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Jungfernflug für Studentenflieger
Die Mü31 fliegt!

Studierende der TU München haben einen Segelflugzeug-Prototyp entwickelt - nach dem Prinzip eines Schulterdeckers. Weil der weniger Auftrieb verliert, hat man mehr Flugleistung. Nach semesterlanger Arbeit gab es nun den Jungfernflug - doch es liegt noch viel Arbeit vor dem Projektteam.

Von Michael Watzke | 18.09.2017
    Jungfern-Flug am Segelflugzentrum Königsdorf bei München
    Drei Dutzend Studenten haben eigenständig das Flugzeug Mü31 gebaut - darunter Maschinenbauer, Informatiker, Physiker (Deutschlandradio / Michael Watzke)
    "Okay, Trimmung ist leicht kopflastig. Bremsklappen eingefahren und verriegelt! Die Querruder in der eins freigängig, in der fünf freigängig ..."
    Letzter Start-Check vor dem Jungfern-Flug am Segelflugzentrum Königsdorf bei München. Im Cockpit der Mü31 sitzt Testpilot und Maschinenbau-Ingenieur Johannes Achleitner, Spitzname "Brezn". Die bange Frage: Wird der Prototyp fliegen?
    "Jetzt bin ich schon nervös, angespannt, konzentriert. Ich hoffe, alles passt." - "Viel Glück!" - "Danke!"
    Ein Starthelfer klinkt das Schleppseil zum Motorflugzeug ein, das den schneeweißen Segler der Akademischen Fliegergruppe München auf 3.000 Meter Höhe ziehen soll.
    "Bist Du soweit?" - "Ja!" - "Aus! Ein!" - "Seil straff!"
    Drei Dutzend Studenten entwickelten den Prototypen
    Zwei Stunden zuvor: Sandra Müller, 27, Spitzname "Mörtel", begrüßt rund 300 Gäste vor der Flugzeughalle der Akaflieg. Hier und in einer Werkstatt der Technischen Universität München haben die Studierenden das Flugzeug gebaut.
    "Sehr geehrte Damen und Herren. Wir, die Akaflieg, wollen unseren neuesten Prototypen, die Mü31, heute das erste Mal in der Luft sehen."

    Maschinenbauerin Müller ist die Chefin der Gruppe: drei Dutzend Studenten, die ganz eigenständig Flugzeuge konstruieren, bauen und fliegen. Fluggeräte wie die Mü31, den 31. Prototypen in der 90-jährigen Geschichte des Vereins.
    Jungfern-Flug am Segelflugzentrum Königsdorf bei München.
    Der Flügel-Rumpf-Übergang des neuen Segelflugzeugs ist besonders filigran gestaltet (Deutschlandradio / Michael Watzke)
    Ein Gemeinschaftsprojekt, erklärt Studentin Tessa Weigelt, Spitzname "Jetlag": "Unser Team funktioniert, weil wir alle verschieden sind, verschiedenen Studiengängen nachgehen. Wir haben nicht nur Maschinenbauer, sondern auch Luft- und Raumfahrzeugstudenten, Fahrzeugtechniker, Informatiker, Physiker, sogar Lehramts-Studenten. In dieser komplett durchgemischten Gruppe kann jeder seine Stärken ausleben."
    Schulterdecker neu entdeckt
    Inzwischen ist Testpilot Johannes "Brezn" Achleitner hinter der Motormaschine auf 3.000 Meter gestiegen und hat das Schleppseil ausgeklinkt. "Der Brezn wird erstmal geradeaus fliegen, er wird versuchen, leichte Kurven zu fliegen. Um herauszufinden, wie sich der Flieger in der Luft verhält."
    Das Geheimnis des Segelflugzeugs Mü31 liegt hinter dem Cockpit - in der Verbindung des 15 Meter langen Flügels mit dem Rumpf. Diese Stelle ist aerodynamisch optimiert und soll fünf Prozent Luftwiderstand einsparen. "Man nennt das Schulterdecker. Das heißt, die Flügel sind oben auf dem Rumpf angeordnet. Das hat den Vorteil, banal gesagt, dass die Flügeloberseite durchgängig ist und man deshalb weniger Auftrieb verliert. Auftrieb bringt direkt Flugleistung."

    Schulterdecker gab es im Segelflug schon früher. In der Anfangszeit der Fliegerei waren sie sogar vorherrschend. Die Akaflieg-Studenten haben das Bauprinzip wiederentdeckt - und im Windkanal der TU München strömungstechnisch perfektioniert. Durch neue Fertigungstechniken haben sie den Flügel-Rumpf-Übergang besonders filigran gestaltet. Das hat den Studenten viele Semester Kopfzerbrechen bereitet.
    Johannes Achleitner beim Jungfern-Flug am Segelflugzentrum Königsdorf bei München.
    Johannes Achleitner beim Jungfern-Flug am Segelflugzentrum Königsdorf bei München. (Deutschlandradio / Michael Watzke)
    Eine Woche vor Erstflug grünes Licht der Zulassungsbehörde
    "Nachtschichten haben wir gehabt, scheinbar unüberwindliche Probleme sind während des Baus aufgetaucht." Doch die Akaflieger gaben nicht auf - bis Flugzeug-Prüfer Bernd Feichtinger im Frühjahr 2017 dem Luftfahrt-Bundesamt tausende Seiten Baubeschreibung zuschicken konnte.
    "Ja, das war prickelig. Das ist diffizil. Aber wir haben einen sehr umfangreichen Belastungstest der Steuerung gemacht. Sogar zweimal. Also das ist alles hundertprozentig!"

    Erst eine Woche vor dem Erstflug gab die Zulassungsbehörde endgültig grünes Licht. Und jetzt? Testpilot Brezn funkt aus dem Cockpit: "Fliegt!" - "Es fliegt, hat er gerufen. Sieht ganz schön aus, wenn man das erste Mal so ein Projekt nach 13 Jahren am Fliegen sieht", sagt Maschinenbau-Student und Mitkonstrukteur Julius Hoffellner, Spitzname "Antares". "Jetzt geht's erst richtig los mit der Flugerprobung. Wir müssen zig Stunden fliegen, bis alle Punkte für die Flugzulassung erflogen sind."
    Ob die Mü31 der Akaflieg München ihre im Windkanal errechneten Leistungen auch in der Praxis erreicht, wollen die Studenten nun mit Vergleichsflügen testen. Erst einmal feiern sie aber die gelungene Landung ihres Prototypen: "Die 0031 im Endanflug auf die zehn. Fahrwerk ausgefahren und verriegelt!"
    Und dann, einer uralten Tradition der Akaflieg-Studenten folgend, landet der Testpilot im Löschteich neben der Flugzeughalle. "Drei! Zwei! Eins!" Platsch.