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Jurist und Gedächtnischamp

In China startet die Gedächnisweltmeisterschaft. Simon Reinhard, ein Meister des Merkens, wird dabei sein. Er bringt in der Bibliothek sein Gedächtnis in Höchstform und nutzt sein Können auch als Jurist.

Von Norman Laryea | 25.11.2010
    Norman Laryea: Wenn Sie sich wundern sollten, warum ich jetzt in den nächsten Minuten etwas leiser spreche - das hat einen ganz einfachen Grund. Ich befinde mich gerade in der Stadtbibliothek in München und ich bin auch nicht alleine, sondern ich habe einen leibhaftigen WM-Teilnehmer neben mir sitzen - Simon Reinhard. Gehört zu den weltbesten Gedächtnissportlern. Sie sind als Rechtsanwalt tätig. Die Techniken, die Sie jetzt auch als Leistungssport anwenden, was bringen die Ihnen im beruflichen Alltag?

    Simon Reinhard: Der Vorteil dabei ist: Wenn ich irgendetwas habe, zum Beispiel ein aktuelles Urteil, das ich mir unbedingt einprägen will und das ich auch wirklich exakt parat haben will, dann weiß ich, dass ich die Techniken anwenden kann und mir das damit auch mit ein bisschen Zeitinvestition, wirklich exakt einprägen kann.

    Laryea: Das sagen Sie jetzt! Wir sitzen ja nicht umsonst hier in der Stadtbibliothek und unterhalten uns mit gedämpften Stimmen. Sondern wir sitzen hier, weil wir uns ein Buch gleich schnappen werden aus ihrem Fachbereich, aus dem Bereich Jura. Und die Aufgabe wird sein, dass Sie sich in kürzester Zeit einen relativ komplexen Text mit, für den normalen Zuhörer, vielen Fremdwörtern einprägen werden und dann schauen wir mal, ob ihr Gedächtnis wirklich so perfekt funktioniert. Sind sie so weit?

    Reinhard: Ich bin soweit, ja.

    Laryea: Hier sind vor mir ungefähr vielleicht 300 Bücher. Und ich greife einfach mal direkt geradeaus und hier steht: "Gesetzliche Unfallversicherungen". Seien Sie ehrlich - da freuen Sie sich doch schon!

    Reinhard: Natürlich! Solange es nicht zu Unfällen führt. Aber das können wir uns ja mal anschauen.

    Laryea: Hoffen wir mal das dieser Versuch jetzt kein Unfall wird. Jetzt haben wir uns eine Seite rausgesucht: Seite 83 ist es, mit dem wunderschönen Überpunkt "A. Grenzpunkte". Und er wird sich jetzt eine komplette Seite aus diesem Buch einprägen und ich halte den Mund, damit er sich konzentrieren kann. Jetzt bin ich ein paar Meter von ihm weggegangen. Der arme Mann! Muss jetzt juristische Fachtexte in seiner Freizeit auswendig lernen!

    Insgesamt 20 Minuten haben Sie jetzt gebraucht. Sind sie zuversichtlich?

    Reinhard: Mal gucken. Also halbwegs. Ich denke schon. Schau'n mer mal.

    Laryea: Ich kann nur sagen: Es ist zu 99,99 Prozent richtig. Drei Worte hatten Sie vergessen. Mal angenommen jemand, der noch nicht mit Gedächtnissport, mit diesen Techniken, vertraut ist, würde mehrere Abschnitte sinnhaft zusammenfassen wollen. Wie genau geht der vor?

    Reinhard: Ich denke mal die meisten Menschen versuchen ja auch die Bedeutung von einem Text bildlich nachzuvollziehen. Wenn man jetzt ein Buch liest, das einem gefällt, da entsteht ja auch ein eigener Film im Kopf sozusagen, den man dann sieht oder auch eine Handlung, die sich abspielt. Und damit das Ganze dann auch zusammenhängt, habe ich einen vorgefertigten Weg. Das ist die 'Wegmethode' kann man sie nennen. Dass man halt das sich zunutze macht, dass sich das Gehirn Dinge auch sehr sehr gut in Verbindung mit irgendwelchen räumlichen Umgebungen einprägt.

    Laryea: Das heißt, Sie würden dann quasi die einzelnen Absätze codieren, jeweils mit einem oder zwei Bildern und sie komprimieren dann den gesamten Text auf eine bestimmte Anzahl von Bildern, die dann genau das gleiche Wissen transportieren? Also komprimiert formuliert wird es am Ende eine chronologisch erzählte Bildgeschichte?

    Reinhard: Kann man so sagen.

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