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Junge Musikszene in Südamerika
Suche nach der eigenen Identität

Ob Brasilien, Kolumbien oder Chile: Seit einigen Jahren boomt die elektronische Musikszene in der Subkultur Südamerikas. Die Künstler haben ihren eigenen lateinamerikanischen Stil gefunden. Sie beziehen sich auf ihre Kulturgeschichte und beginnen sich zu vernetzen.

Von Marsida Lluca | 09.10.2017
    Identität und Widerstand sind die Themen des DJ-Duos Roman & Castro. Die lateinamerikanische Elektroszene hat sich im Verborgenen entfaltet und steht jetzt in voller Blüte.
    Identität und Widerstand sind die Themen des DJ-Duos Roman & Castro. Im Verborgenen hat sich der Elektro in Lateinamerika entfaltet, steht aber inzwischen in voller Blüte. (Deutschlandradio / Marsida Lluca)
    Soundcheck im Freien - im Kulturzentrum Matucana 100 - mitten in der Stadt. Im Innenhof der ehemaligen Lagerhallen hallt der Bass von den Backsteinwänden wider: Das chilenische DJ-Duo Roman&Castro steht am provisorischen Mischpult. Beide in den Dreißigern gehören sie zu den bekanntesten DJs in Chile. Auch in den Nachbarländern haben sie bereits aufgelegt, sie kennen sich gut in der Szene aus. Es gebe einen Trend, den er beobachtet habe, erklärt Roman Sebastian: Die Suche nach der eigenen musikalischen Identität.
    "Ich glaube, in dieser Generation wurde viel dafür getan, Musik hier vor Ort zu machen für das eigene Publikum. Es gibt eine stärkere Identität. Es ist vielleicht schon das Gefühl eher zur Dritten Welt zu gehören, dann aber trotzdem Musik mit einem Gefühl von Anmut und mit Spaß zu machen. Nicht zu sehr nach Europa oder in die USA zu schauen, sondern die vorhandenen Ressourcen hier zu nutzen, die eigene Sprache. Viele fühlen sich so auch stärker mit der Musik verbunden."
    Angesagte DJs wie die Chilenen Ricardo Villalobos oder Luciano haben sich längst einen Namen gemacht, so wie sie leben auch andere bekannte lateinamerikanische Musiker mittlerweile außerhalb ihrer Heimatländer - etwa Nicola Cruz aus Ecuador. Andere hingegen bleiben, so wie das erfolgreiche Duo DJs Pareja aus Buenos Aires. "Der Club der Verrückten" heißt einer ihrer aktuellen Tracks - "El Club de la Locura".
    Düster, traditionell und psychedelisch
    Argentinien und Chile führen die elektronische Musikszene mit an. Kennzeichnend für beide Länder sind eher harte und düstere Klänge - viel Techhouse. Dahinter steckt der Einfluss der lang anhaltenden Diktaturen in beiden Ländern. Und die etwas zurückhaltendere Art der Menschen - nur im Vergleich zu anderen Latinos wohlgemerkt.
    Aber gerade auch die länderspezifisch prägenden musikalischen Rhythmen, hinterlassen ihre Spuren beim Kreieren und Auflegen: Das Dj-Duo Selvagem aus Brasilien arbeitet mit Tropicalia-Klängen. Cumbia und andine Musik spielen in Chile eine große Rolle, aus der Karibikregion Kolumbiens kommt die afrokolumbianische Musikrichtung la Champeta.
    Beim tropikalischen Bass-Duo Dengue Dengue Dengue aus Lima, Peru, ist die Chicha, die psychedelische Version der Cumbia deutlich hörbar - zum Beispiel hier im Soundtrack "Serpiente Dorada" - Vergoldete Schlange".
    Seit etwa zehn Jahren hat sich der Elektro in Süd- und Lateinamerika verbreitet und weiter entwickelt. Das liegt auch daran, dass das Equipment günstiger geworden ist. Dadurch haben sich die Produktionsbedingungen der DJs verbessert, auch wenn im Vergleich zu Europa die Honorare der DJs immer noch relativ gering sind. Als Künstler lebt es sich nicht einfach. Alles komme aus einer Hand: Auflegen, Produzieren, Locations finden, Promoten, erklärt Nicolás Castro, chilenischer DJ, Produzent und Musikjournalist.
    "Auch wenn das jeder noch auf eigene Faust macht, aber zumindest hat eine Vernetzung begonnen, auch unter verschiedenen, lateinamerikanischen Agenten. Falls diese lateinamerikanische Union wirklich stärker wird, dann wird es vielleicht nicht mehr so notwendig sein, viele Künstler von außerhalb zu holen."
    Realer Widerstand
    Auch das Konsumentenverhalten der lateinamerikanischen Mittelschicht ist gewachsen. Festivals und Gigs werden stärker besucht, junge Leute leisten sich Musik. Das Problem sei es, geeignete Orte zum Auflegen zu finden und die dafür notwendigen Genehmigungen. Also werde improvisiert und viel im Underground gespielt, meint Nico Castro:
    "Was wir und andere Kollegen machen ist viel Underground. Viele Orte haben ihren Underground, aber der lateinamerikanische, denke ich, ist wirklich noch verborgener. Weil es nicht viele Clubs zum Auflegen gibt, es bleibt dir nicht viel anderes übrig, es ist realer Widerstand."