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Junge Menschen für den Ingenieurberuf begeistern

Ekkehard Schulz, Vorstandsvorsitzender von ThyssenKrupp, will den Ingenieurberuf für den Nachwuchs attraktiver machen. Dazu sollen Ingenieure in Schulen gehen und anschaulichen Unterricht bieten. Zugleich solle das Studium praxisnäher gestaltet werden.

Ekkehard Schulz im Gespräch mit Dirk Müller | 22.09.2010
    Dirk Müller: Raten Sie doch mal mit: Welcher Beruf könnte das sein? Er soll jedenfalls äußerst abwechslungsreich und spannend sein, weil Sie zum Beispiel in diesem Job Künstler sind, weil Sie ein attraktives Studium absolvieren, das Theorie und Praxis verbindet, weil Sie krisenfest sind, weil Sie eine Menge Geld verdienen können und weil Sie die Umwelt schützen, weil Sie bis heute den größten Einfluss auf die Gestaltung der Welt haben. Welcher Beruf könnte das sein? – Es ist der Ingenieur, so weit die Auflösung des kurzen Rätsels, zumindest dann, wenn es nach Ekkehard Schulz geht. Er ist selbst Ingenieur und Vorstandsvorsitzender bei ThyssenKrupp. Der Unternehmenschef wirbt in seinem neuen Buch mit dem Titel "55 Gründe, Ingenieur zu werden" vor allem bei jungen Menschen dafür, diesen Weg einzuschlagen – auch ein gesellschaftspolitischer Beitrag dazu, mittelfristig dem allseits beklagten Mangel an hoch qualifizierten Fachkräften hierzulande entgegenzusteuern.
    Ekkehard Schulz ist hier im Deutschlandfunk nun bei uns am Telefon. Guten Morgen!

    Ekkehard Schulz: Guten Morgen, Herr Müller!

    Müller: Herr Schulz, sollten Regierungschefs auch Ingenieure sein?

    Schulz: Das wäre kein Fehler. Ich kenne ein Land, wo sehr viele Ingenieure in der Regierung sind, und das ist in China der Fall, und das zeigt, dass Ingenieure in der Politik gute Arbeit leisten.

    Müller: Aber Ingenieure sind nicht automatisch Demokraten?

    Schulz: Das ist so richtig, aber China ist ja auf dem Weg in eine Demokratie.

    Müller: Wenn wir auf Ihr Buch zu sprechen kommen, auf Ihre Thesen zu sprechen kommen, dann sagen Sie ja im Grunde, das ist eine große Sache für jeden jungen Menschen, das anzugehen, wir haben viel zu wenig davon. Woran liegt das?

    Schulz: Wir müssen mehr Begeisterung bei jungen Menschen für diesen faszinierenden Beruf des Ingenieurs wecken, und dazu soll dieses Buch dienen, dass wir junge Menschen, Schüler, aber auch vor allen Dingen junge Mädchen ansprechen, diesen wirklich fantastischen Beruf zu ergreifen, und ich hoffe, dass uns das mit diesem Buch gelingt.

    Müller: Worin sehen Sie denn die Ursachen, dass das bislang in den letzten Jahrzehnten nicht so richtig funktioniert?

    Schulz: Die Ursachen sind mannigfaltig. Natürlich ist das Studium nicht ganz einfach. In aller Regel kommt die Technik auch so ein bisschen sperrig daher. Junge Menschen gehen zwar ganz selbstverständlich mit Technik um, aber das tun sie ja im täglichen Leben – sei es in der Mobilität, sei es mit Informationstechnologie, sei es mit Computern -, sie gehen ganz selbstverständlich damit um, aber nur wenige interessieren sich dafür, wie Technik funktioniert. Und diese Hürde muss genau überwunden werden, dass man diese Neugier, diese Begeisterung weckt, damit junge Menschen sich eben für die Technik mehr interessieren und den technischen Beruf dann am Ende auch wählen und das studieren.

    Müller: Jüngst, Herr Schulz, haben ja Lehrerverbände sowie auch naturwissenschaftliche Verbände beklagt, dass der Unterricht in der Schule mit Blick auf die Naturwissenschaften offenbar zu schwierig ist. Könnte da was dran sein?

    Schulz: Ja, das ist so. Die Naturwissenschaften sind nicht einfach. Die Hürden in Mathematik, Physik, Chemie sind häufig sehr hoch in der Schule und deshalb wählen viele Schülerinnen und Schüler hier den einfacheren Weg. Aber man muss sehr früh damit beginnen, schon den Schülern in der Grundschule mit einfachen Projekten hier die Technik verständlich zu machen, sie spielerisch an die Technik heranzuführen. Wir haben ein Projekt "Brückenkiste" hier für Grundschulen entwickelt, mit dem wir in die Schulen gehen, und was wir auch tun, ist, dass Ingenieure in die Schulen gehen und Technikunterricht geben im Rahmen der Physik oder der Chemie, wo es gerade hinpasst, um hier die Technik etwas anschaulicher zu vermitteln.

