Dienstag, 19. März 2024

Archiv

Justizreform in Polen
"Es gibt bereits einen Plan, das Wahlgesetz zu ändern"

Der Politologe Klaus Bachmann sieht die geplante Justizreform in Polen mit Sorge. Im Dlf sagte er, das östliche Nachbarland Deutschlands laufe aktuell Gefahr, zum autokratischen Staat im demokratischen Gewand zu werden. Ohne unabhängige Gerichte wäre Polen auch kein verlässliches EU-Partnerland mehr.

Klaus Bachmann im Gespräch mit Mario Dobovisek | 18.07.2017
    Professor Klaus Bachmann, Politologe, SWPS University Warschau
    Klaus Bachmann, Politik-Professor an der SWPS University in Warschau (Fabian May / Deutschlandradio)
    Mario Dobovisek: Die Justiz reformieren, das will die nationalkonservative Regierung in Polen, sie verändern, umbauen, Kritiker sagen, sie zerschlagen. Die ersten beiden Gesetze sind gerade durch Parlament und Senat gegangen. Ein drittes Gesetz hat die Regierung gerade hinterhergeschickt, mit dem der Justizminister die Richter des obersten Gerichtes ernennen und auch entlassen können soll. Dagegen wehrt sich die Opposition. Am Wochenende gingen Tausende Polen auf die Straße, und die vorsitzende Richterin des obersten Gerichtshofes, Malgorzata Gersdorf, kritisiert, das Gericht werde durch das Gesetz in ein dem Justizministerium angehängtes Gericht verwandelt.
    Politologe eben dort in Warschau an der SWPS, einer Privatuniversität, ist Klaus Bachmann, gerade zu Besuch in Köln und heute Morgen bei uns im Studio. Guten Morgen, Herr Bachmann.
    Klaus Bachmann: Guten Morgen.
    Dobovisek: Beobachten wir in Polen dieser Tage das Ende des Rechtsstaates?
    Bachmann: In gewisser Weise ja. Nicht unbedingt auf der unteren Ebene. Wenn ich meinen Nachbarn verklage, weil sein Baum einen Schatten auf mein Grundstück wirft, dann gibt es immer noch die Möglichkeit und wird es vermutlich auch in Zukunft die Möglichkeit geben, ein neutrales Urteil von einem unabhängigen Richter zu bekommen, weil auf der unteren Ebene sich zunächst mal nichts ändern wird. Das wird sicherlich noch einige Zeit brauchen. Aber man kann natürlich den Moment voraussehen, an dem dieses Urteil danach gefällt wird, ob mein Nachbar Mitglied der regierenden Partei ist oder nicht.
    Viele Entscheidungen in der Hand von wenigen Ministern
    Dobovisek: Was hat die Regierung vor? Wir haben schon das Stichwort Wahlmanipulation gehört. Was hat die PiS Ihrer Meinung nach vor?
    Bachmann: Was die Regierung schon seit zwei Jahren macht, ist eine sehr starke Zentralisierung des Staates, so dass möglichst viele Entscheidungen, die bisher dezentral gefällt wurden, in der Hand von einigen wenigen Ministern sind. Das sehen wir jetzt am Beispiel der Justizreform. Diese Entscheidungen sind dann in der Hand von Justizminister Ziobro. Das Zweite, was wir sehen ist, dass sie systematisch alle die Institutionen entweder beseitigt oder paralysiert, die ursprünglich in der Verfassung dazu vorgesehen waren, die Regierung, das Parlament und den Präsidenten zu kontrollieren. Die Regierung, das Parlament und der Präsident sind alle in der Hand einer Partei jetzt. Das hat der Wähler so gewollt, das ist demokratisch zustande gekommen. Das wird aber jetzt benutzt, man könnte auch sagen missbraucht, dazu, um alle zusätzlichen Mechanismen, die eine solche Mehrheit davon abhalten sollen, gegen die Rechte von Minderheiten zu verstoßen, abzuschaffen.
    Polen sei "nicht mehr sehr weit" von der Autokratie
    Dobovisek: Sie sprechen von einer Zentralisierung. Das ist ja per se erst mal nicht unbedingt etwas Schlechtes, funktioniert bei unseren Nachbarn in Frankreich zum Beispiel im politischen System ja auch. Die haben aber einen funktionierenden Rechtsstaat. Wie weit wäre mit diesen Reformen, so wird es ja immer genannt, Polen noch von einer Autokratie entfernt?
