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Jung: Bundeswehr bleibt in Afghanistan

Verteidigungsminister Franz Josef Jung hat Forderungen nach einem Ausstieg Deutschlands aus der internationalen Mission in Afghanistan zurückgewiesen. "Wir dürfen uns durch derartige perfide Morde nicht von unserem Ziel abbringen lassen, Afghanistan zu stabilisieren und zu einer friedlichen Entwicklung zu kommen", sagte der CDU-Politiker nach dem Tod dreier Bundeswehrsoldaten bei einem Selbstmordanschlag.

Moderation: Klaus Remme | 21.05.2007
    Klaus Remme: Kundus ist für die meisten von uns weit, weit weg und wenn über den Bundeswehreinsatz in Afghanistan geredet wurde, dann meistens mit dem Zusatz: Wir sind ja in Kundus, im Norden, glücklicherweise da, wo es ruhig ist. Spätestens seit Samstagvormittag ist es damit vorbei. Ein Selbstmordattentäter sprengte sich in die Luft. Elf Menschen kamen ums Leben, darunter drei Bundeswehrsoldaten. Die Verletzten sind gestern Abend nach Hause geflogen worden.

    Am Telefon mitgehört hat Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU). Guten Morgen, Herr Jung!

    Franz Josef Jung: Guten Morgen, Herr Remme.

    Remme: Herr Jung, sind die getöteten Bundeswehrsoldaten auch schon überführt worden?

    Jung: Nein, das sind sie noch nicht. Ich will aber auch hier noch mal deutlich meine Anteilnahme, mein Mitgefühl zum Ausdruck bringen, auch insbesondere gegenüber den Familien und Angehörigen. Es ist der schwerste hinterhältige, perfide Anschlag, den wir seit 2003 jetzt erleben mussten. Und unser Ziel ist es, am Mittwoch die getöteten Soldaten zu überführen und dann in Köln-Wahn im Rahmen einer Trauerfeier auch zu würdigen.

    Remme: Neben der unmittelbaren Trauer um die Toten hieß es schnell, jetzt nur keine grundsätzliche Diskussion über diesen Auslandseinsatz. Stellt sich die Frage nach dem Sinn nicht gerade dann, wenn Soldaten aus Schleswig-Holstein, aus Hessen und aus Niedersachsen ums Leben gekommen sind?

    Jung: Aber die Frage nach dem Sinn muss von Beginn eines solchen Einsatzes gestellt werden. Sonst wäre es, denke ich, unverantwortlich. Sie haben zu Recht darauf hingewiesen. Wir haben jetzt insgesamt 21 Soldaten bereits verloren. Tatsache ist aber, dass hier in Afghanistan, wo wir ja nach diesen Terroranschlägen in Washington und New York dann entsprechend aufgrund von Mandaten ja auch der Vereinten Nationen tätig sind, das Ziel ist, dieses Ausbildungszentrum für den Terrorismus, wo diese Anschläge ausgegangen sind, hier zu verhindern, eine solche weitere Entwicklung, dass es dort eine Stabilität gibt. Es gab einst die Petersberger Beschlüsse. Das heißt, es gibt jetzt nicht mehr eine Taliban-Regierung, es gibt eine Verfassung, es gibt ein gewähltes Parlament mit mittlerweile 25 Prozent Frauen in einem islamischen Staat. Es gibt einen gewählten Präsidenten. Und jetzt ist es unser Ziel, diesen gesamten Prozess der Stabilisierung und des Aufbaus in Afghanistan auf Gesamt-Afghanistan auszudehnen. Wir haben beispielsweise im Norden Afghanistans von Wasserversorgung über Straßenbau, Stromversorgung, Kindergärten, Schulen, Krankenhäuser hier eine Entwicklung eingeleitet, über 650 Projekte, die den Wiederaufbau hier vorantreiben und wo deutlich wird, dass wir Sicherheit und Wiederaufbau gewährleisten. Und das ist unser Ziel.

    Remme: Herr Jung, kaum jemand wird behaupten, dass nichts geschehen ist, dort wo die Bundeswehr im Einsatz ist. Aber selbst der Bundeswehrverband fordert eine radikale Änderung der Gesamtstrategie. Sehen Sie Möglichkeiten?

