Zeit mit einem Flugblatt. Der damalige AStA Vorsitzende Zeitinger hatte vorgeschlagen, eine Buchhandlung zur Versorgung all der Gruppen und Gruppierungen, die sich aus dem SDS abgespaltet hatten, zu gründen. Die einzige, die es 1970 gab, war damals das Libresso am Frankfurter Opernplatz. Der Geschäftsführer, so Helmut Richter, hieß Heiner. Heiner Hügel suchte sich nun für seinen mit Kaffee und Raubkopien handelnden Buchladen professionellen Rat. Denn der zu den Marxisten Leninisten abgedriftete Sohn eines Zahnarztes, den es bald zur gesinnungsmäßigen Vervollkommnung in die Tachofabrik an der Bockenheimer Warte verschlug, verstand nichts vom Buchhandel und so kam Helmut Richter vom Verlag Neue Kritik dazu. Mit dem Vertrieb der Raubdrucke, also den Adorno-Vorlesungen und anderen unlizensierten Nachdrucken von Horkheimer, später Lehrbüchern zur Bioenergetik und Bestellern wie Angst im Kapitalismus von Dieter Duhm, wurden dann neue Sonderdrucke finanziert. Die Revolution fraß damals ihre Bücher vor dem Sit in.

    Leider verliebte sich die Freundin eines Kommanditisten im libresso in den Falschen und das libresso wurde zur Buchhandlung der ML. Also besann man sich der Restbestände des Verlages und das Fräulein Barbara Brinkmann, Lektorin machte sich mit Herrn Joseph Fischer, Lektor und Treuhänder des Verlages Neue Kritik auf den Weg zum Notar Sommer. Das war am 5. Februar 1971.

    Was folgte waren Zwischenlösungen wie die Behausung in einem Keller in der Unterlindau, wo "beim Black Panther Solidaritätskomitee noch Platz frei war", wie Helmut Richter sagt. Kein Mensch kam zu den Buchhändlern in diesem Kellerverschlag, man zog nach Bockenheim. Und in der Jordanstraße zwischen Szenekneipen, wie dem Tannebaum, mit dem ersten Ökoladen im Hinterhof, der Distel und dem Hörsaal VI, wo Angela Davis auftrat und Arthur Miller auch, fand man endlich ein adäquates Ladenlokal für Bücher und Faksimile und die Kaffeemaschine auch. Espressomachen war damals noch eine qualifizierte Tätigkeit. Harry Oberländer hieß der damalige Red Adair. Viel Geld hätte die Karl Marx gemacht, wenn die Kommanditisten nicht alle Investitionen in neue Bücher, Projekte und Raubdrucke investiert hätten. So gab’s statt Geld, hitzige Diskussionen und viel Arbeit.

    Als Dany, der rothaarige Kindernarr, genug hatte von antiautoritären halslosen Gören erkor er die Jordanstraße 11 kurzzeitig zu seinem Ruhesitz. Joschka erholte sich hier vom Kinderkriegen, vom Taxifahren und seinen Beziehungskrisen und Tom Koenigs und mancher der nur in Insiderkreisen eine Größe ist, wie die Karl Piberhofer, heut irgendwo in Strassburg im Europaparlament, gönnten sich ihr Sabbatical. In der Karl Marx Buchhandlungen duzte man sich, hier wurde zwar geklaut, aber auch aufgepasst und irgendwer hat den Buchladen dann zum Zentralbüro der Europäischen Linken ernannt. Im Gegensatz zu dem PoLiBuLa und anderen Partei-gebundenen Papierhandlungen gab es in der von wechselnden Kollektiven geprägten Karl Marx Buchhandlung weder Berührungsängste, noch Scheuklappen jedweder Art. Genossen Lotta Continua waren mit ihren Druckerzeugnissen wie Schweine mit Flügeln genauso anzutreffen, wie das antiautoritäre Bilderbuch von F.K. Waechter und die letzte Nummer der Lateinamerika Informationen, die schon vor dreißig Jahren auf die faschistoide Politik der deutsch-chilenischen Colonia Dignidad hinwies.
    Damals fraßen die Kinder der Revolution wie gesagt, zunächst mal Bücher bevor es Müsli gab. Phoenix, der Selbstversorgungsvorläufer der Ökobewegung traf sich an der Espressomaschine in der Karl Marx, iranische Dissidenten diskutierten die Rückkehr von Chomeini nach Teheran. Die Buchhandlung wurde zu einem Durchlauferhitzer und gründete Ableger. Der Nachbarkeller wurde entmüllt, rein kamen Joschka und alles was sich an antiquarisch bibliophilem verkaufen ließ ging an den Erstausgaben von Ernst Jünger und dem Kupferstich von René Descartes vorbei.

    In der Karl Marx fanden Vorträge und Lesungen statt, sie war der Solar Plexus der Spontis bis irgendwer die Grünen und jemand anders das Internet erfand. Seither ist es stiller geworden in der Jordanstraße, die Autorenbuchhandlung – ein Ableger der Karl Marx Buchhandlung – fiel unter den unabhängigen Buchhandlungen am Main schon nicht mehr auf. Das Internet machte dem Publikumsverkehr des Antiquariats der Karl Marx schließlich den Garaus.

    "Und was lag näher in dieser Zeit als den Abgesang auf das Antiquariat mit dem von Joschka Fischer gleichzusetzen, als Leitfigur der Grünen."

    Die Buchhandlung aber gibt es immer noch. Das Kollektiv und seine Kommanditisten beantwortet alle Fragen zur Zukunft der Politik wie bei der Geburtstagsmatinée am Sonntag vielstimmig, hochkarätig und mit einem eindeutigen Fragezeichen auf der Höhe der Zeit. Doch das ist eine andere Geschichte.