Donnerstag, 28. März 2024

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Jüdischer Sport in der NS-Zeit
Pionierarbeit gegen das Vergessen

Im Frühjahr 1933, unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, begannen deutsche Fußballvereine mit dem Ausschluss ihrer jüdischen Mitglieder. Juden waren fortan gezwungen, sich in eigenen, jüdischen Sportgruppen zu organisieren. Die Sporthistoriker Lorenz Peiffer und Henry Wahlig versammeln in einem Handbuch das Schicksal der 200 jüdischen Sportvereine, in denen zwischen 1933 und 1938 Fußball gespielt wurde.

Von Erik Eggers | 12.01.2016
    Ein Davidstern über einer Synagoge
    Ein Davidstern über einer Synagoge (Picture Alliance / dpa / Jan Woitas)
    Da wäre das Beispiel von Werner Wolf. Er trieb bis zum Frühjahr 1933 mit großer Begeisterung Sport, als er im Alter von 19 Jahren, im Zuge der nationalsozialistischen "Machtergreifung", aus seinem Sportverein im niedersächsischen Twistringen ausgeschlossen wurde, nur weil er jüdischen Glaubens war. Wolf reagierte darauf mit einem Brief an die umliegenden jüdischen Gemeinden: Er rief in Sulingen, in Syke, in Bassum und in Diepholz zur Gründung eines jüdischen Sportvereins auf. Auf diese Weise formierte sich im Dezember 1933 die Sportgruppe "Schild Twistringen".
    Sechs Jahre Recherche und Untersuchungen
    Nach ganz ähnlichen Mustern gründeten sich 1933 im ganzen Deutschen Reich jüdische Sportvereine. Die insgesamt 200 jüdischen Fußballvereine und Sportvereine mit Fußballabteilungen würdigen nun die beiden Sporthistoriker Lorenz Peiffer und Henry Wahlig in einem Handbuch mit beinahe 600 Seiten Umfang. Sechs Jahre dauerte es, bis sie die zeitgenössischen jüdischen Sportzeitschriften und die Nachrichtenblätter der jüdischen Gemeinden systematisch durchforstet und ausgewertet hatten.
    Die Herkulesarbeit, die dahintersteckte, ist dem Buch anzusehen. Die beiden Autoren haben einen lexikalischen Zugang gewählt, was sehr viel Sinn ergibt. Sie notieren die Daten der Gründung und Auflösung der Vereine. Aber auch alle Spieler und Funktionäre, die in den zeitgenössischen Berichten auftauchten, werden aufgelistet. Zusätzlich aber beschreiben Peiffer und Wahlig auch die vielen Geschichten hinter diesen Fußballvereinen, erzählen die Biographien derjenigen jüdischen Sportler, von denen mehr zu erfahren war. Und sie klären über regionale Besonderheiten auf.
    Arbeit gegen das Schicksal des Vergessens
    Über die Schicksale von Fußballern wie Julius Hirsch oder Gottfried Fuchs, die vor 1933 in die Nationalmannschaft berufen wurden, ist heute viel bekannt. Wenn die Autoren nun die zahlreichen unbekannten Fußballvereine aufarbeiten und damit eine Basis schaffen für weitergehende lokale Forschungen, entreißen sie auch diese Sportlerinnen und Sportler der "damnatio memoriae", die Verdammung des Andenkens, die ihnen nach der Vertreibung oder Ermordung nach der Zeit des NS-Regimes anheim fiel.
    Das ist das große sozialgeschichtliche Verdienst dieser Pionierarbeit. Wolf übrigens verließ den Twistringer Verein im Sommer 1935 mit einem Vereinskameraden, um sich auf die Emigration nach Palästina vorzubereiten – rechtzeitig also, bevor die Scheinblüte des jüdischen Sports 1938 mit der sogenannten "Reichskristallnacht" zu Ende ging.

    Lorenz Peiffer/Henry Wahlig, Jüdische Fußballvereine im nationalsozialistischen Deutschland. Eine Spurensuche, Verlag Die Werkstatt, Göttingen 2015, 576 Seiten, Hardcover, 44,90 Euro.