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Justiz in Frankreich
Syrer klagen gegen französische Dschihadisten

Im November 2014 zeigte ein IS-Propagandavideo, wie 14 syrische Soldaten brutal enthauptet wurden. Unter den Mördern waren auch französische Dschihadisten. Jetzt haben die Angehörigen der Opfer Klage gegen die Täter eingereicht. Ihr Vorwurf an die französische Justiz: Juristen gehen oft zu nachsichtig mit den Dschihadisten um.

Von Bettina Kaps | 13.09.2016
    Propaganda-Video der Terrormiliz IS (18.11.2015).
    Rund 1.700 französische Dschihadisten sind Schätzungen zufolge aktuell in Syrien. (dpa / picture-alliance / Nalkis Press)
    November 2014: Die Terrororganisation "Islamischer Staat" verbreitet ein brutales Propagandavideo. Es zeigt, wie 18 syrische Soldaten enthauptet werden. In Frankreich ist das Entsetzen besonders groß, weil einer der Mörder Maxime Hauchard heißt. Der heute 24-Jährige stammt aus einer Kleinstadt in der Normandie. Gegen ihn wird jetzt ermittelt. Der Pariser Rechtsanwalt Fabrice Delinde vertritt die Angehörigen der syrischen Opfer.
    "Aufgrund des Videos hat die französische Staatsanwaltschaft ein Untersuchungsverfahren eröffnet und einen internationalen Haftbefehl gegen Maxime Hauchard erlassen. Etwas später haben mich meine Mandanten beauftragt, als Nebenkläger aufzutreten."
    Der Kontakt kam über Bekannte zustande, sagt Delinde. Er selbst hat schon länger Verbindungen nach Syrien, 2013 war er auf Einladung der dortigen Anwaltskammer in Damaskus. Der Jurist bestreitet aber Sympathien für das Regime des Diktators Al-Assad.
    Fabrice Delinde vertrat zuerst nur eine Familie, deren Sohn nicht von Maxime Hauchard, sondern von einem anderen Dschihadisten geköpft wurde, wie das Video zeigt. Für den Rechtsanwalt steht fest:
    "Es handelt sich um Komplizenschaft. Jeder Mörder auf dem Video ist Helfershelfer der anderen Mörder, weil sie die Tat gemeinsam vorbereitet und in Szene gesetzt haben. Jeder einzelne ist an den Morden aller Opfer beteiligt."
    Ein wichtiger Schritt
    Ende Juni hat nun auch der Bruder des Opfers von Maxime Hauchard Rechtsanwalt Delinde beauftragt, ihn zu vertreten. Der junge Syrer soll Mitte Oktober in Paris vernommen werden. Für den Rechtsanwalt ein wichtiger Schritt: Er findet die französische Justiz generell zu nachsichtig, weil sie Dschihadisten nur wegen "Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung in Verbindung mit einem Terrorvorhaben" verfolge, aber nicht ihre tatsächlichen Verbrechen untersuche.
    Nicolas Hénin ist anderer Ansicht. Der Journalist war 2013 in Syrien zehn Monate lang von der Terrormiliz in Geiselhaft genommen worden. Unter seinen Gefängniswächtern waren auch Franzosen.
    "Die Justiz macht ihre Sache nicht schlecht. Die Bedrohung hat sich im Lauf der Jahre verändert, die Justiz hat sich darauf eingestellt."
    Januar 2015 markiert eine Zäsur: Vor den Anschlägen gegen das Satiremagazin "Charlie Hebdo" und den jüdischen Supermarkt wurde eine Reise in die Kriegsgebiete als Straftat verfolgt, die mit maximal zehn Jahren Gefängnis geahndet werden konnte. Außerdem galt der Grundsatz: Im Zweifel für den Angeklagten, sagt Hénin, Autor des Buches: "Der IS und die Fehler des Westens".
    "Wer aus Syrien zurückkam und behauptete: Ich habe nicht gekämpft, ich habe nur zugeguckt und wollte humanitäre Hilfe leisten, dem musste die Justiz konkrete Vergehen nachweisen, um ihn zu bestrafen. Aber seit Januar 2015 braucht die Justiz keine Bilder von Enthauptungen oder andere Beweise mehr. Heute werden alle Menschen, die in die Kriegsgebiete reisen, grundsätzlich als Verbrecher betrachtet."
    Enorm viel Arbeit für die Gerichte
    Diese Neuorientierung führt dazu, dass immer mehr Prozesse vor einem Geschworenengericht mit sieben Richtern verhandelt werden. Das Strafmaß kann mehr als 20 Jahre betragen.
    Angesichts fast 1.700 Franzosen in Syrien ist zu erwarten, dass auf die Gerichte noch enorm viel Arbeit zukommen wird.
    Trotzdem engagieren sich französische Juristen auch für die Zukunft in Syrien: Seit drei Jahren unterstützen sie syrische Kollegen, die geflohen sind, und bereiten sie auf die Zeit nach dem Krieg vor, sagt Antoine Garapon, Leiter einer juristischen Denkfabrik, die auch das Ministerium berät.
    "Es gibt mindestens drei große Probleme: Wie können die unzähligen Verbrechen gerichtet werden, die während des Kriegs auf allen Seiten begangen wurden? Wie können die Horrortaten des syrischen Geheimdienstes gerichtet werden, ohne dass ein Staatsstreich ausgelöst wird? Und wie kann eine syrische Justiz aufgebaut werden, die auch funktioniert.
    Nicht nur der Krieg ist ein Problem, die Justiz hat schon vor dem Krieg unter den Geheimdiensten und der enormen Korruption gelitten."
    Garapon und seine Mitstreiter wollen die syrischen Juristen bereits im Exil schulen. Dafür brauchen sie jetzt internationale Fördergelder.