Freitag, 19. April 2024

Archiv

Jugendarbeit in Tunesien
Islam ohne Islamismus

Die Tunesier haben sich eine neue Verfassung gegeben, einen Präsidenten und ein Parlament gewählt. Doch das Land hat ein Problem mit radikalem Islamismus, viele junge Tunesier suchen ihr Heil beim sogenannten Islamischen Staat. Ein neues Präventionsprogramm der Regierung ist umstritten.

Von Marc Dugge | 31.05.2016
    Jugendliche sitzen am 6.5.2015 in einer Bar in der Altstadt der tunesischen Hauptstadt Tunis.
    Erreicht das Präventions-Programm der Regierung diese jungen Tunesier? (picture-alliance / dpa / Eric Lalmand)
    Wir hätten das schon seit Jahren machen müssen, sagt Mohamed Khalil. Mindestens. Der Religionsminister will gar nicht bestreiten, dass so ein Programm überfällig war. Aber er selbst ist ja auch erst seit Anfang des Jahres Minister. Und hat als eine seiner ersten Amtshandlungen die Präventions-Kampagne gestartet.
    "Wir setzen auf den direkten Kontakt mit der Jugend, in den verschiedenen Regionen des Landes. Wir wollen einen offenen Dialog und schicken deswegen Professoren, Prediger und Imame, die den Jugendlichen den echten Islam näherbringen."
    Mohamed Khalil, Religionsminister von Tunesien
    Mohamed Khalil, Religionsminister von Tunesien (Deutschlandradio/ Marc Dugge)
    Der echte Islam – für den Minister heißt das: ein toleranter, weltoffener Islam. Die Diskussionen mit den Gelehrten sollen die Jugendlichen gegen radikales Gedankengut impfen. Und sie so gar nicht erst in Versuchung kommen lassen, mit der Ideologie des IS zu flirten. Und auch die Gefängnisse nimmt die Regierung jetzt stärker ins Visier. Die Gefängnisverwaltungen wachen heute streng darüber, wer zusammen in einer Zelle sitzt. Um zu verhindern, dass verurteilte Terroristen in den Zellen missionieren. Riadh Amari von der Nationalen Gefängnisverwaltung:
    "Es ist etwa verboten, in der Gruppe gemeinsam zu beten. Damit andere Häftlinge nicht in ihren Sichtweisen beeinflusst werden. Das Profil der Terroristen hat sich verändert. Früher hatten wir es mit ziemlich gebildeten, reiferen Menschen zu tun. Heute sind das 18-, 19-Jährige, maximal 27-Jährige, die kaum Lebenserfahrung haben."
    Kein einziger Jugendlicher beim Gesprächskreis
    Auch deshalb der Fokus der Regierung auf die jungen Tunesier. Der Religionsminister ist überzeugt, dass es richtig ist, auf religiöse Gelehrte zu setzen, die dann im Dialog mit den Jugendlichen salafistische Heilslehren entlarven sollen. Gerade die Gesprächsrunden im Land, in Jugendzentren etwa, zeigten erste Erfolge, so der Minister:
    "Die jungen Menschen finden das gut. An diesem Wochenende werden wir hier in einem Viertel in Tunis sein, das man als ziemlich heiß bezeichnen kann."
    Das heiße Viertel heißt Ethadámon, es gilt als Islamistenhochburg. Und heiß wird auch diskutiert bei dem Treffen. Rund 30 Menschen sind zu dem Gesprächskreis gekommen, ins Gebäude der Stadtverwaltung. Alle Teilnehmer scheinen über 40, viele sind Anhänger einer nicht-religiösen Partei, die offenbar für das Treffen getrommelt hat. Aber einen Info-Stand, Flyer oder wenigstens einen Werbebanner für die Veranstaltung sucht man vergeblich. Die Teilnehmerin Samira ist enttäuscht:
    "Ich habe hier heute keinen einzigen Jugendlichen gesehen, wo sind die denn? Mit allem Respekt: das sind alles alte Leute hier! Die sollten junge Leute herbringen, damit die sich mal selbst verteidigen. Wenn man ins Gymnasium gehen würde, da würde man sie finden, unsere Jugendlichen!"
    Vielleicht gelingt es der Regierung, die Jugendlichen über die Medien zu erreichen. Im Fernsehen und Radio hat sie Spots zu der Kampagne geschaltet. Und eigens eine Website eingerichtet. "Die Zukunft wird besser" heißt sie übersetzt. Auf der Website sind Videos mit Auftritten des Ministers gepostet. Das Online-Forum hat keinen einzigen Eintrag, Terminankündigungen für neue Gesprächsrunden gibt es nicht. Aber für Experten ist ohnehin fraglich, ob das Konzept dieser Gesprächsrunden aufgeht. Und noch fraglicher, ob solche Treffen Menschen von der Radikalisierung abhalten können. Zumindest dann, wenn sie schon von der Ideologie angefixt wurden. Die algerischstämmige Französin Dounia Bouzar ist Expertin in Sachen Deradikalisierung. Sie warnt vor falschen Erwartungen:
    Junge Menschen auf der Gefühlsebene erreichen
    "Man muss sich klar werden darüber, dass man nicht mit einem alternativen Diskurs junge Menschen von der Radikalisierung abbringen wird. Darauf zu vertrauen, dass es schon wirkt, wenn man ihm erklärt, was der gute Islam ist. Viele Länder sind damit schon gescheitert! Der junge Mensch steht ja im Glauben, dass er von Gott auserwählt ist, um den echten Islam zu verbreiten und dass alle anderen im Irrglauben sind. Man kann den jungen Menschen nur auf der Gefühlsebene erreichen. Das haben wir in der Zusammenarbeit mit den Eltern gelernt."
    Viele Jugendliche kapseln sich ab, wenn sie sich radikalisieren, brechen mit dem Umfeld. Da könne es etwa helfen, wenn Eltern an Ereignisse aus der Kindheit oder gemeinsame Erlebnisse erinnern. So könnten sie wieder einen Zugang zu den Menschen bekommen. Nur mit Appellen an die Vernunft könne man dem radikalisierten Jugendlichen jedenfalls nicht mehr kommen, Denn er gehorche nicht mehr der Vernunft, so Dounia Bouzar.
    Sie hat in Frankreich mithilfe einer Telefonhotline besorgte Eltern beraten und eigenen Angaben zufolge geholfen, rund 2000 Jugendliche von der Radikalisierung zu bewahren. Heute steht sie wegen Drohungen durch den IS ständig unter Polizeischutz. Auch in Tunesien soll es künftig eine Hotline für besorgte Angehörige geben, heißt es. Auch das ist Teil der Kampagne. Doch eine Nummer sucht man auf der Website bisher vergeblich.