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Jung, provozierend, kritisch

Etwas mehr als ein Jahr ist es her, dass sich das Kosovo einseitig von Serbien für unabhängig erklärt hat. Aber noch immer leidet die Bevölkerung unter den Kriegsfolgen und der jahrelangen Unterdrückung. Doch es gibt auch Anzeichen für einen Aufbruch: Jeton Neziraj hat als Leiter des Nationaltheaters Kosovo für frischen Wind in der lange Zeit als verstaubt geltenden Einrichtung gesorgt.

Von Dirk Auer | 01.05.2009
    Generalprobe im Nationaltheater: Jeton Neziraj, im blau-weiß gestreiften Kapuzenshirt, steht im Zuschauerraum und blickt auf die Bühne. Bis vor einem Jahr war er noch Leiter des Multimedia Centres, einer unabhängigen Theaterinitiative, die mit internationalen Koproduktionen auch über den Kosovo hinaus bekannt wurde.

    "Ich habe lange gezögert, diese Stelle am Nationaltheater anzunehmen. Aber das Gute war: Zum ersten Mal hatte bei der Besetzung die Politik nicht ihre Finger im Spiel. Und auch jetzt redet mir niemand bei der Auswahl der Stücke und der Regisseure rein. Und so hoffe ich wirklich, das Nationaltheater – die Stücke, die Dramaturgie – auf ein zeitgemäßes Niveau bringen zu können."

    Für morgen steht "Tartuffe" von Molière auf dem Programm. Die Regie führt Gastregisseur Rahim Burhan, ein in Mazedonien geborener Rom, der seit 15 Jahren in Deutschland lebt und arbeitet.

    "Es geht um den Verfall der Familie - ein Prozess, der für die kosovarische Gesellschaft von großer Bedeutung ist. Denn in Kosovo war die Familie immer eine sehr starke Institution, wie ein Staat im Staat. Aber auch das beginnt sich zu ändern: Die jungen Leute reisen, es gibt hier viele Mitarbeiter internationaler Organisationen. Es ist wichtig, dass wir diese dramatischen Veränderungen im Theater thematisieren."

    Auf der Bühne ein Stimmengewirr aus Serbisch und Albanisch – fast wie zur Zeit des alten Jugoslawiens, als das Theater in den 60er-Jahren einen plötzlichen Aufschwung erlebte. Damals betrat eine neue Generation von Schauspielern und Regisseuren die Bühne, ausgebildet in Belgrad, Zagreb oder Ljublijana – den Blick konsequent nach Europa gerichtet.

    "Beckett bekam den Nobelpreis – und noch im selben Jahr wurden hier seine Stücke aufgeführt. Vor allem die 80er gelten hier als die goldene Zeit des Theaters. Das Volkstheater Kosovo, wie es damals noch hieß, war eines der berühmtesten im ganzen ehemaligen Jugoslawien. Es gab große Produktionen, die in vielen Städten aufgeführt und mit Preisen ausgezeichnet wurden."

    Der Niedergang begann mit der Machtübernahme von Slobodan Milosevic. Das Theater bekam einen serbischen Direktor, auch die albanischen Regisseure und Schauspieler wurden fast alle entlassen. Eine ganze Generation ist dem Theater dadurch verloren gegangen – und daran leidet es bis heute.

    Der Premierenabend: Die Intellektuellen des Landes sitzen in der ersten Reihe, auch einige Minister sind gekommen. Die Kulturlandschaft im kleinen Kosovo ist überschaubar, eine neues Stück im Nationaltheater deshalb immer ein gesellschaftliches Ereignis. Doch die wirklich erfolgreichen Produktionen der letzten Jahre – sie lassen sich immer noch an einer Hand abzählen, mein Jeton Neziraj.

    "Das Problem ist, dass einige der älteren Regisseure immer noch einer alten folkloristischen Ästhetik verhaftet sind, und die jungen haben große Probleme, zu den internationalen Festivals zu reisen, weil sie nur sehr schwer ein Visum bekommen. Sie bekommen deshalb überhaupt kein Gespür dafür, was außerhalb des Kosovos passiert."

    Trotz Isolation und natürlich einer chronischen Unterfinanzierung: Inzwischen gibt es auch Lichtblicke. Viel versprechende Jung-Regisseure wie Ilir Bokshi, Florent Mehmeti oder Bekim Lumi, der mit seiner Inszenierung von Ionescos "Die Unterrichtsstunde" auch im Ausland gastierte. Wie inzwischen die Mehrzahl der Künstler behandelt Lumi die Erfahrung des Krieges nur noch indirekt. Das dokumentarische Theater der unmittelbaren Nachkriegszeit mit seinen pathetischen Erzählungen von Leid, Unterdrückung und Widerstand scheint damit langsam der Vergangenheit anzugehören. Eine Entwicklung, die Jeton Neziraj unbedingt unterstützen will.

    "Der Krieg kann nicht die ewige Karte sein, die wir spielen, um unsere Produktionen auch international zu vermarkten. Wir sind nur ein kleiner Ort in der europäischen Kulturlandschaft – und auf lange Sicht wird dich niemand auswählen, nur weil Du aus dem Kosovo kommst. Man muss einfach extrem gut sein."