    Jung: Der Bundeswehrverband ist mit mir der Auffassung, dass genau diese Strategie, die wir im Norden Afghanistans umsetzen, jetzt für Gesamt-Afghanistan gelten muss. Das ist ja genau auch mein Bemühen innerhalb der NATO, und wir sind hier einen erheblichen Schritt weiter gekommen. Wir haben die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs von Riga. Wir haben jetzt als Verteidigungsminister in Sevilla diese Strategie, wie ich sie nenne, der vernetzten Sicherheit für Gesamt-Afghanistan beschlossen. Das setzen wir auch jetzt entsprechend um. Man muss nur eins sehen: Die Ausdehnung des Gesamtprozesses ist zuletzt erfolgt im Osten. Das war im Oktober des letzten Jahres. Das heißt, wir brauchen noch ein Stück Zeit und ein Stück Geduld, um den Prozess weiter voranzutreiben. Insbesondere im Bereich Osten und Süden ist wie gesagt dieser Prozess erst gerade angelaufen.

    Remme: Aber wenn wir uns im Rahmen der ISAF an einem so besonderen Ansatz beteiligen, warum machen wir dann mit bei einer so umstrittenen Operation wie Enduring Freedom?

    Jung: Tatsache ist, dass beide Einsätze, das heißt ISAF zur Stabilisierung und zum Schutz und zum Wiederaufbau und Operation Enduring Freedom zur Terrorismusbekämpfung. Man muss hier eins deutlich sehen: Natürlich sind Gebiete, wo es bisher noch nicht so war, dass ISAF tätig war, doch erheblich sicherheitsgefährdet und die Taliban, die beispielsweise im Süden vorhatten, den Staudamm zu zerstören. Damit wird deutlich, wie Sicherheit und Wiederaufbau auch zusammenhängen. Hier muss es noch weiterhin Aktivitäten geben, diese terroristischen Aktionen zu bekämpfen. Nur eins muss deutlich sein und das sage ich auch hier ganz klar: Diese Maßnahmen müssen sich gezielt gegen diese Terroristen richten, und wir müssen alles vermeiden, um hier die Zivilbevölkerung mit einzubeziehen, denn das löst dann gegenteilige Reaktionen aus. Und das führt nicht dazu, dass man das Vertrauen der Bevölkerung gewinnt.

    Remme:! Können Sie denn vor dem aktuellen Hintergrund verantworten, wenn US-Truppen im Anti-Terror-Kampf zivile Opfer in Kauf nehmen, die Wut auf alle ausländischen Soldaten schürt?

    Jung: Wir sind genau über dieses Thema im Gespräch, und ich glaube, es gibt mittlerweile - ich habe mich ja auch in Brüssel dazu geäußert - eine Übereinstimmung dahingehend, dass hier alles getan werden muss, um derartige zivile Opfer zu vermeiden und nur die Sicherheit herzustellen im Hinblick auf die Terroristen, im Hinblick auf diejenigen, die hier nichts anderes vorhaben, als derartige grausame, perfide, hinterhältige Morde zu begehen, wie wir das leider Gottes selbst erleben mussten.

    Remme: Herr Minister, wie lautet die so genannte Exit-Strategie für diesen Einsatz?

    Jung: Unsere Exit-Strategie bedeutet, dass wir selbsttragende Sicherheit in Afghanistan herstellen wollen. Im Klartext: Wir wollen hier Sicherheitskräfte aufbauen von Streitkräften über Polizei, die es der afghanischen Regierung ermöglichen, selbst für ihre eigene Sicherheit zu sorgen. Ziel ist es, 70.000 Soldaten auszubilden. Wir haben jetzt 35.000 bereits ausgebildet, sind auch in einer gemeinsamen Operation mit ISAF hier tätig. Das gleiche Ziel ist in etwa auch so bei der Polizei. Hier haben wir jetzt in Europa weitere Verstärkung beschlossen. Das heißt konkret, dass wir noch im nächsten Monat auf rund 160 Ausbilder kommen wollen, die dann unter deutscher Führung stehen, um auch die Polizei noch effektiver auszubilden, denn beides gehört zusammen, Streitkräfte und Polizei.

    Remme: Aber das Ziel, was Sie jetzt formulieren, das ist doch klar, und es ist auch eine Selbstverständlichkeit, dass die Truppen abgezogen werden, wenn das Ziel erreicht ist. Heißt Exit-Strategie nicht auch, wie kommen wir da wieder heraus, wenn nicht alles nach Plan läuft?

