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Juli Zehs "Unterleuten" als Theaterstück
Windradvideos und knallharter Kapitalistentechno

Die Essenz von Juli Zehs Bestseller "Unterleuten" in Theaterbilder zu fassen: Das ist Regisseur Jan Neumann gelungen. Er inszenierte eine dreistündige Version der shakespearisch entgleisenden Dorfidylle. Doch die vielen Einzelperspektiven der Vorlage bleiben in der Dramafassung auf der Strecke.

Von Dorothea Marcus | 24.11.2017
    Juli Zeh: "Unterleuten"
    Juli Zeh setzt in ihrem Bestseller "Unterleuten" auf psychologische Feinheiten, in der Inszenierung von Jan Neumann kommen eher Abziehbilder heraus - aber auch treffende (Imago / Luchterhand)
    Juli Zehs Roman Unterleuten ist deprimierend und witzig zugleich. Ein präzises Psychogramm der deutschen Gesellschaft, in dem aus kleinen Dorfkonflikten ein exemplarisches Epochenbild wird: der Untergang der Solidargemeinschaft. Berliner Stadtflüchtlinge treffen auf Alteingesessene, prinzipientreue Altlinke auf Neukapitalisten, Heuschrecken-Einkäufer auf Altkommunisten. Jeder ist sich selbst der nächste, terrorisiert den anderen und dieser wahnwitzige Egotrip lässt fast alle in den Abgrund stürzen. Das hat, trotz 630 Buchseiten und rund 30 handelnden Personen, theatralisch zuspitzbare Abgründe. Regisseur Jan Neumann gibt in seiner Fassung dem westlichen Geschäftsmann Meiler das erste Wort, der das Umland von Unterleuten aus der Portokasse gekauft hat. Hinter dem roten Vorhang öffnet sich ein Bühnenbild, das sich irgendwo zwischen DDR-Nostalgie und Zirkusarena bewegt. Zottelige und besoffene Waldschräte hängen an den Tischen. Die alten DDR-Bewohner sind nur noch ein vergreistes Kuriositätenkabinett – das liest sich bei Juli Zeh einfühlsamer. Lebendig werden sie erst, als ein smarter Windpark-Betreiber anklopft:
    "Win-Win-Situation … Wind Wind? Nein, das sagen Abzocker, wenn mehr als ein Schwein Platz am Pokertisch hat … Offiziell ist der Böse Onkel aus dem Westen Schuld, am Ende teilt man sich die Rendite. Wie hoch ist deine Rente, Jakob? 380 … Für 10 Windräder beträgt die Pacht 150.000 im Jahr. Jetzt rechnet mal einer aus, was 100 bringen … Gombrowski will Unterleuten vernichten! Du machst hier ganz schön viel Wind!"
    Wechselnde Haltungen und Accessoires
    Nur acht Darsteller spielen alle Figuren. Vor unseren Augen setzen sie sich Perücken auf oder wechseln Haltungen und Figuren-Accessoires. Da, wo Juli Zeh auf psychologische Feinheiten setzt, kommen so eher Abziehbilder heraus. Die manchmal gar nicht schlecht treffen. Etwa den 50-jährigen Berliner Altlinken Gerhard Fließ, vehementer Vogelschützer und vernachlässigter Neuvater.
    "Unterleuten bedeutet Freiheit! Jule, ich verzichte doch nicht auf Theater, Kino, Kiosk, Arzt, um aus meinem Schlafzimmerfenster auf einen blinkenden Maschinenpark zu schauen. Davor sind wir doch gerade geflohen! Vor der Stadt, der Summe aller Belästigungen! - Gerhardt, nicht so laut. Sophie schläft! – Entschuldigung, man versteckt doch nicht 100 Millionen in ein Naturschutzgelände, um es durch das Aufstellen von Windrädern ins Gegenteil zu verkehren. Diese Windräder sind höher als der Kölner Dom! Unser Haus ist doch keinen Pfifferling mehr wert! Ich bin für die Energiewende ja, aber doch alles bitte mit Maß!"
    "Die Propeller können uns retten"
    Es gelingt an diesem dreistündigen Abend immer wieder, die Essenz des Romans in Theaterbilder zu fassen. Etwa, wenn die Dorfbewohner hypnotisiert von der Windrad-Vision sanft ihre Arme drehen, man ahnt hinter jedem Traum das Eigeninteresse - und später der Sieger Kron zu Video-Windradaufnahmen den knallharten Kapitalistentechno zuckt. Schön auch, wie Laura Sundermann von der knallharten Erfolgsfetischistin Linda zur tyrannischen Helikopter-Mutter wechselt. Wenn der Bonze Meiler zwischen drogensüchtigem Sohn und eifriger Frau sitzt und sich mit wenigen Gesten als verzweifelter Vater offenbart. Doch das täuscht nicht darüber weg, dass hier die schrille Übertreibung vorherrscht, die leider meistens auch nicht lustig ist. Auch Max Moor kann es nicht retten, der als ehemaliger LPG-Herrscher, Strippenzieher und Großbauer Rudolf Gombrowski am Ende mit seinem Suizid die Dorfbrunnen vergiften will. Jan Neumann findet kein Bild dafür, und Moor lässt die tragische Figur wie einen hölzernen Beamten wirken.
    "Warum hast du mir nichts gesagt Arne? Du weißt genau, der Ökologika geht es nicht so gut. Der größte Arbeitgeber der Region. Die Propeller können uns retten!"
    Jan Neumanns Inszenierung schafft nicht, was vielleicht eben doch nicht zu schaffen ist: einen Roman zu dramatisieren, der aus so vielen Einzelperspektiven besteht. Zunehmend hastig werden die Handlungsstränge abgehandelt, der Zusammenhang geht verloren. Nur der ans Ende montierte Satz fasst es noch einmal gültig zusammen: Wenn ich eins in Unterleuten gelernt habe, sagt das Alter Ego der selbst im Umland von Berlin lebenden Juli Zeh, ist, dass jeder Mensch ein eigenes Universum bewohnt, in dem er von morgens bis abends Recht hat. Ein trauriges und vermutlich wahres Fazit.