Donnerstag, 18. April 2024

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Journalist Konrad Heiden
Ein scharfsinniger Beobachter des NS-Regimes

Der Journalist und Schriftsteller Konrad Heiden warnte schon lange vor der Machtübernahme der Nazis vor ihren skrupellosen Machenschaften - doch die Öffentlichkeit ignorierte ihn. Stefan Aust hat dem lange vergessen Heiden mit seiner Biografie nun ein Denkmal gesetzt.

Von Michael Kuhlmann | 05.12.2016
    Eine der letzten Aufnahmen von Adolf Hitler vom 20.03.1945 zeigt ihn bei der Auszeichnung von Mitgliedern der Berliner Hitler-Jugend, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges in Volkssturmeinheiten zusammengefaßt wurden.
    Adolf Hitler zeichnet Mitglieder der Berliner Hitler-Jugend aus, die zum Ende des Zweiten Weltkriegs in Volkssturm-Einheiten zusammengefasst wurden. (picture alliance / dpa / Heinrich Hoffmann)
    Dass Anfang 1944, mitten im Krieg also, in den USA eine Biografie über Adolf Hitler erschienen war, davon konnte man sogar in Deutschland erfahren. Denn im Archiv der Londoner BBC ist ein Manuskript erhalten: kein anderer als Thomas Mann sprach im Radio von diesem Buch:
    "Es ist von Konrad Heiden, einem emigrierten deutschen Schriftsteller, der früher schon eine lehrreiche Geschichte des Nationalsozialismus geschrieben hat und der nun, unter Benutzung neu zugänglich gewordenen Materials, sein Bildnis des übelsten Abenteurers der Geschichte der Welt noch einmal in Lebensgröße und voller Anschaulichkeit vor Augen führt."
    Ein Raubtier lauert vor dem Schafstall
    Seit frühester Zeit hatte Konrad Heiden die Nationalsozialisten beobachtet. Als Jurastudent in München war er Anfang der zwanziger Jahre Zeuge ihrer Versammlungen – engagierte sich mit Flugblättern und kleinen Kundgebungen gegen die braune Truppe. Auch mit den Reden eines gewissen Adolf Hitler war Heiden schon 1921 vertraut. Er befand:
    "Alles Unsinn, alles gelogen, und zwar dumm gelogen, und überhaupt alles so lächerlich, dass jeder, so meinte ich, das doch sofort einsehen müsse. Stattdessen saßen die Zuhörer wie gebannt. Und manchem stand eine Seligkeit auf dem Gesicht geschrieben, die mit dem Inhalt der Rede schon gar nichts mehr zu tun hatte, sondern das tiefe Wohlbehagen einer durch und durch umgewühlten und geschüttelten Seele widerspiegelte. In gesünderen Zeiten wäre Hitler vielleicht Sektengründer, Hypnotiseur oder Goldmacher geworden."
    Doch in der Weimarer Republik wurde Hitler zur politischen Figur. Und Heiden bilanzierte: "Das wahre Programm des Raubtiers sind seine Zähne. Die Tür zum Schafstall steht weit offen."
    Kontakte zu NS-Intimfeinden Hitlers
    Stefan Aust behandelt diese Epoche in seiner Heiden-Biographie auf zweierlei Art: Zum einen schildert er den Aufstieg Hitlers und der Nationalsozialisten aus Konrad Heidens Perspektive; zum anderen beschreibt er natürlich den Werdegang seines eigentlichen Protagonisten. Heiden wurde 1923 Korrespondent der liberalen "Frankfurter Zeitung" in München; später wechselte er nach Berlin. Nach Austs Erkenntnissen muss er Kontakt zu einem zuverlässigen Informanten in der NSDAP gepflegt haben – wahrscheinlich zu Otto Strasser, einem Intimfeind Hitlers. Immer wieder befasste sich Konrad Heiden in seinen Artikeln mit der Partei. Etwa als Hitler dort das Führerprinzip durchsetzte.