    Jung: Exit-Strategie heißt, wir müssen für die selbsttragende Sicherheit sorgen, im Klartext, wir müssen unseren Auftrag insofern erfüllen. Wenn wir jetzt einfach abziehen würden und den Rückfall in das Ausbildungszentrum für den Terrorismus wieder in Kauf nehmen würden, würde dies auch zusätzlich unsere Sicherheit gefährden. Deshalb muss hier dieser Aufbau der Streitkräfte und der Polizei vorangetrieben werden. Ich habe Ihnen gerade schon die Zahlen gesagt. Wir sind dort auch schon erfolgreich unterwegs ,und ich bin ganz hoffnungsvoll, dass wir insgesamt in Afghanistan, sowohl was die NATO-geführte Operation anbetrifft, aber auch was die Ausbildung und den Aufbau von Sicherheitskräften anbetrifft, hier erfolgreich unseren Weg gehen.

    Remme: Herr Jung, Kurt Beck ist vor einigen Wochen vor allem aus den Reihen Ihrer Partei heftig kritisiert worden, als er einen Dialog mit den Taliban forderte. Können wir uns angesichts dieser Lage Tabus leisten?

    Jung: Es geht hier nicht um Tabus. Es ging um eine internationale Konferenz, und das Thema hat selbst die afghanische Regierung sehr deutlich kritisch bewertet, wie Sie wissen. Die andere Frage ist die, und das macht ja gerade auch die afghanische Regierung, wo teilweise in Gesprächen mit dafür gesorgt werden muss, einen Prozess einzuleiten, der diejenigen die bereit sind, von derartigen gewalttätigen, terroristischen Aktionen Abstand zu nehmen, aus dieser Szene herauszuholen. Wichtig ist wie ich finde, dass wir diese Rädelsführer dingfest machen. Deshalb werden wir jetzt auch alles daran setzen, die Drahtzieher dieses Anschlages in Kundus hier dingfest zu machen, denn es geht darum, dass arme Menschen hier als Selbstmordattentäter missbraucht werden und derartige perfide Morde geschehen. Das muss unsere Strategie sein, derartige Anschläge zu verhindern, indem wir die Drahtzieher dieser Anschläge auch dingfest machen.

    Remme: Die Soldaten, die getötet wurden, wollten Kühlschränke kaufen. Die hätte man natürlich aus Deutschland mitbringen können. Sie kaufen diese Kühlschränke offenbar gezielt vor Ort, um Kontakt zur Bevölkerung zu behalten. Sie sagen, es bleibt bei diesem Ansatz?

    Jung: Tatsache ist: Wir dürfen uns nicht einigeln. Wenn wir uns einigeln würden, wäre das im Hinblick auf das Vertrauen gewinnen in der Bevölkerung der falsche Weg. Wir müssen auch auf die Bevölkerung zugehen. Natürlich habe ich angeordnet, dass wir nur noch mit geschützten Fahrzeugen unterwegs sind seit Mitte des letzten Jahres. Dies war auch bei dieser Patrouille hier der Fall. Wir müssen aber auch auf die Menschen zugehen. Wer das Vertrauen der Menschen gewinnen will, muss auch in Kontakt mit ihnen kommen. Deshalb werden wir diesen Weg weiter gehen. Wir haben beispielsweise gestern in Kundus nach diesem Anschlag auch wieder eine entsprechende Patrouille durchgeführt, die sehr erfolgreich verlaufen ist. Wir dürfen uns durch derartige perfide Morde nicht von unserem Ziel abbringen lassen, Afghanistan zu stabilisieren und zu einer friedlichen Entwicklung zu kommen.

    Remme: Heißt das, wir müssen uns an Bilder wie die vom Samstag und die, die wir vermutlich in den nächsten Tagen von der Trauerfeier sehen, gewöhnen?

    Jung: Das heißt es nicht. Tatsache ist aber, dass wir seit 2003 jetzt den schlimmsten Anschlag wieder als Bundeswehr hier haben zur Kenntnis nehmen müssen. Ich sage noch einmal: Wir müssen alles daran setzen, erstens die Drahtzieher jetzt dingfest zu machen, zweitens aber auch unseren Weg fortzusetzen von Sicherheit und Wiederaufbau und die Bevölkerung an unsere Seite bekommen, das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen. Das ist das Entscheidende, damit auch, und da bin ich sicher, auch die Bevölkerung sich deutlich gegen derartige Aktivitäten zur Wehr setzt. Es ist eine Solidarisierung, die hier stattfindet mit uns, denn Tatsache ist ja auch: es sind fünf Afghanen ums Leben gekommen. Es sind sieben Schwerverletzte und Neun leicht verletzt. Derartige Aktivitäten bringen auch die Bevölkerung gegen solche terroristische Maßnahmen auf.

    Remme: Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung war das. Herr Jung, vielen Dank für das Gespräch.

    Jung: Gerne, Herr Remme!