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Jugendarbeitslosigkeit
Deutsch-französische Ausbildung nur mäßig erfolgreich

Über ein Fünftel der Jugend in Frankreich hat keine reguläre Beschäftigung. Zugleich sind in Deutschland Auszubildende gesucht. Kooperationsverträge sollen die Hürden für eine grenzüberschreitende deutsch-französische Ausbildung senken. Aber die Praxis hält nicht, was das Papier verspricht.

Von Tonia Koch | 05.01.2017
    Ein Auszubildender arbeitet an einer Mauer.
    In Deutschland bleiben viele AUsbildungsplätze unbesetzt. (picture alliance/ dpa/ Oliver Berg)
    Beim Reifenhersteller Michelin im saarländischen Homburg beugen sich die Auszubildenden über ihre Werkstücke. Sie feilen, unterbrechen Stromkreise, schweißen. Drei Auszubildende stammen aus Frankreich. Das Unternehmen hätte gerne mehr junge Leute aus dem Nachbarland willkommen geheißen, leider seien jedoch nicht so viele gekommen wie erhofft, sagt der zuständige Ausbildungsleiter Michael Metzen:
    "Das ist wirklich eine Herausforderung. Das ist nicht so einfach, wir haben vor ungefähr vier Jahren angefangen mit diesem Projekt und haben allein zwei Jahre gebraucht, bis wir die ersten bei uns hier einstellen konnten."
    Die vertraglichen Voraussetzungen für eine duale Ausbildung der jungen Franzosen in Deutschland seien zwar gegeben, aber die Sprachbarrieren und vor allem die kulturellen Unterschiede seien nur schwer zu überwinden.
    "Wir sehen in Frankreich das Problem, dass der Facharbeiter wie er halt eben in Deutschland gesehen wird, in Frankreich nicht so gesehen wird. In Frankreich muss man gesellschaftlich was studiert haben, um halt eben auch etwas zu sein."
    Sprachehürde ist nicht das Problem
    Eric, Charles und Joris verfügen über unterschiedliche sprachliche Voraussetzungen. Für Eric ist es vergleichsweise einfach.
    "Mein Vater ist Deutscher, ich bin zweisprachig aufgewachsen."
    Auch bei Charles hat die Familie mitgeholfen. Zu Hause werde neben Französisch auch Dialekt gesprochen, das heißt Lothringer und Elsässer-Platt.
    "Es hat mir immer Spaß gemacht, deutsch zu reden."
    Nur Joris ist mehr oder minder auf sich gestellt.
    "Ich habe die deutsche Sprache nur in der Schule gelernt."
    Charles ist bereits im zweiten Lehrjahr. Der angehende Industriemechaniker ist durch Zeitungslektüre auf die Möglichkeiten einer dualen Ausbildung aufmerksam geworden.
    "Es ist selten, dass manche Leute Bescheid wissen. Bei uns in Frankreich, die Ausbildung ist nicht so bekannt, nur bekannt ist, dass sie auf eine Hochschule gehen."
    Alle drei verfügen mindestens über die Fachhochschulreife, denn das ist die Voraussetzung, um in Frankreich zu einem zweijährigen Kurzstudium, dem sogenannten BTS, zugelassen zu werden. Was den deutsch-französischen Ausbildungsgang nun von der rein französischen Variante unterscheidet, ist die Dauer und die Betonung der betrieblichen Praxis, erläutert Charles.
    "Es ist so aufgeteilt zwei Wochen Schule, dann zwei Wochen Betrieb und so weiter außer in den Sommerferien, da sind wir nur im Betrieb."
    Abbrecherquote zu hoch
    Nach zwei Jahren erhalten die jungen Leute zunächst ihren technischen Studienabschluss in Frankreich, müssen dann aber noch ein halbes Jahr draufsatteln, um auch in Deutschland einen Facharbeiterbrief zu bekommen. Wer ein Doppeldiplom anstrebt, muss also einen langen Atem haben und das schaffen nur wenige, sagt Harry Laufer:
    "Das erste Jahr hatten wir eine Abbrecherquote von 40 bis 50 Prozent, die aufgeben, weil sie mit dem System nicht klar gekommen sind."
    Laufer leitet die Bildungsstätte von TÜV Nord. Viele Unternehmen, die keine eigenen Lehrwerkstätten mehr unterhalten, lassen dort ausbilden. Der TÜV betreut für mehrere Firmen, darunter auch für Michelin, das deutsch-französische Projekt. Die Ausbildungswege in beiden Ländern seien nicht vergleichbar, erläutern Eric und Joris.
    "Wir lernen hier viel mehr. Also wenn man nur im Werk arbeitet, sieht man jeden Tag das Gleiche. Die Ausbildung ist präziser, man hat Zeit etwas zu lernen. In Frankreich ist es so hopp, hopp, ich mach es schnell, wenn du es nicht kapierst, mach es weiter und lern es selbst. In Deutschland hat man die Zeit, es richtig zu lernen und danach auch zu nutzen."
    Weil der Praxisanteil fehle, genügten deutschen Firmen in Frankreich erworbene Abschlüsse in den seltensten Fällen, sagt Laufer. Der deutsch-französische Ausbildungsgang ist daher der Versuch, diese Lücke zu schließen. Allerdings gelinge es nur mit mäßigem Erfolg, weil es in Frankreich für einen deutschen Facharbeiter-Brief an Wertschätzung fehle.