    "Erst der Führer, dann die Truppe. Immer schärferer Schliff der Partei zur furchtbaren Waffe des Machtkampfes. Zurückdrängung aller menschlichen Werte, die diesem Machtkampf nicht dienen. Pflege des gehorsamen Mittelmaßes, Verkümmerung persönlicher Eigenart, Herdenzucht. Dank solcher Prinzipien erringt Hitler mit seiner Partei die Macht über ein großes, geistig reiches Volk. Er hat das deutsche Volk meisterhaft verdorben."
    Hassobjekt für die Machthaber
    Heiden hatte schon 1930 davor gewarnt, die Nazis zu unterschätzen; wenn man Hitler aber entschlossen und kraftvoll entgegentrete, dann werde er zurückzucken. Dass der Diktator selbst keine Skrupel hegte, war spätestens klar, als er 1934 innerparteiliche Gegner um den SA-Führer Ernst Röhm ermorden ließ. Konrad Heiden trug Details der blutigen Nacht zusammen; und er fragte publizistisch: "Welche Verantwortung trägst du, Adolf Hitler?" Gerade mit Blick auf die Anhänger der Partei. Ihnen schrieb Heiden eine kommende aktive Rolle zu, Hitler weiterhin in Duz-Form anredend:
    "Sie werden die Ämter an sich reißen, die Gelder des Staats und das Hab und Gut ihrer Opfer in die Tasche stecken, ihre Feinde zu Tode prügeln, von Zeit zu Zeit ein Blutbad anrichten – und sie erwarten, dass du ihnen die Verantwortung dafür abnehmen wirst. Du darfst ihnen sogar die strengsten Befehle dazu geben – aber lass es dir nicht einfallen, ihnen etwas anderes zu befehlen. Du bist ihr Führer zum Erlauben, nicht zum Verbieten. Sie werden tun, was ihnen beliebt, solange einer die Verantwortung dafür trägt, den niemand zur Verantwortung ziehen kann."
    Wieder aktuell: Nationalismus und Realitätsverweigerung
    Kein Wunder, dass ein solch unerbittlicher Beobachter den Hass der Machthaber auf sich zog. Stefan Aust schildert Heidens jahrelange Odyssee im Exil: Unter abenteuerlichen Umständen gelangte er schließlich 1940 in die USA. Dort wurde er bald zum geachteten Chronisten der deutschen Barbarei. Viele US-Leser spürten offensichtlich, wie scharfsinnig dieser Publizist seine Schlüsse zog. So kann Stefan Aust mit Zitaten belegen, dass Heiden vor dem Massenmord an den Juden bereits 1938 gewarnt hatte. Als er 1966 an einer Parkinson-Erkrankung starb, erschien in der "New York Times" ein ausführlicher Nachruf; die deutschen Zeitungen allerdings beließen es bei kurzen Notizen. Stefan Aust hat Konrad Heiden ein gebührendes Denkmal gesetzt; und gerade in einer Zeit, in der die von Heiden beobachtete Mischung aus Nationalismus und bewusster Realitätsverweigerung wieder Blüten treibt, ist dieses Buch wertvoller denn je.
    Einen Mangel weist der Band auf; der ist allerdings umso ärgerlicher: Zwar hat Aust eine Fülle von Zitaten aus Heidens Schriften zusammengetragen. Doch nur in den seltensten Fällen wird klar, wann genau Heiden die eine oder andere Beobachtung veröffentlicht hat. Es wäre aber aufschlussreich zu wissen, was man zu welcher Zeit in Deutschland davon hätte lesen können. Auch ein Anmerkungsapparat stünde dem Buch gut an; schließlich hat Aust verdienstvolle Pionierarbeit geleistet. Für das Fachpublikum hätte diese Biographie dann noch einmal deutlich mehr Wert. Denn was dieser Konrad Heiden geschrieben hat, das könnte man im einen oder anderen Fall womöglich Aufzeichnungen eines Sebastian Haffner oder vielleicht sogar eines Harry Graf Kessler an die Seite stellen. Oder, wie Thomas Mann 1944 über Heidens Hitler-Biographie befand:
    "Es ist ein Dokument ersten Ranges. Es wird bleiben und noch späteren Geschichtsforschern und Moralisten zum Studium des Unfasslichen dienen, das im zweiten Drittel des zwanzigsten Jahrhunderts auf Erden möglich war."
    Stefan Aust: "Hitlers erster Feind. Der Kampf des Konrad Heiden"
    Rowohlt Verlag, 320 Seiten, 22,95 Euro.