Donnerstag, 28. März 2024

Archiv


Junge ohne Erfolg

"Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao" kürte die New York Times zum besten Roman des Jahres 2007. Hauptfigur des in der Dominikanischen Republik spielenden Buches ist der fette, introvertierte Oscar - das glatte Gegenstück zum unwiderstehlichen Latin Lover.

Von Margrit Klingler-Clavijo | 24.08.2009
    "Fukú ist ein Begriff aus der Folklore der Dominikanischen Republik zur Bezeichnung einer in Santo Domingo verbreiteten Glaubensvorstellung. In einigen Vierteln von Santo Domingo reden die Leute noch über Fukú und glauben daran. Ich habe diese Glaubensvorstellung als Aufhänger einer historischen Argumentation benutzt, um zu zeigen, wie Geschichte wirkt und wie sich die nationale Geschichte auf das Leben einer Familie auswirkt."
    So erklärt Junot Díaz die literarische Umfunktionierung einer in Santo Domingo beheimateten Glaubensvorstellung, die mittels Verfluchung und Verwünschung jede Menge Unheil stiftet. Zu bannen ist ein Fukú nur durch einen potenten Gegenzauber, ein Zak. Als solchen versteht Junot Díaz seinen Roman, in dem er in einer Art literarischem Exorzismus die Geschichte der Familie Cabral aufrollt, die er über drei Generationen hinweg erzählt, diskontinuierlich und fragmentarisch. Die Familie Cabral hat beeindruckende Frauengestalten vorzuweisen, Frauen mit unerschütterlichem Lebensmut wie La Inca, die Großmutter, deren Adoptivtochter Belí Hypatia sowie deren Tochter Lola. Anfang der 60er-Jahre war Belí Hypatía in die USA ausgewandert und in Paterson/New Jersey gelandet, wo sie seitdem mit ihren beiden Kindern Lola und Oscar lebt.

    Auf Geheiß der Großmutter musste Belí mit achtzehn in die USA auswandern, nachdem sie hochschwanger auf einem Zuckerrohrfeld von ein paar Schlägertypen derart misshandelt worden war, dass sie ihr Kind verloren hatte. Hinter dieser Misshandlung steckte La Fea, die es nicht verwinden konnte, dass ihr Ehemann Belí geschwängert hatte. La Fea war die Schwester von Rafael Leónidas Trujillo Molina. Dieser unersättlich nach Frauen, Geld und Macht gierende Diktator hatte von 1930 bis zu seiner Ermordung am 30. Mai 1961 die Dominikanische Republik in Angst und Schrecken versetzt.

    Schriftsteller wie Mario Vargas Llosa, Julia Alvárez, Edwige Danticat haben sich in jüngster Zeit mit verschiedenen Aspekten der Trujillo-Ära auseinandergesetzt, dagegen haben sich, wie Junot Díaz betont, ihre dominikanischen Kollegen längst anderen Themen zugewandt.

    "Es hieß, das Schlimmste, was ein Schriftsteller tun könne, sei über Trujillo zu schreiben, vor allem ein Schriftsteller aus der Dominikanischen Republik, wo sich dieses Thema einfach erschöpft hat. In dem Roman geht es zwar auch um Trujillo, doch nicht um das Übliche. Trujillo war der berühmteste und modernste Praktikant einer der ältesten Traditionen der Karibik, der zufolge ein Mann als Herr des Landes all seine Sklavinnen vergewaltigen kann. Das ist nichts Neues, Trujillo hat nur die Namen ausgetauscht: Sie sind nicht mehr meine Sklavinnen, sondern meine Bürgerinnen. Ansonsten bleibt alles beim Alten. Trujillo kommt mit dieser grässlichen und hässlichen Praktik aus einem uralten Teil der Karibik."
    Junot Díaz interessiert sich nicht für die Figur des Diktators. Demonstrativ verbannt er die historischen Fakten der Trujillo-Diktatur in 87 Fußnoten und richtet sein Augenmerk auf die psychischen und körperlichen Folgeschäden von Trujillos Gewaltherrschaft, die etliche Dominikanerinnen hautnah erfuhren in Form von sexuellem Missbrauch. In den meisten Familien wurde dies verschwiegen und wirkte unterschwellig als unverarbeitetes Trauma weiter, oft über Generationen hinweg.

    "In der Karibik gehen meines Erachtens viele Traumata auf die gleiche, ungemein hässliche Geschichte zurück, der man sich in vielen Ländern der Karibik noch nicht gestellt hat, weshalb sich auch nichts geändert hat. Heute gibt es zwar keinen Trujillo mehr, nur fünf Millionen Trujillos, die junge Mädchen vergewaltigen, nach Lust und Laune handeln und dabei ungestraft davonkommen. Wenn wir tatsächlich in der Karibik und auch in den USA einen Wandel herbeiführen wollen, müssen wir uns dieser schmerzlichen Geschichte stellen. In der Neuen Welt hat ein Mann noch immer dieses Recht, das heißt der Missbrauch geht weiter."
    Junot Díaz beschreibt diesen Machismo ex-negativo anhand des Außenseiters Oscar Wao. Der ist fett, introvertiert und sexuell unerfahren, also das glatte Gegenstück des unwiderstehlichen Latin Lovers.

