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Jüdisches Museum Berlin
Golem mit vielen Gesichtern

Donald Trump, Smartphone oder Frankenstein - die Legendenfigur des Golem hat viele Namen. Das Jüdische Museum in Berlin widmet der Figur jetzt eine eigene Ausstellung und fragt nach der Relevanz des uralten Mythos vom starken Mann aus Lehm in der heutigen Zeit.

Von Jürgen Stratmann | 23.09.2016
    Der Eingang zur Ausstellung "Golem" ist am 22.09.2016 im Jüdischen Museum in Berlin zu sehen.
    Am 23.09.2016 eröffnet die Ausstellung "Golem" im Jüdischen Museum in Berlin (Sophia Kembowski/dpa)
    Ein Golem kann viele Gestalten annehmen? Stellt sich vorweg doch die Frage: Ist der Golem immer männlich? Sicher nicht! Im Rahmen der Ausstellung zeigt das jüdische Museum beispielsweise den Film "Ex Machina" - und die Mädchen in diesem Roboter-Alptraum klingen - ja - wie richtige Mädchen eben:
    "Möchtest du mein Freund sein? - Natürlich! - Ist es überhaupt möglich? - Warum denn nicht?"
    Helfer, Retter, Gefährte
    Das "Warum nicht?" merkt der Held dann natürlich zu spät. Übrigens seien die frühen Pioniere, jüdische Kabbala-Gelehrte in Sachen "Kunstmenschen erschaffen" wesentlich vorsichtiger gewesen, so die Kuratorin Martina Lüdicke. Denen sei es um eine Art rituelles "Reenactment" gegangen, darum, so wie …
    "In der Schauspielkunst etwas nachzuempfinden", sagt Martina Lüdicke. "Dort ging es tatsächlich darum, dass man durch hebräische Buchstabenkombination unbelebte Materie zum Leben erweckt. Man hat aber, so erzählen es uns die Quellen, diesen Golem sofort wieder deaktiviert. Man wollte nicht den Helfer oder Gefährten oder Retter - sondern: es ging wirklich um diesen Prozess!"
    Dabei sei im jüdischen Glauben das Streben, göttliche Schöpfungs-Akte nachzuempfinden, sich dadurch dem Schöpfer anzunähern, gar nicht mit dem Vorwurf sträflicher Hybris belegt und ein Golem im Prinzip - Stichwort "Helfer/ Retter/ Gefährte" - erst mal eine positive Figur. Und so ist das erste Exponat, dem der Besucher in der Ausstellung begegnet, im Wortsinne eine "Lichtgestalt", ein Werk des Prager Künstlers Krištof Kintera. Titel "Mein Licht ist dein Leben": eine munter blinkende, überlebensgroße Figur aus verschiedensten Deckenlampen mit lässig herunterhängenden Kabeln, scheinbar im Vorübergehen, sich auf den Stiel einer Straßenlaterne wie auf einen Wanderstab stützend.
    Schwer kontrollierbare Kunstwerke?
    Übrigens werde der Golem von vielen Künstlern …
    "als Metapher benutzt", sagt Lüdicke.
    Auch hier veredle man ja zunächst totes Ausgangsmaterial. Erst …
    "Durch den künstlerischen Schaffensprozess wird das lebendig!"
    Allerdings auch …
    "Bei den Künstlern ist es so, dass dieses Potential, dass der Golem außer Kontrolle geraten kann, immer mit erzählt wird - also auch in dem Moment, wo man ein Werk der Öffentlichkeit preisgibt, entzieht es sich ja auch der Kontrolle des Schöpfers und kann sich auch gegen einen wenden!"
    Schwer kontrollierbare Kunstwerke? Diesem Thema widmet sich in der Ausstellung mit ca. 120 Exponaten, unterteilt in sieben Bereiche, auch ein eigener Themenraum mit dem Titel: "Außer Kontrolle". Darin findet sich beispielsweise das Werk "The Golden": Ein mächtiges Hakenkreuz des Malers Michael David:
    "Der Künstler hat dieses Hakenkreuz auch Golem genannt, weil der Golem auch als Bild für eine politische Bewegung, die außer Kontrolle geraten kann, steht", sagt Lüdicke.
    "Ich glaube, dass jede Generation sich ihren eigenen Golem schafft"
    Politische Bewegungen außer Kontrolle? In einer Vitrine findet sich eine weiße Baseball-Kappe mit Donald Trumps Slogan "Make America great again" - was zeigt: die Ausstellung spekuliert, welche Golems in Zukunft noch entfesselt werden könnten. Und - wie gesagt - der Golem kann viele Gestalten annehmen. Man muss ihn halt erkennen, jeder für sich, denn:
    "Ich glaube, dass jede Generation sich ihren eigenen Golem schafft", sagt Lüdicke.
    Zum Beispiel: "Sind nicht unsere Smartphones die, die uns kontrollieren?"
    Wer kontrolliert wen? Eine Frage, die im Themenraum "Doppelgänger" auch optisch eindrucksvoll vermittelt wird, etwa durch eine "Fotoserie von Yves Gellie, einem französischem Fotokünstler. Der hat auf der ganzen Welt Roboterlabore besucht - und immer Schöpfer und Geschöpf miteinander porträtiert."
    Und dabei festgestellt: die Schöpfer gestalten ihr Geschöpf gern nach ihrem Ebenbild. Ein bisschen gespenstisch!
    Der Themenraum "Doppelgänger" ist dann auch der letzte dieser ungeheuer vielfältigen und trotzdem angenehm überschaubaren Ausstellung und - wie gesagt - am Eingang zum ersten Raum unter dem Motto "Der Golem lebt" grüßt ein freundlich strahlender Riese aus Lampenschirmen - und was steht am Ende?
    "Dass Schlussbild der Ausstellung ist eine Theaterinszenierung einer britischen Theatergruppe, die heißt '1927',die hat eine Zukunftsvision entworfen, dass wir alle irgendwann mit unserm Golem im Ohr ferngesteuert durch die Welt gehen - und diesen 'noch einen Schritt weiter denken', das hat uns angesprochen an dieser Inszenierung!"
    "Golem" - Jüdisches Museum Berlin, 23. September 2016 bis 29. Januar 2017