Freitag, 19. April 2024

Archiv


Junge Stimmen auf CD

Neu erschienen sind verschiedene Porträt-CDs mit jungen Opernsängern und -sängerinnen:

Von Frank Kämpfer | 21.12.2003
    • Musikbeispiel: Mozart - 'Al fato dan legge’ aus: "Cosi fan tutte"

    Ob Söhne gleicher Eltern oder lediglich Brüder im Geiste - oder hier besser: Brüder in der gemeinsamen Tat: Ferrando und Guglielmo, das männliche Duo in Mozarts bitter-komischer Oper "Cosi fan tutte" entgegen dem Libretto als Brüder-Paar anzusehen - das liegt durchaus auf der Hand. Ist der eine zudem ein Bariton und der andere zufällig Tenor und sind beide miteinander verwandt, dann ist eine verkaufsversprechende Platten-Idee geboren.

    So geschehen im Falle der Anfang der 70er Jahre in Erfurt geborenen Brüder Genz, die ihre gemeinsame Profession, das Singen, sehr gern im Konzert, und dank der Deutschen Harmonia Mundi nun auch auf Platte zu Markte tragen.

    Bariton Stephan und Tenor Christoph Genz präsentieren sich knapp sechzig Minuten lang mit Arien und einigen wenigen Duetten von Mozart. Die Titelauswahl, diktiert zunächst von den Fächern der jungen Stimmen, kann die merkantile Eigendynamik nicht ganz verleugnen. Wie Booklet-Autor Ingo Dorfmüller in seinem hübschen, plausiblen Programmaufriss darlegt, ist weniger die stilistisch breite Palette als vielmehr das konventionelle Bild des singenden Charmeurs favorisiert. Der werbende Guglielmo, der betörende Don Giovanni, der erfolglose Nardo, die Eifersuchtstirade, die Arietta über den Handkuss und der träumerische Ombra-Gesang reihen Nummern ganz verschiedener Funktion und Machart zum opulenten Programm. Mozart, dem Kulturkonsumenten von heute als Verführer per se suggeriert, erscheint dem CD-Publikum in Re-Inkarnation zweier ostdeutscher Jung-Stars, deren Botschaft Programm scheint: reizende Nettigkeit. - Bariton Stephan Genz gibt eine passende Probe davon.

    • Musikbeispiel: Mozart - 'Nach der welchen Art und Weise’ aus: "Die verstellte Gärtnerin"

    Wohl bietet die bei der Deutschen Harmonia Mundi veröffentlichte Platte neben Schlagern der Mozart-Kultur auch unbekanntere Titel. Konzeptionell innovativ darf man sie trotzdem kaum nennen. Zwar suggerieren der Name des um historische Aufführungspraxis verdienten belgischen Orchesters La petite Bande und nicht zuletzt Dirigent Sigiswald Kuijken musikantische Ernsthaftigkeit - doch der perfekte Instrumentalklang hat weitgehend Wohlfühl-Funktion. Sound glättet, was so gewünscht heiter nicht wirklich ist; Sound rundet, damit Defizite schwinden. Etwa in der Wechseldramaturgie des Programms, oder in der stimmlichen Präsenz bei Tenor Christoph Genz, der seinem Bruder Stephan hier keineswegs gleichwertig ist. Auch gelungene Nummern finden sich, etwa die zarte Giovanni-Serenade, oder die bravouröse Klage Guglielmos, die beide Bariton Stephan Genz absolviert. Insgesamt aber vermittelt die in knappen drei Tagen produzierte CD bestenfalls Mittelmaß, Durchschnitt - eine nette Werbe-Idee, der es an überzeugender Sanges- und Verführungskraft in der Tat streckenweise fehlt.

    Das Auge kauft mit, und es kauft zuweilen ohne zu hören. Dessen eingedenk strahlt Vivica Genaux perfekt gestylt vom Cover ihrer ersten Solo-CD, derweil erläuternde Worte zu ihrer Person im Begleitheftchen fehlen. Dafür begründet Autor Michel Parouty in plaudrigem Ton recht mühsam ein Stimmfach, das Männer darstellt, das aber Frauen verkörpern.