    "Ich halte ihn für den undominikanischsten aller Dominikaner. Um eine Kultur zu verstehen, muss man sich Menschen suchen, die am Rande leben, am Rande der kulturellen Mitte. Wie er auf die Privilegien seines Geschlechtes reagiert, all dies ist wichtig, um zu verstehen, dass Oscar tatsächlich am äußersten Rand lebt. Ich habe regelrecht auf diesen armen Kerl eingeprügelt. Wenn von einer Kultur der Karibik die Rede ist, in der die Männer den Ruf genießen, gestandene Machos zu sein und viele Frauen zu haben, lässt sich diese Kultur am besten anhand eines Jungen ohne Erfolg erhellen. An einer Romanfigur wie Oscar wird klar, welch hohe Bedeutung der Männlichkeit beigemessen wird."

    Dabei existiert Oscars Liebesleben nur als Wunschvorstellung. De facto lassen ihn die Girls in der Highschool und später auf dem Uni-Campus abblitzen; lang bleibt er der einsame Bücherfreak, der, wenn er mal nicht liest oder schreibt, seine Verzweiflung im Alkohol ertränkt, gelegentlich sogar trüben Selbstmordgedanken nachhängt, weil er sich mal wieder unglücklich verliebt hat oder nicht weiß, wer er ist, was Junot Díaz wie folgt beschreibt:

    Die weißen Studenten sahen seine schwarze Haut und seinen Afro und begegneten ihm mit unmenschlicher Fröhlichkeit. Die Dunkelhäutigen hörten ihn reden und sahen, wie er sich bewegte, und schüttelten den Kopf. Du bist kein Dominikaner. Und er sagte immer wieder: Doch, bin ich. Soy dominicano. Dominicano soy. Und bevor er auch nur wusste, wie ihm geschah, hatte er sich in etwas vergraben, was der College Variante seines Hauptfachs an der Highschool gleichkam: Leben ohne Muschis.
    Seine Unschuld verliert Oscar Wao erst mit dreiundzwanzig in Santo Domingo mit einer älteren Prostituierten. Oscar zufolge markiert diese Liebe den Beginn "seines wahren Lebens." Es ist von kurzer Dauer, weil der eifersüchtige Freund dieser Prostituierten ein paar Schlägertypen anheuert, die Oscar, wie Jahre zuvor schon seine Mutter, auf ein entlegenes Zuckerrohrfeld schleppen und so brutal zusammenschlagen, dass er bald danach stirbt.

    Die Welt der Bücher und der Literatur sind in Junot Díaz Roman von herausragender Bedeutung. Oscar Wao liest alles Mögliche, was ihm in die Finger fällt: Comics, Science-Fiction, Fantasy-Romane. Er schreibt selbst, veröffentlicht jedoch nichts und wäre gern der "Tolkien der dominikanischen Literatur." Oscar Wao heißt er, nachdem er auf einer Halloween Party mit Oscar Wilde verglichen wurde, wobei der Name des englischen Schriftstellers im Spanischen zu Wao mutierte. Überhaupt hat der Roman einen ganz eigentümlichen Sound und Rhythmus, der aus dem häufigen Wechsel zwischen dem Spanischen und Englischen herrührt.

    "Sprachen und Ausdrucksweisen vermischen sich gern miteinander. Sie sind wie Flüssigkeiten, die einander durchdringen wollen. Das ist für mich normal. In den Kulturen der Grenze werden Sprachen zu etwas Neuem. Santo Domingo, die Dominikanische Republik, Nord- und Südamerika haben die großartigste Grenzkultur der Welt. Wenn man diese karibische Energie auf der Sprachebene zeigen will, muss man eine Sprache erfinden, eine Ausdrucksweise, eine Art zu schreiben, wo all diese Werte der Grenze sichtbar werden."
    Junot Díaz wechselt nicht nur mühelos von einer Sprache zur anderen, sondern knüpft mit großem Geschick und bewundernswerter Leichtigkeit an die Erzähltraditionen verschiedener Kulturen an. Das führt zu ungewohnten literarischen Symbiosen, wie beispielsweise zwischen Tolkiens "Herr der Ringe" und dem magischen Realismus der Karibik.

    "The way I see it I d'ont know why they would'nt mix, für mich ist das eine organische Vermischung. Mit Science-Fiction lässt sich Santo Domingo schneller oder tiefer verstehen, als mit realistischen Erzählformen. Meines Erachtens scheitert der Realismus in der Karibik."