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Juncker bringt Zwangsbeteiligung an Schuldenschnitt ins Spiel

Er wolle die anstehenden Gespräche mit Privatbanken über eine Beteiligung an einem Schuldenschnitt für Staaten nicht vorbelasten, sagt Euro-Gruppen-Chef Jean-Claude Juncker: Wenn deren freiwillige Beteiligung aber nicht ausreiche, müsse man eine "nicht freiwillige" ins Auge fassen.

Jean-Claude Juncker im Gespräch mit Christoph Heinemann | 14.10.2011
    Christoph Heinemann: Das Interview zur Krise hat das Handelsblatt in dieser Woche abgedruckt: am Mittwoch auf einer Doppelseite, mit Baudouin Prot, dem Chef der französischen Bank BNP Paribas. Die Antworten waren buchstäblich nichtssagend, denn Baudouin Prot hatte sein Interview zuerst mehrfach überarbeitet und dann zurückgezogen. Übrig blieb eine Doppelseite Zeitungspapier mit einigen Fotos, vielen Fragen und zwischen den Fragen leeren Zwischenräumen. Aus Unternehmenssicht war es vielleicht sogar vernünftig, gegenwärtig nichts zu sagen, aber diese gedruckte Sprachlosigkeit, die obendrein mit dem Satz endete, Herr Prot, wir danken Ihnen für das Interview, wirkte allerdings wie ein beredter Kommentar zur gegenwärtigen Kopflosigkeit. Heute treffen sich die Finanzminister der G-20-Staaten in Paris - übrigens eine Liste der G-20-Staaten und weiter Lesenswertes finden sie bei uns unter dradio.de -, ein Treffen im Zeichen der real existierenden Schulden und einer möglichen Bankenkrise und im Zeichen der unterschiedlichen Rettungspläne.
    Am Telefon ist Jean-Claude Juncker, der Ministerpräsident des Großherzogtums Luxemburg und Vorsitzender der Euro-Gruppe. Guten Morgen.

    Jean-Claude Juncker: Guten Morgen, Herr Heinemann.

    Heinemann: Herr Juncker, die Ratingagenturen haben Spaniens Kreditwürdigkeit gerade wieder herabgestuft. Ihr Vornamensvetter, der scheidende EZB-Präsident Jean-Claude Trichet, spricht von einer systemischen Krise inzwischen. Was ist für Sie das größere Problem, die hohen Schulden, oder die Lage der Banken?

    Juncker: Beide Probleme vermengen sich und beide Probleme müssen gelöst werden. Wir haben es nicht mit einer Euro-Krise zu tun, ich lege Wert auf die Feststellung, sondern mit einer Schuldenkrise in einzelnen Mitgliedsstaaten der Euro-Zone, und wir haben es mit einer noch nicht in vollem Umfang erkennbaren Bankenkrise zu tun. Wir müssen beide Krisen angehen.

    Heinemann: Die Bankenkrise ist Folge der politischen Schuldenkrise?

    Juncker: Das lässt sich so einfach nicht so formulieren. Aber jedenfalls in der Vermengung der Krisenelemente sind beide betroffen, sowohl schwächelnde Staaten als auch ein in absehbarer Zeit wahrscheinlich schwächelnder Bankensektor. Beides muss behandelt werden.

    Heinemann: Herr Ministerpräsident, EU-Kommissionspräsident Barroso hat vorgeschlagen, die Banken sollten eine Eigenkapitalquote von neun Prozent ansparen und das innerhalb von kurzer Zeit, einem halben, einem dreiviertel Jahr. Die Süddeutsche Zeitung hat heute mal ausgerechnet, für die Deutsche Bank bedeutete das neun Milliarden Euro in sechs Monaten. Wie soll denn das funktionieren?

    Juncker: Ich würde mich nicht gerne jetzt auf Prozentzahlen, die Eigenkapitalquote betreffend, festlegen. Tatsache ist: Europäische Banken, nicht alle, aber einige, müssen rekapitalisiert werden und wir werden uns im Laufe der am Montag beginnenden Woche intensiv sowohl mit dem Bankensektor als auch unter Regierungen über die anzupeilenden Größenmengen verständigen müssen.

    Heinemann: Aber verschieben sie damit das Problem nicht? Die Banken sagen, wir wollen das Geld nicht, sorgt ihr lieber dafür, dass die Leute ihre Schulden wieder zurückzahlen.

    Juncker: Ich habe ja gesagt, wir müssen beide Krisenherde bekämpfen, und die Schuldenkrise in einzelnen Mitgliedsstaaten ist eine sehr reelle, damit werden wir uns intensiv zu beschäftigen haben im Laufe der nächsten Woche im Blick auf die dann anlässlich des Euro-Gipfels am 23. Oktober zu treffenden Entscheidungen, und parallel dazu müssen wir uns mit der Bankenproblematik beschäftigen. Ich nehme zur Kenntnis, dass nicht die deutschen Banken, sondern die Deutsche Bank – es gilt ja nicht, beide Begriffe gleichzustellen – der Auffassung sind, oder der Auffassung ist, dass, wie es eben etwas salopp von Ihrem Korrespondenten formuliert worden ist, die Staatsknete nicht von Jedermann willkommen geheißen würde, aber dort, wo Rekapitalisierungsbedarf besteht, müssen wir dafür sorgen, dass rekapitalisiert wird, um sicherzustellen, dass hier nicht durch eine zu enge Vermengung zwischen Schuldenkrise und Bankenproblematik eine Infizierungsgefahr für das gesamte Bankensystem ausgeht. Ich wiederhole mich: Beides muss, beide Brandherde müssen bekämpft werden.

