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Jüdisches Museum Berlin
Ausstellung über rituelle Beschneidung von Jungen

2012 bezeichnete ein deutsches Gericht die rituelle Beschneidung von Jungen als Körperverletzung und löste damit eine heftige Debatte über die Legalität der Beschneidung aus religiösen Gründen aus. Sie ist Ausgangspunkt für eine Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin, in der das Thema aus jüdischer, muslimischer und christlicher Sicht dargestellt wird.

Von Igal Avidan | 14.10.2014
    Chirurgische Instrumente werden zurechtgelegt, vor einer jüdischen Beschneidungszeremonie für einen acht Tage alten Jungen, in Budapest, Ungarn, am 13 November 2011.
    Die Beschneidung von Jungen ist ein zentrales jüdisches Ritual. (Bea Kallo / dpa)
    Für Juden ist die Beschneidung, Hebräisch "Brit Mila" oder "Bund des Wortes", ein identitätsstiftendes Gebot. Am achten Tag nach seiner Geburt wird ein Junge durch auf dieses Ritual in die jüdische Gemeinschaft aufgenommen.
    Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin, hat nun in einer Ausstellung die religiöse Bedeutung der Beschneidung in den drei monotheistischen Religionen zum Thema gemacht:
    "In den Stamm wird man reingeboren durch die Geburt einer jüdischen Mutter und danach kommt noch die Beschneidung als symbolisches und irreversibles Zeichen der Zugehörigkeit zum Glauben. Und Gebot und Glauben vollenden sich in der Beschneidung... Und das ist ein Paradox, das ich sehr interessant finde: Dadurch, dass man was wegnimmt, vollendet man die Schöpfung."
    Unter den Schlagwörtern, mit denen die Beschneidungsdebatte geführt wurde, rangiert die Unversehrtheit des Körpers ganz oben. Dieses Argument erinnert Cilly Kugelmann an die griechische Auffassung vom männlichen Körper, die im klaren Kontrast zur jüdischen Sichtweise stand:
    "Und die griechische Auffassung vom männlichen Körper ist sehr interessant: Das sind Skulpturen, die schöne maskuline Körper zeigen und ganz kleine Penisse, die nicht den Proportionen des Körpers entsprechen und der Penis muss komplett mit Vorhaut bedeckt sein. Und der Gegensatz dazu ist der jüdische Körper mit dem beschnittenen Penis, aber interessant ist, dass beide aus ihrer Perspektive das gleiche interpretieren. Für beide ist es wichtig, dass es eine Selbstkontrolle der Sexualität gibt, des Sexualtriebs. Und in der griechischen Auffassung symbolisiert der unbeschnittene Penis diese Selbstkontrolle und nach jüdischer Auffassung symbolisiert der beschnittene Penis diese Selbstkontrolle."
    Fast alle Juden und Muslime führen die Beschneidung durch, auch wenn sie nicht religiös sind. Für die jüdische Brit Mila ist festgelegt, dass sie unbedingt am achten Tag nach der Geburt des Knaben durchgeführt werden muss, auch wenn dieser auf einen Shabbat oder gar auf den heiligsten Tag Yom Kippur fällt.
    Im Islam dagegen kein genau festgelegter Zeitpunkt
    Im Islam dagegen gibt keinen genau festgelegten Zeitpunkt für die Beschneidung, die auch nicht ausdrücklich Koran erwähnt wird, sondern zu den Handlungsanweisungen der Sunna gehört. Martina Lüdicke, eine der beiden Kuratorinnen der Ausstellung:
    "Man sagt, dass es vor der Pubertät gemacht werden soll. Es gibt Überlieferungen, die sagen, dass die Jahreszahl des Kindes nicht zweistellig werden soll. Aber es gibt gerade in säkularen Kreisen die Tendenz, das auch direkt nach der Geburt machen zu lassen, um das nicht mit einem großen Fest zu verbinden, sondern als Zeichen der Zugehörigkeit zu einer kulturellen Gruppierung."
    Im Judentum und im Islam soll die Person, die die Beschneidung durchführt, medizinisch fachlich geschult sein. In beiden Religionen gibt es inzwischen auch den Trend, diese Operation in einem Krankenhaus durchführen zu lassen. Yasemin Shooman, Leiterin des Migrationsprogramms der Akademie des Jüdischen Museums:
    "Ich weiß, dass viele Muslime ihre Kinder im jüdischen Krankenhaus in Berlin beschneiden lassen. Eine Freundin von mir hatte versucht, ihren Sohn in der Charité beschneiden zu lassen und die Charité sagte - das war noch vor dem Urteil: Nein, das ist Körperverletzung, gehen Sie ins jüdische Krankenhaus."
    Auch das Christentum wird bei dieser Ausstellung im Jüdischen Museum berücksichtigt, obwohl in fast allen christlichen Kirchen die religiöse Bedeutung der Beschneidung durch die Taufe abgelöst wurde. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass bis zur Liturgiereform 1970 in der römisch-katholischen Kirche acht Tage nach Heiligabend, jeweils am 1. Januar der Beschneidung Jesu gedacht wurde. Außerdem zählte die Vorhaut Jesu zu den besonders verehrten Reliquien im mittelalterlichen Christentum. Programmdirektorin Cilly Kugelmann:
    "In der christlichen Theologie man hat es mit einem als Juden geborenen Jesus zu tun. Und das muss natürlich uminterpretiert werden, um in die christliche Auffassung vom Christus der Erlöser zu passen, und das kann kein Jude sein. Also er transzendiert das Jüdische und so muss die Beschneidung in der Theologie anders gedeutet werden."
    Einige christliche Kirchen, wie zum Beispiel die Koptische orthodoxe Kirche in Ägypten, haben sogar neben der Taufe auch noch die Beschneidung der Jungen.
    In der Ausstellung wird durch Gemälde deutlich gemacht, dass dem Thema Beschneidung anders als im Judentum auch in der christlichen Kunst eine besondere Bedeutung zukam. Cilly Kugelmann:
    "Wir haben in der christlichen Abteilung ein paar sehr interessante Gemälde. Die jüdische Abteilung hat viele Artefakte. Aber wie das so ist im Judentum, die Bildtradition ist nicht die Ausdrucksform im Mittelalter und der frühen Neuzeit."
    Cilly Kugelmann hofft, dass die Besucher der Ausstellung "Haut ab" ein tieferes Verständnis dafür bekommen, welche Bedeutung die Beschneidung für Juden und Muslime hat und begreifen, welche Spuren die Beschneidungsdebatte bei diesen Minderheiten hinterlassen.