    Müller: Bleiben wir mal bei dieser Komplexität, Herr Schulz. Physik, Chemie, Biologie, Mathematik, das steht immer verpflichtend auf dem Stundenplan. Sind das zu viele Fächer? Hat man dort zu wenig Verbindungen unter den Fächern miteinander?

    Schulz: Ob es nun zu viele Fächer sind, das kann ich nicht beurteilen, da bin ich zu wenig pädagogisch geschult, um das beurteilen zu können. Aber was entscheidend ist: es muss mehr die praktische Nutzanwendung in diesen Fächern gelehrt werden, damit es eben nicht zu theoretisch ist, sondern es muss praxisnäher, es muss lebensnäher, es muss praxisnäher den jungen Menschen dargeboten werden. Dann könnte ich mir vorstellen, dass sich die jungen Menschen dafür auch interessieren und dann auch dafür begeistern lassen.

    Müller: Die Schule ist der eine Schritt. Der nächste, noch größere Schritt wäre dann die Universität, die Hochschule. Was muss da passieren?

    Schulz: In den Hochschulen – ich glaube, dann ist die Entscheidung ja getroffen. Wenn sich jemand für das Ingenieurstudium entscheidet, dann geht es darum, dass wir die Abbrecherquote reduzieren. Wir haben ja bei Ingenieurberufen und gerade bei Ingenieurberufen oder in den sogenannten MINT-Fächern, also Mathematik, Ingenieur, Naturwissenschaften, Technikwissenschaften, zu viele Abbrecher. Die Quote liegt bei 40 Prozent, und das ist einfach zu hoch und deshalb muss man auch an das Studium heran und sehen, wie kann man das Studium so gestalten, dass nicht über die theoretischen Hürden zu viele dann zu früh ausscheiden und die Flinte ins Korn werfen. Das darf nicht passieren.

    Müller: Weil es, wie Sie sagen, oft zu theoretisch und zu wissenschaftlich zugeht?

    Schulz: So ist es. Es hilft ja jetzt die neue Studienrichtung, die wir haben, mit Bachelor und Master, dass wir doch zumindest über den ersten Abschluss des Bachelors hier die Chance haben, die jungen Menschen erst mal in den Beruf zu bringen und dann im Wege des Autodidaktentums und des Selbststudiums oder der Weiterbildung dann sich entsprechend auch weiterzubilden.

    Müller: Selbst, Herr Schulz, wenn in dem Bereich etwas passiert in den nächsten Jahren, dann müsste man ja auf die Früchte dementsprechend lange warten. Wir haben ein akutes Problem mit Fachkräften in der deutschen Industrie, im deutschen Mittelstand. Haben Sie da eine Lösung parat?

    Schulz: Ja. Der ganz praktische Vorschlag könnte so aussehen: von den Hochschulabsolventen – und das sind ja in Deutschland fast 40.000; die letzte Zahl sind, glaube ich, 37.000 Hochschulabsolventen der Ingenieurwissenschaften – ist ja ein hoher Anteil ausländischer Studierender, die nach dem Studium wieder in ihre Heimatländer zurückgehen. Wenn man ihnen hier in Deutschland ein attraktives Angebot macht, hier zu bleiben, könnte ich mir vorstellen, das für einen Zeitraum, der für sie auch von Interesse sein könnte, drei bis fünf Jahre, könnte man zumindest einen Teil dieser Lücke schließen, und das wäre eine Maßnahme, die kurzfristig zu realisieren ist. Da muss die Politik helfen.

    Müller: Wenn ich Sie eben richtig verstanden habe, sagen Sie auch, die Politik hat uns da im Stich gelassen. Was hat sie versäumt?

    Schulz: Da hätte man mehr, da kann man mehr tun, um gerade ausländische Fachkräfte und hier ausländische Absolventen in Deutschland von den Hochschulen im Lande zu halten. Das wäre sicher ein erster ganz konkreter Schritt, der, glaube ich, ohne große Schwierigkeiten umzusetzen ist.

    Müller: Was wäre ein solcher Schritt? Aufenthaltsrecht?

    Schulz: Aufenthaltsrechte für einen Zeitraum von drei bis fünf Jahren.

    Müller: Und sind Sie da im Gespräch mit der Politik?

    Schulz: Die Verbände machen ja solche Vorschläge, BDI, BDA machen ja solche Vorschläge, oder der VDI, und jetzt hoffe ich, dass das auch irgendwann mal umgesetzt wird.

    Müller: Ist unter Schwarz-Gelb auch nicht besser geworden?

    Schulz: Bisher muss man sagen, leider nicht!

    Müller: Es gab ja noch die "Blue Card" beispielsweise für Inder. War das ein Projekt, was in die richtige Richtung ging?

    Schulz: Ich glaube, eher weniger. Ich glaube, dass das nicht der richtige Ansatz war. Da würde ich schon eher dafür plädieren, dass die jungen Menschen, die in Deutschland ausgebildet worden sind, hier auch die ersten Berufsjahre in unserem Lande verbringen können.

    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk Ekkehard Schulz, selbst Ingenieur und Vorstandsvorsitzender bei ThyssenKrupp. Er hat ein neues Buch geschrieben mit dem Titel "55 Gründe, Ingenieur zu werden". Auf Wiederhören und vielen Dank für das Gespräch.