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Jüdische Politiker
Zwischen den Stühlen

Es ist eine Minderheit: Ganze 200.000 Juden gibt es in Deutschland, trotz jüdischer Zuwanderung aus den GUS-Staaten. Nur wenige sind in der Politik aktiv. Wer sich in Parteien engagiert, eckt oftmals an – auch aufgrund der Religion. Denn jüdische Mandatsträger gelten als besonders sensibel, wenn es um Judenhass geht, um Israel – oder um Flüchtlinge.

Von Jens Rosbach | 17.05.2016
    Abgeordnete verfolgen am 02.03.2016 eine Rede in der Bürgerschaft im Rathaus in Hamburg. Die Bürgerschaft befasst sich heute unter anderem mit der Flüchtlingspolitik und dem Schlick im Hamburger Hafen. Foto: Daniel Reinhardt/dpa (ACHTUNG: Aufnahme mit dem Objektiv «Fischauge»)
    Hamburgische Bürgerschaft - die stellvertretende Fraktionschefin der CDU ist jüdischer Herrkunft. (Daniel Reinhardt)
    Karin Prien ist 50 Jahre alt und stellvertretende Fraktionschefin der CDU – eine angriffslustige Oppositionspolitikerin in der Hamburgischen Bürgerschaft:
    "Herr Präsident, meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben naturgemäß in der Flüchtlingspolitik nicht in allen Fragen die gleiche Auffassung."
    Prien attackiert gern ihre Landesregierung der Hansestadt – etwa für die Zustände in den Asyl-Unterkünften der Hansestadt. Oder für den Reformstau bei der Lehrerausbildung – die Politikerin scheut nicht das Rampenlicht. Was die Christdemokratin bislang verschwieg: Sie ist jüdischer Herkunft.
    "Also meine Mutter hat mir sehr früh nahe gelegt, über mein Jüdischsein oder meine jüdische Abstammung nicht zu sprechen und hat auch schon zum Ausdruck gebracht, dass sie jedenfalls Angst hätte, das öffentlich zu sagen. Und dass es eben noch immer sehr viele Menschen in Deutschland – wir reden jetzt über die 60er und 70er Jahre – gibt, die antisemitisch sind. Ja, das waren intensive Gespräche, die wir zu Hause geführt haben."
    Eine Verpflichtung, sich zu engagieren
    Karin Prien – von Beruf Anwältin – berichtet erstmals öffentlich von ihren Verwandten, die während der Shoah verfolgt wurden. Für die Jüdin war das Familienschicksal eine Verpflichtung, wachsam zu sein und sich zu engagieren. Sie wurde Klassensprecherin und ging in die Junge Union. Zu ihrem zentralen Anliegen wurde das Engagement für Minderheiten.
    "... dass wir miteinander dafür einstehen, dass die Würde des Menschen unantastbar ist und zwar jedes einzelnen Menschen – egal ob Hamburger, ob Flüchtling, Deutscher oder Ausländer, das spielt alles überhaupt keine Rolle!"
    In der Hamburger CDU-Fraktion eckt die Abgeordnete deswegen mitunter an.
    "In dem Zusammenhang mit den Ereignissen in der Silvesternacht gibt es viele Ängste, viele Verunsicherungen. Aber es gibt eben auch Menschen, die daraus einen pauschalen Generalverdacht etwa gegen Menschen muslimischen Glaubens äußern. Und das ist schon immer etwas, wo ich mich immer dagegen verwehre."
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    Der Münchener Marian Offman, ein Jude im Stadtrat für die CSU (imago stock&people)
    Ähnliche Ziele verfolgt der Münchner Marian Offman – ein Jude, der sich in der CSU engagiert. Der 68-jährige Stadtrat setzt sich ebenfalls für Flüchtlinge ein. So erinnert er seine Parteikollegen immer wieder daran, dass Juden während des Holocaust auch Verfolgte waren. Im vergangenen Herbst, als die erste Flüchtlingswelle aus Syrien und dem Irak nach Deutschland kam, stand Offman am Münchner Hauptbahnhof und hieß die Vertriebenen willkommen. Demonstrativ.
    Warum in einer Unionpartei oder warum gerade nicht?
    "Ja, es gibt in der CSU schon Kollegen, die mich als linksradikal bezeichnen. Ich nehme das so hin, ohne dass ich jetzt sage: Du bist rechtsradikal (lacht). Aber natürlich, da gibt’s auch in der Fraktion oft Situationen, wo ich dann fast alleine da stehe."
    Warum ist Offman ausgerechnet in die Christlich-Soziale Union eingetreten?
    "Ich glaube, dass die jüdische Bevölkerungsgruppe in der CSU sich in vielen Bereichen wiederfindet: in der Anerkennung der Religion, Anerkennung des Glaubens – und auch in der Akzeptanz dessen, was das Judentum für das Christentum ausmacht. Dass im Grunde sich das Christentum sich vom Judentum ableitet – Christlich Soziale Union. Also ich glaube, dass das, was ich mache, richtig ist."
    Was für die einen Juden ein Grund ist, Unionsmitglied zu werden, das ist für andere Juden ein Grund, dies gerade nicht zu tun. Etwa für Vered Zur-Panzer, SPD-Stadtverordnete im hessischen Bad Vilbel. Die 44-Jährige kann sich eine Mitgliedschaft zum Beispiel in der CDU nicht vorstellen.