    Bachmann: Ja, nicht mehr sehr weit. Wir haben in den politischen Wissenschaften einen Begriff dafür: Das nennt sich "hybride Systeme" oder "Competitive Authoritarianism". Das sind dann autoritäre Staaten, die immer noch demokratisch aussehende Institutionen haben, wo es auch regelmäßig Wahlen gibt.
    Dobovisek: Die ihren Schein wahren, sozusagen.
    Bachmann: Ja, kann man so sagen. Das ist ursprünglich eingeführt worden, um einen Unterschied zu machen zu einer klaren Diktatur, wo es keine Wahlen mehr gibt, oder zu einer Monarchie, wo der Herrscher sich darauf beruft, dass er von Gott eingesetzt ist. Die Herrschenden in solchen hybriden Systemen berufen sich immer noch darauf, dass ihre Macht dadurch legitimiert ist, dass Wahlen stattfinden, aber sie manipulieren diese Wahlen. Und diesem Zustand sind wir ziemlich nahe jetzt in Polen, denn es gibt dort bereits einen Plan dafür, das Wahlgesetz zu ändern und damit im Zusammenhang auch die Wahlbehörde, so dass dann am Ende zwar die Bürger immer noch abstimmen bei Wahlen, aber gezählt wird sozusagen von der Regierung. Und ob das Wahlergebnis dann gerechtfertigt, legal ist und so weiter, entscheidet ein Gericht, das von der Regierung kontrolliert wird. Da kann man sich dann leicht vorstellen, wie diese Wahlen dann am Ende ausgehen.
    Kaczynski-Getreue positionierten sich für Nachfolge
    Dobovisek: Wir sprechen da über einen "Machthaber", der eigentlich gar kein Mandat hat, aber dennoch alle Fäden in der Hand hält. Wir sprechen über PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski. Wie mächtig ist er bereits?
    Bachmann: Das ist eine gute Frage. Formal hat er eigentlich kaum Macht, weil er keine einzige offizielle Funktion hat. Er ist Parteichef der Partei Recht und Gerechtigkeit. Aber er ist zum Beispiel nicht mal Fraktionsvorsitzender dieser Partei im Parlament. Er ist einfach nur ein Abgeordneter. Tatsächlich verteilt sich die Macht innerhalb der Partei auf einen sehr, sehr engen Kreis von einigen Ministern. Da gehört aber erstaunlicherweise die Premierministerin gar nicht dazu. Er ist sozusagen der oberste Richter, paradoxerweise. Er hat was gegen Richter, ist aber selber so eine Art oberster Richter zwischen den verschiedenen Fraktionen in der Partei, die sich da gegenseitig bekämpfen, weil natürlich alle wissen, der Mann ist schon ziemlich alt, der wird es wahrscheinlich nicht mehr sehr lange machen, und dann möchte jeder in einer guten Startposition sein, um ihn zu beerben.
    "Die EU kann eigentlich nicht sehr viel machen"
    Dobovisek: Jetzt wird protestiert in Polen, aber auch nicht nur dort, sondern auch bei den europäischen Partnern in der Europäischen Union. Die EU-Kommission hat schon im Januar vergangenen Jahres ein Verfahren zur Überprüfung der Rechtsstaatlichkeit in Polen eingeleitet. Es sei eine rote Linie überschritten, sagt jetzt auch Manfred Weber, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei im Europaparlament. Auch seine Parteikollegen und auch die anderen Fraktionen haben einen Brief geschrieben, dazu aufgefordert, dass jetzt endlich reagiert werden müsse. Doch auch mit diesen roten Linien ist das ja so eine Sache, haben wir auch in anderen Fällen schon oft beobachtet. Wie sollte die EU jetzt reagieren?
    Bachmann: Die EU kann eigentlich nicht sehr viel machen, weil wenn die EU tatsächlich Sanktionen verhängen möchte gegenüber Polen, wobei noch offen ist, wozu die dann führen, ob die nicht möglicherweise sogar der Regierung helfen, sozusagen Leute, die an sich gegen die Regierung sind, aber auch gegen Einmischung aus dem Ausland, hinter sich zu versammeln …
    Dobovisek: Härte wäre kontraproduktiv?
