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Junge Ohren Preis 2017
Interkulturelle Chorarbeit, Orchesterrallyes und Flashmobs

Musikalische Qualität und mit dem Publikum auf Augenhöhe - das ist dem Portal Junge Ohren wichtig bei Musikvermittlung. Mit einem eigenen Preis zeichnet das Netzwerk jedes Jahr herausragende Projekte aus. In Köln wurden die Nominierten und Preisträger vorgestellt und es wurde gezeigt, wie kreativ und vielfältig die Szene ist.

Von Sylvia Systermans | 06.02.2017
    Gruppenbild der Preisträger und Nominierten des "11. Junge Ohren Preis 2017"
    Prämierte Ideen: die Preistäger und Nominierten des "Junge Ohren"-Preises 2017 (Oliver Röckle)
    Musiker vom Rundfunksinfonieorchester Berlin stehen um einen Tisch. Vor sich ein Schneidebrett mit Obst, in der Hand hält jeder ein Messer. Kollegen aus dem RSB spielen einen schneidigen Tango, die Köche hacken dazu mit ihren Messern im Takt. Kinder zwischen drei und sechs Jahren sitzen drum herum und schauen begeistert zu. "Rapauke macht Musik" heißt das Education-Programm des Rundfunksinfonieorchesters Berlin, das Kindern Musik aus fünf Jahrhunderten kindgerecht nahebringen will.
    "Wir betrachten es immer als das Besondere unseres Orchesters, dass die ganze Education-Arbeit aus der Mitte des Orchesters heraus entstanden ist."
    Rudolf Döbler, stellvertretender Soloflötist des RSB.
    "Das heißt, wir Musiker haben die jahrelang in Eigenregie durchgeführt, haben erst seit drei, vier Jahren Isabell Stegner als Musikvermittlerin und 'Rapauke macht Musik' ist entstanden genau zu einem Zeitpunkt, als wir zusammen mit Isabell Stegner drüber nachgedacht haben, Musik auch für die jüngere Altersgruppe drei bis sechs anzubieten."
    Eine ausgezeichnete Arbeit befand die zehnköpfige Fachjury von "Junge Ohren". Das Rundfunksinfonieorchester Berlin und das Gürzenich Orchester Köln erhielten für ihre Musikvermittlungsprogramme den "Junge Ohren"-Preis in der Kategorie "Produktion". Eine Kategorie, mit der sich der Preis seit letztem Jahr inhaltlich neu ausgerichtet hat, erläutert die Geschäftsführerin vom "Netzwerk Junge Ohren", Lydia Grün.
    "Unsere Aufgabe als Netzwerk Junge Ohren ist es, immer wieder gegen den Strich zu bürsten. Und zu sagen, ist die Förderpolitik im Augenblick so, dass Vermittlungsarbeit auch wirklich nachhaltig eine Qualität gewährleisten kann. Und diese Frage haben wir mit Nein beantwortet und haben gesagt, wir müssen unsere Kategorien ändern. Dazu kam, muss man sagen, dass der Förderer sich geändert hat. Die DOV, die Deutsche Orchestergewerkschaft und die GVL sind seit Mitte letzten Jahres die neuen Förderer des Junge-Ohren-Preises und die haben natürlich ein veritables Interesse daran, dass sich Orchester verändern, dass da eine hohe Dynamik reinkommt und dass wir hier auch hinter die Kulissen blicken."
    "Junge Ohren" als Plattform für Austausch und Kommunikation
    Mehr als 250 Orchester, Ensembles, Konzerthäuser, Institutionen und Musikvermittler aus dem deutschsprachigen Raum haben sich in dem Netzwerk zusammengeschlossen. "Junge Ohren" versteht sich als zentrale Plattform für Austausch und Kommunikation, als Impulsgeber und Förderer. Denn gerade Musikvermittler seien oft Einzelkämpfer, so die Erfahrung von Lydia Grün, die für ihre Arbeit gegenüber GMDs und Orchesterkollegen bis hin zur Marketingabteilung, Verwaltung oder potenziellen Sponsoren Überzeugungsarbeit leisten müssten.
