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Justiz im Kongo
Gerechtigkeit nur gegen Geld

Im Kongo gibt es zwar Ermittler, Staatsanwälte und Richter - Anwälte kritisieren jedoch, staatliche Stellen würden erst tätig, nachdem Opfer oder deren Familien ihnen Geld gezahlt hätten. Deswegen werden viele Verbrechen nicht aufgeklärt.

Von Bettina Rühl | 15.09.2018
    Verdächtige während einer gerichtlichen Anhörung im Makala-Gefängnis in der kongolesischen Hauptstadt Kinshasa. Im Hintergrund der französische Schriftzug: "Le droit es dit" - "Das Recht ist gesprochen".
    Nicht jeder kann sich im Kongo auf die Justiz verlassen. Ohne Geld hätten Opfer eines Verbrechens kaum Zugang, meinen Kritiker. (AFP / Federico Scoppa)
    Es ist Sonntagmorgen, wie üblich ist Jaqueline Furaha Kanyenge in den Gottesdienst gegangen. Während der Messe entspannen sich die Gesichtszüge der 20-jährigen Kongolesin, die sonst so skeptisch wirkt und im Umgang mit Menschen sehr zurückhaltend ist.
    Im ihrem Dorf reden sie schlecht über die junge Frau, die eine dreijährige Tochter hat, aber nicht mit dem Vater des Kindes zusammen lebt. Dabei wissen alle, dass die kleine Bulangalire nach einer Vergewaltigung geboren wurde.
    "Der Täter war Polizist. Ich war auf dem Markt gewesen und auf dem Heimweg. Wir sind uns im Wald begegnet, er ist über mich hergefallen. Erst habe ich mich gewehrt, aber nach einer Zeit hatte ich keine Kraft mehr. Da hat er mich vergewaltigt."
    Als sie zu Hause war, erzählte die damals 16-jährige ihren Eltern, was ihr passiert war.
    "Meine Eltern haben aber nichts unternommen. Wir wussten ja nicht, wie wir den Polizisten finden sollten."
    Sie kamen noch nicht einmal auf die Idee, den Unbekannten anzuzeigen.
    "Nein, wir wussten ja nicht, wo wir ihn suchen sollten."
    "Unser Problem ist, dass unsere Justiz nicht tätig wird"
    Der Täter ist also straffrei geblieben. Und Furaha muss ohne jede Entschädigung oder Unterstützung zusehen, wie sie sich und ihre Tochter durchbringt. Das ist mühsam, denn schon vor Bulangalires Geburt reichte es immer nur knapp zum Überleben, die Felder von Furahas Familie geben nicht genug her. Wann immer es geht, arbeitet sie zusätzlich als Tagelöhnerin für andere Bauern.
    Vom Staat erhält sie keinerlei Hilfe, obwohl es sogar einer seiner Repräsentanten war, der das Verbrechen an Furaha verübt hat. Die einzige Unterstützung bekommt Furaha von der katholischen Kirche, von Mitgliedern des "Komitees für Gerechtigkeit und Frieden", kurz CDJP. Sie setzen sich für Menschen wie die junge Mutter ein, begleiten sie juristisch. Nene Bintu Iraki ist Anwältin und Mitglied des CDJP.
    "Die meisten Opfer kennen den Namen des Täters nicht, aber auch im Kongo kennt das Gesetz die Klage gegen Unbekannt. Unser Problem ist aber, dass unsere Justiz trotzdem nicht tätig wird. Die Richter beklagen sich ständig und sagen, dass sie kein Geld für Ermittlungen haben. Sie kriegen zwar ein Gehalt, aber sie verlangen von den Familien der Opfer zusätzliches Geld. Ohne das verlassen sie ihre Büros nicht, machen keine Ortsbesuche, ermitteln nicht. Selbst wenn man zu ihnen kommt und sagt: 'Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Typ da und da ist', setzen sie sich ohne Bezahlung nicht in Bewegung. Das entmutigt die Opfer natürlich."
    Mittellose Ermittler verlangen Geld, um tätig zu werden
    Weil das im Kongo bereits seit vielen Jahren so ist, denken die meisten Menschen schon gar nicht mehr an Polizei oder Justiz, wenn sie Opfer eines Verbrechens werden. Zivilgesellschaftliche Organisationen und das katholische CDJP versuchen das zu ändern, ermutigen die Menschen zu klagen.
    "Man braucht eine Organisation, die in der Lage ist, die Polizisten oder Vollstreckungsbeamten zu bezahlen. Sonst wird kein Haftbefehl durchgesetzt. Wenn man bei Gericht nachfragt, warum sie von den Opfern Geld fordern sagen sie: 'Wir haben selbst nichts, kein Arbeitsmaterial, kein Benzin - gar nichts.' Und das ist noch nicht einmal gelogen, weil die Regierung den Richtern keine Betriebskosten zahlt. Es ist lächerlich, dass wir eine Justiz haben, die ihre Arbeit nicht machen kann."
    "Der Zustand unserer Justiz ist beklagenswert. Um nicht zu sagen, dass sie überhaupt nicht existiert", bestätigt Anwalt Georges Kapiamba. Er leitet den "Kongolesischen Verein für den Zugang zu Justiz".
    "Es gibt Leute, die Ihnen sagen werden, dass wir im Kongo eine Justiz haben. Weil es Gerichtsgebäude, Staatsanwälte, Richter und Gerichtsschreiber gibt. Aber das ist die rein institutionelle Ebene. Das, was man unter Recht oder Gerechtigkeit versteht, gibt es hier nicht."
    "Die Aussichten sind nicht rosig"
    Wer kein Geld habe, sagt auch er, habe grundsätzlich keinen Zugang zur Justiz. Das hat auch eine politische Dimension. Vor allem jetzt, wo die Situation im Kampf um die nächste Präsidentschaftswahl extrem aufgeheizt ist.
    Regierungsgegner demonstrieren in der kongolesischen Stadt Kinshasa gegen Präsident Kabila.
    Im Kongo gibt es immer wieder Proteste gegen Präsident Kabila. Der weigerte sich seit 2016, die Macht abzugeben, obwohl seine letzte Amtszeit abgelaufen war. (AFP / John WESSELS)
    Der Kongo ist seit Monaten ein Pulverfass, die Menschen ringen mit der Regierung darum, dass freie und faire Wahlen stattfinden, die Neuwahl des Staatsoberhauptes und des Parlamentes ist überfällig. In den vergangenen Monaten haben die Sicherheitskräfte Demonstrationen mit harter Hand und oft blutig niedergeschlagen. Menschenrechtsorganisationen sprechen von mindestens 300 Toten und 5000 Verhafteten. Einige wurden anscheinend willkürlich freigelassen, andere bleiben anscheinend ebenso willkürlich in Haft. Für die kommenden Monate ist mit weiteren Protesten zu rechnen.
    "Die Aussichten sind nicht rosig. Wir sollten uns nicht täuschen lassen: Nur weil Präsident Kabila gesagt hat, er werde sich nicht um eine – unzulässige – dritte Amtszeit bewerben, ist noch längst nicht alles geregelt."