    Heinemann: Herr Juncker, Sie haben in einem Interview gefordert, nach einer Rekapitalisierung der Banken muss es eine Dividende für Steuerzahler geben. Das wäre sozusagen die Strafe für das Geld, das die Banken gar nicht wollen?

    Juncker: Das ist keine Strafe, das ist ein normaler Vorgang. Wenn Staaten oder der europäische Rettungsschirm einspringen müssen, um rekapitalisieren zu können, dann ergibt sich für mich daraus logischerweise die Schlussfolgerung, die Konsequenz, dass der Steuerzahler, stünde er dafür bereit und müsse er dafür bereitstehen, auch Rechte einkauft. Es geht ja nicht, dass hier einfach Geld über die Theke geschoben wird; wer zahlt, muss auch verdienen.

    Heinemann: Die Bankenwirtschaft vermisst einen Ansprechpartner in der Politik. Keiner sagt uns, wie viel Geld wir bei einem Schuldenschnitt verlieren werden. Das klagte gestern Früh hier in dieser Sendung Heinrich Haasis. Wir hören eben den Präsidenten des Sparkassen und Giroverbandes.

    O-Ton Heinrich Haasis: ++"Es gibt keine offizielle Verhandlung der Regierungen mit den Banken darüber, ob es jetzt bei 21 Prozent bleibt, oder ob es mehr wird und wie viel. Für Sparkassen kann ich ganz klar sagen, dass es überhaupt kein Problem ist, ob 20 oder 50 Prozent, weil wir kaum Staatsanleihen haben. Es gibt aber andere Banken, da ist es eines. Ich glaube aber trotzdem, dass es auch bei 50 Prozent in Griechenland für deutsche Banken kein Problem ist. Wir lesen alle, dass das in Frankreich ganz anders ist, deshalb hat Frankreich hierzu andere Interessen."++

    Heinemann: Wie sollen Banken eigentlich in Zukunft noch wirtschaften? Auf der einen Seite sollen sie neun Prozent Eigenkapital auf die hohe Kante legen, und dann heißt es bei den Abschreibungen, mal 21, mal 50, mal 60 Prozent. Wie soll das in Zukunft funktionieren?

    Juncker: Man muss die Lage der verschiedensten Bankhäuser in Europa getrennt beachten und beobachten und man braucht hier wahrscheinlich maßgeschneiderte Lösungen.

    Heinemann: Herr Juncker, dient die Drohung mit der Zwangskapitalisierung auch dazu, die Banken zu einer stärkeren Beteiligung an der Schuldenkrise zu zwingen?

    Juncker: Ich werde mich im Laufe der nächsten Woche gemeinsam mit dem Präsidenten des Europäischen Rates, Herman van Rompuy, mit den Vertretern der Privatbanken zusammensetzen und die Privatbanken müssen wissen, dass wenn die freiwillige Gläubigerbeteiligung nicht ausreichend sein wird und wenn wir mit dem Angebot, das die Banken machen müssen, nicht einverstanden sein werden, dass wir dann auch ins Auge fassen müssen, dass es zu einer nicht freiwilligen Gläubigerbeteiligung kommt. Aber ich möchte diese Gespräche nicht vorbelasten durch mannhafte Ankündigungen, wir werden darüber im Laufe der nächsten Woche reden müssen.

    Heinemann: Aber irgendwann bedarf es dieser mannhaften Ankündigung. Wann ist denn klar, wie viel Prozent abgeschrieben werden müssen?

    Juncker: Ja, Herr Heinemann, ich mache mannhafte Ankündigungen nicht per Rundfunk.

    Heinemann: Schade eigentlich. – Vielleicht kommen wir noch zu einer anderen mannhaften Ankündigung, nämlich welche Institution der Europäischen Union und welche Zuständigkeiten müssen denn eigentlich verändert werden, damit die Europäische Union künftig Schieflagen wie die gegenwärtige verhindern will? Sie kennen die Vorschläge oder die Gedankenspiele der Bundeskanzlerin, die den Ratspräsidenten als Mr. Euro sozusagen institutionalisieren möchte.

    Juncker: Es geht nicht darum, Herrn van Rompuy zum Euro-Obermeister zu machen, es geht darum, eine detailkonzentrierte Interartikulation zwischen dem Ratsvorsitz, Herrn van Rompuy, und den Regierungschefs und der Euro-Gruppe, die von mir geleitet wird, sicherzustellen. An dieser Aufgabenteilung wird sich in den nächsten Monaten und Jahren nichts ändern. Der Europäische Rat in seiner Euro-Formation wird Impulsgeber sein, Orientierungen geben, Richtlinien entwerfen, die werden von der Euro-Gruppe, der ich vorsitze, vorbereitet und die werden, falls es zu diesen Orientierungen kommt, von dieser Euro-Gruppe umgesetzt. Das ist kein dramatischer Vorgang. Dass in der deutschen überregionalen Presse und auch in Teilen der französischen Presse herumgereichte Gerücht, Herr van Rompuy würde jetzt das absolute Kommando übernehmen und die Finanzminister gäbe es nicht mehr, fußt nicht auf Tatsachen, sondern auf Vorstellungen, die ich nicht teile.

    Heinemann: Wer soll langfristig Euro-Obermeister sein oder werden?

    Juncker: Das wird eine Kombination aus dem Gremium der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone und aus dem Gremium der Finanzminister sein. Das ist ein sehr undramatischer Vorgang.

    Heinemann: Der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker, Chef der Euro-Gruppe. Vielen Dank für das Gespräch und auf Wiederhören.

    Juncker: Ich bedanke mich. Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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