    Kein Konzerthaus, kein Orchester, kein freies Ensemble, das heute nicht auch ein Educationprogramm anbieten würde. Die acht nominierten und ausgezeichneten Projekte, die beim "Junge Ohren"-Preis in Köln vorgestellt wurden, vermittelten einen Eindruck, wie vielfältig und kreativ die Szene ist. Von Familienwochen über Stadtopern und interkulturelle Chorarbeit, Orchesterrallyes und musikalische Flashmobs bis zum klassischen Schulkonzert. Was macht ein gutes Musikvermittlungsprogramm aus, welche Kriterien sind für die Auszeichnung mit dem Junge Ohren-Preis relevant? Lydia Grün:
    "Es gibt viele verschiedene Kriterien dafür, aber zwei Punkte sind ganz besonders wichtig, und das ist zum einen natürlich die musikalische Qualität. Die Musik muss stimmen und dann kommt als Zweites hinzu, dass sie nicht von alleine funktioniert, sondern dass wir dann überlegen, wie begegnen wir unserem Publikum auch auf Augenhöhe, die mit dieser Musik noch keine Berührung hatten."
    "Es geht hier darum, ein Orchester für eine Stadt zu öffnen"
    Was will Musikvermittlung? Ist sie Marketing oder Bildungsangebot? Oder dient sie dem Selbsterhalt von Orchestern? Die Frage nach Sinn und Zweck von Educationprogrammen wurde über die Jahre verschieden beantwortet. Lydia Grün fasst den aktuellen Status quo so zusammen:
    "In der Musikvermittlung und das ist auch der Trend der letzten Jahre kann man nicht mehr sagen, das ist ein Instrument des Audience Developement, also ich möchte mehr Zuschauer gewinnen oder andere Zuschauer gewinnen oder es ist ein Marketing-Instrument oder es ist ein Instrument der kulturellen Bildung, sondern es vermischt sich. Es geht hier darum, ein Orchester für eine Stadt zu öffnen. Wir sensibilisieren eine Stadt und auch ihre Entscheidungsträger im politischen Raum für das, wofür wir brennen und das ist schon der Kern der klassischen Musik. Weil wir denken, dass dieses Kulturgut weiter Teil unserer Gesellschaft sein sollte."
    Thalia Kellmeyer, Leiterin der Abteilung Junges Theater Freiburg, trägt das Kulturgut Musik mit ihrer Vermittlungsarbeit gleich mit mehreren Projekten in die Stadt.
    "Was ich jetzt neu am Theater Freiburg aufgebaut habe und wofür mein Herzblut steht, sind die partizipativen und interkulturellen Projekte, dass man mit Laien Projekte umsetzt im Opernbereich, aber auch im Konzertbereich. Ich habe zwei Orchester gegründet, das ist das Heim- und Fluchtorchester, dort spielen Leute von überall, ein multinationales Orchester, und der Chor Attacca, der internationale Chor, hier proben wir wöchentlich und gehen dann zu Flashmobs in die Stadt in öffentlichen Raum."
    Ausgezeichnet wurde Thalia Kellmeyer für ihren innovativen Ansatz mit dem "Junge Ohren"-Preis in der Kategorie Exzellenz.
    "Die Kategorie Exzellenz nimmt eine Person in den Fokus", erläutert Lydia Grün. "Wir wollen die ins Scheinwerferlicht rücken, die sonst hinter der Bühne arbeiten. Es geht um Basisarbeit. Es geht nicht um das Hochglanzprojekt, wo der Bürgermeister hinterher ein gutes Foto beim Abschlusskonzert hat, sondern es geht um Nachhaltigkeit, Kontinuität auch fördertechnisch uns in das Budget der Institutionen zu integrieren."
    Viel unbezahlte Arbeit
    Feste Budgets für Musikvermittlung, so wurde in der Diskussion an der Kölner Musikhochschule deutlich, sind eher die Ausnahme als die Regel. Viel unbezahlte Arbeit wird in diesem Bereich geleistet, getragen von viel Idealismus. So lautete ein Appell aus den Reihen der Teilnehmer, die oftmals prekäre finanzielle Ausstattung von Musikvermittlungsprojekten durch das Netzwerk "Junge Ohren" auf einer breiteren Plattform zu diskutieren und Ideen zu entwickeln, wie man dem entgegenwirken kann. Denn auch das wurde beim "Junge Ohren"-Preis deutlich: die Frage nach qualifizierten Angeboten, aber auch die Anforderungen an den Bereich Musikvermittlung wächst.