Donnerstag, 28. März 2024

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Journalistische Überzeichnungen
Arabisch als Pflichtfach?

"Lügenpresse"- das Unwort des Jahres 2014 hat noch immer Konjunktur. Auf keiner Pegida-Demo fehlt es. So pauschal und unbegründet dieser Vorwurf ist: Immer wieder geschieht es tatsächlich, dass einzelne Journalisten Zitate absichtlich falsch verstehen, Aussagen aus dem Zusammenhang reißen. Ein aktuelles Beispiel.

Von Cornelie Ueding | 05.02.2016
    Vorgestern Nacht konnte man im Netz den Journalismus der strategischen Zuspitzung anschaulich verfolgen. Der Informatik-Professor Thomas Strothotte hatte in der "Zeit" ein paar Überlegungen angestellt, welche Chancen sich für uns durch die Einwanderer und die Anerkennung ihrer ganz anderen Kulturen ergeben. So eröffne zum Beispiel "das gleichzeitige Erlernen zweier Sprachen ganz neue Möglichkeiten". Also müsse man die Schulen den neuen Verhältnissen anpassen. Dabei hat er nochmals die alte Idee ins Spiel gebracht, Englisch als gemeinsame Schulsprache für alle Kinder zu wählen, ergänzt um den neuen Vorschlag, dem Arabischen eine höhere Gewichtung einzuräumen.
    Der Verfasser, selbst kanadischer Staatsbürger, führte einige mehr oder weniger überzeugende Modelle des mehrsprachigen Unterrichts an und skizzierte unter anderem die Idee, "Deutsch und Arabisch für alle Schülerinnen und Schüler verpflichtend bis zum gemeinsamen Abitur" zu lehren. So würden wir anerkennen, "ein Einwanderungsland und eine mehrsprachige Gesellschaft" zu sein - und darüber hinaus ermögliche dies den Zugang zur arabischen Welt.
    Nun weiß man, dass in Deutschland neben religiösen Fragen nur das Konfliktfeld Schule ein vergleichbar hohes Erregungspotenzial freizusetzen vermag. Und genau hier beginnt der zweite Akt des kleinen Dramas der sprachlichen Ver(w)irrungen: aus der facettenreichen Palette der Möglichkeiten pickte der Sender NTV genau einen Begriff heraus. Den der Pflicht! Und entfesselte punktgenau einen kleinen Skandal – schnellstens anberaumte Leserbefragung inklusive. Unter der nun ungleich knackigeren Überschrift: "Experte fordert Arabisch als Pflichtfach" an allen deutschen Schulen statt des moderaten Vorschlags "Sollten unsere Kinder nicht Arabisch lernen?" stand plötzlich das Gespenst der vorauseilenden kulturellen Auslöschung im Raum. Das weckt Assoziationen an den französischen Autor Michel Houellebecq, der in seinem Roman "Unterwerfung" bereits den Albtraum einer vollständigen Islamisierung Frankreichs polemisch ausmalte.
    Zielsichere Verzerrungen
    Man kann sich also unschwer vorstellen, was in der ohnehin aufgeheizten Diskussion unserer Tage ein Vorschlag wie dieser an Ängsten und Emotionen auszulösen vermag.
    Schnell kursierten im Netz satirisch gemeinte Ergänzungsvorschläge: man solle dann doch die Schulen gleich ganz schließen und die deutschen Schüler in die Islamschulen stecken. Und natürlich war ebenso schnell und ernst gemeint vom Ausverkauf der abendländischen Kultur, von Selbstpreisgabe und freiwilliger Unterwerfung die Rede.
    Bleibt die Frage, ob die Sensations-Journalisten – eine nicht ganz zu Unrecht gefürchtete Spezies – sich immer der Tragweite und Brisanz ihrer diversen Zuspitzungen bewusst sind. Sollten sie es sein – wäre das Ganze letztlich ein ego-manisches Spiel mit dem Feuer der Aufmerksamkeit. Sollten sie es nicht sein, wäre es Zeichen einer sehr mittelmäßigen Qualifikation im Schulfach: Medienkompetenz.
    Diese zielsichere Verzerrung bedient und bestätigt Vorurteile. Dabei wird unterschlagen, dass Strothotte zunächst einmal nur Vorschläge zur Diskussion stellt und damit wohl Bewegung in eine ziemlich festgefressene Situation bringen wollte. Der gravierendste Mangel seiner Ausführungen liegt darin, dass er wie en passant vor allem die Vorteile für uns, die gesteigerten ökonomischen Erfolgsaussichten durch das Erlernen des Arabischen in Aussicht stellt. Mit keinem Wort aber erwähnt er das eigentlich entscheidende Potenzial zweisprachiger Erziehung: den jeweils anderen besser, genauer zu verstehen, Unterschiede zu achten und mögliche Missverständnisse im Dialog auszuräumen.