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Journalistenausbildung in der DDR
Das "Rote Kloster" von Leipzig

Wer in der DDR Journalist werden wollte, lernte sein Handwerk an der Universität Leipzig. Die Ausbildung galt als hervorragend, und das Ziel war klar definiert: In den Medien die Wahrheit darstellen – das allerdings im Sinne der Einheitspartei SED.

Von Jan Schilling | 03.10.2017
    Das ehemalige Wilhelm-Wolff-Haus, auch bekannt als das "Rote Kloster" für die Leipziger Journalistik.
    Nicht nur die rötliche Farbe brachte den Spitznamen: das Leipziger "Rote Kloster" (picture-alliance/ ZB / Jan Woitas)
    "Mephisto 97.6. Direkt. 31. Mai 1995 – hier ist Mephisto, das Uniradio. "
    Noch immer sendet Mephisto 97.6. Hunderte Journalisten haben hier ihr Handwerk gelernt, Beiträge geschnitten und Sendungen moderiert. Andreas Wolf kennt sie alle. Als Studiobereichsleiter ist er immer dann gefragt, wenn es um Technik geht. Und das schon seit 1975, allerdings: unter anderem politischen Vorzeichen. "Damals angefangen im 'Roten Kloster'. Das hatte ja eine doppeldeutige Bedeutung, weil das Gebäude war so rötlich, vom Putz. Und es war natürlich auch von der Ausrichtung so, weil dort Parteijournalisten ausgebildet wurden."
    Parteijournalisten? Das hörten die Verantwortlichen in der DDR aber nicht gerne. "Es ist der Auftrag des ganzen Volkes, insbesondere des werktätigen Volkes, insbesondere der Arbeiterklasse. Er muss die Wahrheit darstellen, so gut, so richtig wie er sie sehen kann mit den Augen des Volkes und muss dann also sie auch so darstellen, dass sie verbessert, verändert werden kann."
    Hermann Budzislawski über den Typus des Sozialistischen Journalisten. Budzislawski war Dekan der 1954 gegründeten Fakultät für Journalistik an der Universität Leipzig und prägend für die Journalistenausbildung in der DDR.
    Propagandist für "Politik von Partei und Regierung"
    Voraussetzung war ein Volontariat und: Zuverlässigkeit als Staatsbürger. Das Studienziel war klar, erklärt Jochen Staadt, Projektleiter beim Forschungsverbund der SED der TU Berlin. "Ein Journalist hatte einen parteilichen Auftrag, den er in den Medien verwirklichen sollte. Entsprechend gab es neben der Fachausbildung in der Sektion Journalistik eben auch eine straffe ideologische Schulung, der dort eingestellten und zur Ausbildung gelangten Studentinnen und Studenten."
    Im Vorlesungsverzeichnis von 1974 steht über den Sozialistischen Journalisten, dass es "sein Bedürfnis ist, als Agitator und Propagandist für die Politik von Partei und Regierung aufzutreten". Die Sektion Journalistik, wie die Fakultät ab 1968 genannt wird, war dann auch der direkten Aufsicht der Abteilung "Agitation und Propaganda" des Zentralkomitees der SED unterstellt. Die Leipziger Studenten wurden zudem sehr genau von der Staatsicherheit beobachtet, von Dozenten und Kommilitonen bespitzelt.
    "Außerdem hat das MfS seine eigenen Spezialisten dorthin delegiert. Beispielsweise die MfS-Leute, die in der Spezialabteilung für die Überwachung der westlichen Korrespondenten zuständig waren, wurden in Leipzig ausgebildet. Das waren dann sehr gut ausgebildete Journalisten, wenn sie in Berlin im MfS tätig wurden."
    Anschluss nach der Wiedervereinigung
    Straffe ideologische Schulungen, Funktionärsausbildung und Eliteschule, der Volksmund prägte schnell den Begriff "Rotes Kloster" für die Leipziger Journalistik. Der Begriff ist problematisch, legt er den Fokus stark auf die Gesinnung. Wer in den DDR Journalist werden wollte, der hatte nicht viele Möglichkeiten, die ideologische Schulung war zwingend. Abgesehen davon: Die Ausbildungssituation war traumhaft. Studiobereichsleiter Andreas Wolf erinnert sich, neueste Technik, ein professionelles Hörfunkstudio, ein semiprofessionelles Fernsehstudio und genügend Personal. "Für jedes Genre im Hörfunk und im Fernsehfunk gab es einen wissenschaftlichen Mitarbeiter. Der eine betreute die Nachrichten, der andere Dialogformen im Hörfunk und so weiter und so fort. Das wurde in Kleingruppen mit den Studenten ganz individuell gelehrt und natürlich mit praktischen Übungen untersetzt."
    Die solide Ausbildung ist einer der Gründe, dass viele der ehemaligen Studierenden des "Roten Klosters" auch im wiedervereinigten Deutschland schnell Anschluss fanden. Das bestätigt Jochen Staadt vom Forschungsverbund SED. Und so ganz unbekannt war den gut 5.000 Absolventen der Sektion Journalistik der Klassenfeind ja auch nicht. "Da gab es so 'Kalte Krieger' auf der Westseite, wie halt der Herr Löwenthal, wenn ich mich so recht erinnere, der so gegen den Osten geschossen hat. Da hatten wir also die Aufgabe solche Sendungen auch aufzuzeichnen und unsere Studenten wurden dann daran auch ausgebildet, wie sie dagegen argumentieren gegen den Klassenfeind, so hieß es ja damals."
    Die Zeiten des Klassenkampfes sind vorbei. Das Institut für Journalistik kommt nicht zur Ruhe. Nach drei Systemwechseln steht nun ein neuer Umbau an. Die einen prophezeien das Ende der Journalistik in Leipzig, die anderen sprechen von Modernisierung. Andreas Wolf wird einfach weiter junge Radiomacher betreuen, damit es morgens um zehn Uhr heißt: "Mephisto 97.6. Direkt."