    Bachmann: Das könnte durchaus sein, dass das kontraproduktiv ist. Aber vor allem: Das Wichtigere ist eigentlich, dass das die EU in eine Situation bringt, wo sie letztendlich Ungarn davon abhalten muss, gegen eine solche Entscheidung zu stimmen. Das heißt, man müsste einen Autokraten dafür bezahlen, dass er einen anderen Autokraten nicht schützt, und das ist natürlich politisch, auch innenpolitisch in der EU schwer zu verkaufen.
    Dobovisek: Ist das also der Grund, warum die EU bloß bellt und nicht beißt?
    Bachmann: Das ist wahrscheinlich einer der Gründe, ja.
    Mit einer unabhängigen Justiz würden Teile der EU-Zusammarbeit fallen
    Dobovisek: Was wäre denn konkret die Folge der Justizreformen, die teilweise schon umgesetzt sind, teilweise geplant sind in Polen, für die EU insgesamt?
    Bachmann: Das ist genau der problematische Punkt und ich habe den Eindruck, dass den weder in Polen, noch im Ausland im Moment jemand sieht. Nämlich in dem Moment, wo es keine unabhängige Justiz mehr gibt in Polen, ist der Augenblick sehr nahe, wo der erste Richter zum Beispiel in Deutschland oder in Frankreich sagt: Tut uns leid, aber wir können niemand mehr ausliefern nach Polen, der europäische Haftbefehl wird aufgehoben in Bezug auf Polen, wir können keine Flüchtlinge mehr zurückschicken nach Polen, wir können keine zivilen Urteile von polnischen Gerichten mehr anerkennen, weil die Rechtsstaatlichkeit in Polen nicht gewährleistet ist. Und dann ist ein großer Teil dessen, was wir so als Binnenmarkt bezeichnen, das "acquis communautaire" der Europäischen Union, für Polen ausgeschaltet und Polen ist praktisch dann in gewisser Weise schon außerhalb der EU.
    Dobovisek: Droht da sozusagen ein gestolperter Austritt Polens aus der EU?
    Bachmann: Genau.
    Dobovisek: Was würde das bedeuten, auch für Polen?
    Bachmann: Das würde für Polen bedeuten, na ja, da freuen sich paradoxerweise wieder mal vor allem die Verbrecher drüber, weil das bedeutet, dass sie zum Beispiel nicht mehr ausgeliefert werden können und dass dann Polen zu einem Rückzugsgebiet für Verbrecher wird, die innerhalb der EU gesucht werden und umgekehrt. Und irgendwann kommt dann natürlich auch die Konsequenz daraus: Kann man mit so einem Land dann noch eine offene Grenze haben.
    "Ich habe den Eindruck, die Opposition wacht langsam auf"
    Dobovisek: Es gibt ja Proteste, ich habe das vorhin auch schon angesprochen, eher mittelmäßig. Da sind jetzt nicht Hunderttausende, die auf die Straße gehen in Polen. Welche Rolle und welche Bedeutung hat jetzt die Zivilgesellschaft in Polen, um möglicherweise noch Einfluss auf die Entscheidungen zu nehmen?
    Bachmann: Paradoxerweise ist das gar nicht die Zivilgesellschaft, die da das meiste zu tun hat, sondern es ist die Opposition. Die Opposition muss sich vereinigen, muss aufhören, so zersplittert zu sein, und vor allem müsste sie sich darüber klar werden, dass das, was die Opposition von der Regierung trennt, größer ist als das, was die Opposition von anderen Oppositionsparteien trennt. Das ist im Moment noch nicht der Fall. Ich habe den Eindruck, dass die jetzt langsam aufwachen, aufgrund dieser sogenannten Justizreform, weil sie sich natürlich darüber im Klaren sind, dass egal wie die nächsten Wahlen ausgehen letztendlich die Regierung über das Ergebnis entscheidet und dass damit ihre ganze Rivalität innerhalb der Opposition hinfällig wird. Aber die Frage ist natürlich, ob sie das rechtzeitig schaffen, weil die Art und Weise, wie die Regierungspartei vorgeht, die Schnelligkeit, mit der diese Gesetze verabschiedet werden, ist natürlich so, dass man da auch sehr schwer drauf reagieren kann. Diese Demonstrationen sind nicht besonders groß, weil es gab nur zwei Tage, um sie vorzubereiten.
    Dobovisek: Klaus Bachmann – er lehrt Politikwissenschaft in Warschau. Vielen Dank für den Besuch hier bei uns im Studio an diesem Morgen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.