    In der Tat, auch Vivica Genaux reibt sich an einem Opernklischee. Die 1970 in Alaska geborene Amerikanerin verfügt, obwohl sie als Sopranistin begann, über eine tiefe, gut bewegliche Mezzo-Stimme und ist daher prädestiniert für Kastraten- und Hosenrollen-Partien. In Deutschland wurde sie in der Titelpartie von Hasses "Solimano" in der Berliner Staatsoper Unter den Linden bekannt. Ihre erste Solo-CD, im Herbst bei Virgin Classics verlegt, enthält dramatisches Belcanto-Repertoire von Donizetti und Rossini. Darunter von Genaux früh und oft gesungene Arien wie die der Isabella aus "L’Italiana in Algeri" oder der Rosina aus dem "Barbier".

    • Musikbeispiel: Rossini - 'Cruda sorte! amor tiranno!’ aus: "L’italiana in Algeri"

    Vivica Genaux singt Rossini und Donizetti - begleitet vom Ensemble Orchestral de Paris unter der Leitung von John Nelson.

    Auch Natalie Dessays gleichfalls im Herbst bei Virgin Classics veröffentlichte "französische Platte" wirkt auf den ersten Blick gleichfalls wie ein Event-Produkt, das in diesem Fall Bonbons der beliebten heiteren Koloratursopran-Literatur präsentiert. Doch ein erstes Hineinhören vermittelt anderes als die verkaufsfördernde Etikette: Die 1965 geborene Französin präsentiert eine makellose Stimme, die über theatrale Qualitäten verfügt und ihren vermeintlich harmlosen Frauenfiguren Substanz und manche Abgründigkeiten verleiht. Nathalie Dessay - als Koloratursopran abonniert auf Blondchen, Adele oder Lakmé - bevorzugt als Sängerdarstellerin die Mehrschichtigkeit; ihre Frauenfiguren wirken emanzipiert, fragil und beschädigt zugleich. Auch mehrere schon ältere Platten künden davon. Ihre brandneue im Sommer 2003 mit dem Choeur 'Les Elements’ und dem Orchestre National du Capitole de Toulouse unter Michel Plasson produzierte Solo-CD ist das Dokument einer überwundenen stimmlichen Krise. Diese Porträtplatte wirkt gut durchkonzipiert, theatral differenziert und vital - und ist von Attitüden weitgehend frei. Zwölf höchst anspruchsvolle Titel von Offenbach bis zu Massenet, von Boieldieu bis zu Thomas bieten zudem Gelegenheit, aufzuräumen mit dem überkommenen Weiblichkeits-Entwurf geschönter virtuoser Harmlosigkeit.

    • Musikbeispiel: J. Massenet - 'Rire toujours?’ aus: "Manon"

    Nathalie Dessay mit einer Arie aus Jules Massenets "Manon". Diese und weitere französische Arien brachte das Label Virgin Classics heraus, bei dem kürzlich auch die erste Solo-CD von Vivica Genaux erschienen ist. Zuvor habe ich Ihnen die bei der Deutschen Harmonia Mundi erschienene Mozart-Platte der Brüder Christoph- und Stephan Genz angespielt.

    "Mozart - Arias & Duets"
    Solisten: Christoph & Stephan Genz
    Orchester: La Petite Bande
    Leitung: Sigiswald Kuijken
    Label: Deutsche Harmonia Mundi
    Labelcode: LC 00761
    Bestellnr.: CD DHM/BMG 82876 55782 2

    "Bel canto Arias - Donizetti/Rossini"
    Solistin: Vivica Genaux
    Orchester: Ensemble Orchestral de Paris
    Leitung: John Nelson
    Label: Virgin Classics
    Bestellnr.: 7243 5 45545 2 0

    "Airs d’Opéras francais"
    Solistin: Natalie Dessay
    Chor: Choeur 'Les Elements’
    Orchester: Orchestre National du Capitole de Toulouse
    Leitung: Michel Plasson
    Label: Virgin Classics
    Bestellnr.: 7243 5 45506 2 1