    "Die CDU ist eine c h r i s t l i c h e Partei. Und es gibt jüdische Werte, die ich vertrete, die in der CDU nicht sind. Also die SPD steht für soziale Gerechtigkeit und für Toleranz. Die Armenfürsorge gibt’s auch im Judentum, die wird auch sehr hoch geschätzt. Und dass die Bildung auch kostenlos ist."
    Berlin, Potsdamer Platz. In der sechsten Etage eines sandfarbenen Gebäudes: eine schwer gesicherte Tür mit mehreren Kameras.
    Ein langgestreckter Flur mit lichtdurchfluteten Büros: Sitz des American Jewish Committee – einer jüdischen Organisation, die weltweit gegen Antisemitismus kämpft. Die Berliner AJC-Chefin Deidre Berger weiß, warum einige jüdische Politiker lieber nicht über ihre Herkunft sprechen: aus Angst vor Hass-Attacken, vor allem im Internet. Aber es gibt noch einen anderen Grund.
    "Man will natürlich nicht definiert sein als Politiker über die religiöse, ethnische Herkunft. Das ist verständlich. Es ist wichtig für Politiker, ihre Politik nach vorne zu bringen und nicht befangen zu sein in Diskussionen über ihr Jüdischsein."
    Berger kennt mehr als ein Dutzend Juden, die in der Kommunal-, Landes- oder Bundespolitik aktiv sind – quer durch die Parteien. Mit den Unionsparteien allerdings hätten viele von ihnen lange Zeit ein Problem gehabt, weil da ein C im Namen sei.
    "Heute aber sehen sehr viele in der jüdischen Gemeinschaft das anders. Ich denke auch, die Kanzlerin Angela Merkel hat sehr viel getan, um die CDU – aus jüdischer Sicht – populär zu machen wegen ihrer großen Solidarität mit Israel und ihrem ganz evidenten Engagement für deutsch-jüdische Themen."
    Juden in der deutschen Politik: Eine Gratwanderung
    Ortswechsel. Eine ehemalige Altbauwohnung in der Berliner City. An den Wänden: metergroße Fotos von Prominenten, die dazu aufrufen, an Wahlen teilzunehmen: das Büro der Kommunikationsplattform Politik-Digital. Hier koordiniert Marina Weisband ein Schulprojekt zur Demokratieerziehung. Die 28-jährige Bildungs-Expertin war einst Politische Geschäftsführerin der Piratenpartei. 2012 trat sie zwar von diesem Ehrenamt zurück, wegen der Arbeitsbelastung. Doch ihre Stimme erhebt sie weiterhin. Und ähnlich wie Juden in anderen Parteien legt sich Weisband dabei – wegen ihrer Herkunft – manchmal mit ihren Mitstreitern an.
    Die ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei Marina Weisband arbeitet heute als freischaffende Künstlerin und Bloggerin in einem Projekt zur politischen Bildung im Web 2.0
    Marina Weisband - ehemalige politische Geschäftsführerin der Piratenpartei und jüdischer Herkunft (Horst Galuschka)
    "Die Beschneidungsdebatte war etwas, wo ich wirklich – ich glaube zum ersten Mal – einen Konflikt hatte zwischen der Parteimeinung und meinem jüdischen Hintergrund. Ich habe versucht zu erklären, welchen Stellenwert das Ritual der Beschneidung im Judentum hat, wie wichtig es ist für jüdisches Leben überhaupt. Und gerade hier hat sich die Piratenpartei seltsamerweise auf die genau entgegengesetzte Position gestellt und gesagt, dass man dieses Ritual verbieten muss. Ich habe dagegen gesprochen. Und ich habe mir damit sehr viel Feindschaft eingehandelt."
    Marina Weisband, die aus der Ukraine stammt, muss sich auch mit ihrer eigenen Religionsgemeinschaft streiten – genauer: mit den russischsprachigen Juden. Manche von ihnen hätten Vorurteile aus der Sowjet-Ära mitgebracht und zeigten nun Furcht vor muslimischen Flüchtlingen, berichtet sie. Sie höre in diesen Kreisen sogar Sympathiebekundungen für AfD und Pegida, was sehr gefährlich sei.
    "Wenn jetzt jüdische Menschen mit Pegida mitmarschieren und glauben, dadurch jetzt gute deutsche Bürger zu sein, die ihre eigene Sicherheit gewährleisten, sehen sie nicht, dass morgen die Pegida gegen s i e marschieren wird."
    Innerparteilicher Ärger – in der Beschneidungsdebatte. Innerjüdischer Streit – wegen der Flüchtlinge. Zudem jede Menge Debatten über Israels Siedlungspolitik. Die linke Aktivistin bilanziert, jedoch ohne Erbitterung:
    "Ich werde immer zwischen den Stühlen sitzen und dazu gehört es auch, dass man angegriffen wird."
    Juden in der deutschen Politik. Eine Ausnahme, eine Gratwanderung. Längst keine Normalität. Deidre Berger vom American Jewish Committee hofft, dass sich künftig mehr von ihnen in die große Politik einbringen:
    "Es wäre gut, wenn Juden, aber auch andere Minderheiten – auch die türkische Minderheit, auch Leute aus der muslimischen Minderheit – einfach mehr aktiv werden im demokratischen Prozess. Ich glaube, diese Pluralität von Stimmen wird für die deutsche Demokratie sehr positiv."