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Jugendstudie
Kein Politikvertrauen, aber Interesse an Engagement

71 Prozent der jungen Menschen vertrauen der Politik nicht, so erste Zwischenergebnisse einer Studie des Bayerischen Rundfunks. Aber: Politisches Engagement können sich immerhin 42 Prozent der befragten 18- bis 34-Jährigen vorstellen. Ein Besuch bei den Jusos und bei Aavaz zeigt, wie sich junge Erwachsene engagieren können.

Von Daniela Siebert | 08.11.2016
    Ein Teilnehmer des SPD-Parteitages in Augsburg trägt einen Baumwoll-Beutel mit dem Logo der Jusos.
    Jusus-Baumwollbeutel: Engagieren können sich Jugendliche auch bei den Parteijugendorganisationen. (picture alliance / dpa / Foto: M. C. Hurek)
    Eine Kita in Berlin Wilmersdorf. Früher Abend, die örtlichen Jusos begrüßen neue Mitglieder.
    "Herzlich willkommen, schön dass ihr alle da seid, wir werden erstmal eine Vorstellungsrunde machen."
    Je vier junge Männer und Frauen sitzen im Kreis, es gibt Kekse, Wasser, Cola und Saft. Und eine kuriose Variante beim gegenseitigen Vorstellen: Alle sollen reihum ihren Namen sagen, was sie so machen und das Tier, das sie am liebsten wären.
    "Ja hallo, ich bin der Stefan, ich bin 26 Jahre alt und als Tier: Ich habe jetzt gedacht, so ein Känguru – ich war dieses Jahr in Australien gewesen, das war total schön da. Und ich hab gedacht, dann kann man da schön durch die Landschaft streifen und ist doch eigentlich ein ganz nettes Leben so."
    Stephan Weiher ist einer der Neuen. Er hat Wirtschaftsrecht studiert und arbeitet jetzt in der Landesvertretung von Mecklenburg-Vorpommern. Erst vor ein paar Tagen ist er online in die SPD eingetreten.
    "Ich arbeite auch in einem Bereich, der hochpolitisch ist, sodass ich da auch schon so einen gewissen Einblick habe. Ich denke, ich bin jetzt 26, es ist irgendwann dann an der Zeit, wenn man was machen will, wenn man sich engagieren will, dann auch mal den Einstieg zu machen."
    Diskussionen über Grundsätzliches
    An diesem Abend diskutieren die Jusos mit ihren Neulingen erstmal Grundsätzliches: über Antifaschismus, Sozialismus und Feminismus etwa. In seiner Familie war niemand in einer Partei sagt Stephan. Seine Freundin ist eine der wenigen, der er schon von seinem Schritt erzählt hat.
    "Die war ein bisschen weniger begeistert, weil es einfach auch schon wieder eine zeitliche Einschränkung ist. Und meine Freundin ist jetzt auch nicht hochpolitisch interessiert. Und man muss auch sagen, so im persönlichen Umfeld gibt es immer auch so Bedenken gegen Parteimitgliedschaften. Das ist so eine Art Sekte, also, es gibt da wirklich sehr negative Vorbehalte, was ich auch sehr schade finde. Und hoffe einfach, dass man da ein Stück weit was verändern kann, auch so im Bekannten- und Familienkreis."
    Was will er bei den Jusos? Plakate kleben? Regierender Bürgermeister werden?
    "Ich bin da für alles offen. Das muss ich sehen, das kann ich jetzt nicht sagen. Ich kann nicht in die Zukunft gucken. Klar, Wahlkampfarbeit gehört auch mit dazu."
    Lea Nürnberger, 20, ist schon seit zwei Jahren bei den Jusos in Wilmersdorf. Die Mathematik-Studentin investiert viel Zeit in ihre politische Arbeit, etwa acht Stunden pro Woche, auch im Studentenparlament. Sie sieht schon erste Erfolge ihres Engagements.
    "Persönlich gab es auch durchaus schon, dass ich auf einem Koordinierungstreffen der Hochschulgruppen einen Antrag gestellt habe, der mir sehr wichtig war – Kopftuchverbot im Staatsdienst – und der dann auch knapp durchgegangen ist."
    Aktionorientiertes Engagement als Alternative
    Nils Bunjaku hat sich für einen anderen Weg entschieden. Er ist 20 und will sich ebenfalls politisch engagieren. Seit rund einem Jahr ist er deshalb aktives Mitglied bei Avaaz, einer Organisation, die online und offline Bürgerproteste weltweit organisiert. Aktuell setzt sie sich beispielsweise gegen die Fusion von Monsanto und Bayer ein und für den Schutz von Elefanten vor Elfenbeinjägern. Ich treffe Nils in dem Lager, in dem Avaaz in Berlin Requisiten für Aktionen aufbewahrt. Er holt einen Pappmache-Kopf aus einem Karton, etwas überdimensioniert diese Verkleidung, groß wie ein Medizinball:
    "Der Kopf von unserer Bundeskanzlerin Angela Merkel, den ich doch schon das eine oder andere Mal auf dem Kopf hatte. Ist immer gut angekommen, war doch in vielen Medien zu sehen, also der Kopf hat es ein bisschen rum geschafft."
    Mit Avaaz hat Nils seine Anliegen schon vielfältig in Szene gesetzt: mit einer Küsschen-Menschenkette gegen den Brexit etwa. Oder mit einem bunten Fest und Demonstrationen für kulturelle Vielfalt. So eine Organisation passe besser zu ihm als eine Partei, glaubt Nils.
    "Weil ich das Vielseitige sehr mag. Wir haben einfach unsere Mitglieder. Wir haben da wirklich Individuen, die politisch interessiert sind, die dann dazu kommen, die auch Interesse haben. Und wir tauschen uns aus, stehen alle hinter gewissen Themen. Und so können wir dann gemeinsam einfach Massen erschaffen. Wir haben teilweise Petitionen bei Avaaz, die haben drei Millionen Unterschriften beispielsweise auf dem Thema Klima. Avaaz nennt sich selber Bürgerbewegung. Und ich glaube, das hat man so ein bisschen im Gefühl, dass das so eine kleine Bewegung ist und deshalb macht das so Spaß, sich da zu engagieren."
    Auch gegen den Klimawandel, für den saudischen Blogger Raif Badawi und für deutsche Altenpfleger hat sich Nils auf diesem Weg schon eingesetzt. Sein Umfeld sehe sein Engagement positiv, sagt der Student. Dass die Onlineumfrage bei seiner Altersgruppe mangelndes Vertrauen in die Politik festgestellt hat, wohl aber einen Willen sich politisch zu engagieren, kommentiert er so: Besonders die Schulen und Parlamente sollten Brücken bauen, um die Distanz zur Politik zu überbrücken. Ziel:
    "So was nicht als was Fernes zu sehen und alle vier Jahre geht man wählen, das war es. Sondern wirklich die Leute in die Politik zu integrieren und zu versuchen, da eine Verbindung herzustellen. Die Verbindung habe ich mir über Avaaz gesucht."
    Ganz ähnlich das Fazit bei Lea von den Jusos: Die Politikverdrossenheit der Jugend werde auch herbeigeredet, findet sie. Besser seien niedrigschwellige Angebote für politisches Engagement und die Themen besser zu kommunizieren.