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Justizvollzug
Gefahr der Radikalisierung junger Muslime nimmt zu

Der Justizvollzug steht vor einer neuen großen Herausforderung. Islamistische Syrienrückkehrer könnten versuchen, in deutschen Gefängnissen potenzielle Kandidaten für den Dschihad zu gewinnen. Ein Phänomen, das neu und gefährlich ist.

Von Kemal Hür | 12.05.2015
    "Wir üben ein bisschen Schießen, bevor wir gehen und kämpfen – alhamdulillah."
    "Ich komme aus Deutschland. Und ich bin vor ca. vier Jahren Muslim geworden."
    "Und was ist mit euch? Was ist mit euch, dass ihr nicht für Allahs Sache kämpft?"
    Drei junge deutsche Männer in Propaganda-Videos des selbst ernannten Islamischen Staates, IS. Im Internet machen sie vollbärtig und schwer bewaffnet Werbung für die Terrororganisation, für die sie in Syrien kämpfen. Einer von ihnen ist im Kampf gestorben. Damit ist er einer von insgesamt 85 deutschen Kämpfern des IS, die in Syrien und im Irak ihr Leben verloren haben - zehn von ihnen bei Selbstmordanschlägen.
    Nun machen sich Justizbehörden Sorgen, wie sie mit solchen radikalisierten Kämpfern umgehen sollen, wenn sie nach Deutschland zurückkehren. 230 von ihnen seien bereits zurückgekehrt, sagt Bundesanwalt Thomas Beck.
    "Die Verfassungsschutzbehörden gehen von 70 aus mit Kampferfahrung. Wir haben jetzt nicht 70 Leute in Haft. Wir hätten sie gerne in Haft. Aber es gelingt den Verfassungsschutzbehörden nicht in jedem Falle, Beweise zu sichern."
    Salafisten bauen Netzwerkstrukturen in der Haft auf
    Es handelt sich also vorerst noch um eine potenzielle Gefahr, die auf die Haftanstalten zukommt. Aber die inhaftierten Salafisten bereiten für eine Rekrutierung bereits den Boden, sagt der bayrische Justizminister Winfried Bausback.
    "Denn wir stellen fest, dass Salafisten verstärkt versuchen, Netzwerkstrukturen in der Haft aufzubauen. Diese sollen dann u. a. dazu genutzt werden, um gezielt auf andere Gefangene zuzugehen und diese für die eigene Ideologie, für den eigenen Radikalismus zu gewinnen."
    Um das zu verhindern, wollen Bayern und Berlin zusammenarbeiten. Doch wie sie vorgehen wollen – dafür scheinen sie keine konkreten Konzepte zu haben. Der Bayer Bausback und sein Berliner Kollege, Justizsenator Thomas Heilmann, wollen voneinander lernen, sagen sie. Aber beide bleiben in ihren Vorhaben sehr theoretisch. Heilmann spricht vier Punkt an: Haftanstalten sichern; verhindern, dass andere Insassen radikalisiert werden; bereits Gefährdete deradikalisieren und die Entlassung dahingehend vorbereiten, dass sie sich in der Freiheit zurechtfinden.
    "Sie brauchen natürlich auch einen Boden außerhalb des Gefängnisses, wenn sie wieder rauskommen, der ihnen Halt und Sicherheit gibt und sie eben nicht verführt, weiß der Himmel, wieder nach Syrien zu fahren. Da sind die Sicherheitsbehörden gefragt, da sind auch die sozialen Dienste gefragt, die Bewährungshilfe. Das alles kennen wir von anderen Straftätern, und das wollen wir auch für diese Stelle fortsetzen."
    Bausback: "Nicht die Personen, sondern die Ideologien isolieren"
    Der bayrische Justizminister Bausback will radikalisierte Gefährder und potenziell gefährdete labile Häftlinge nicht zusammenbringen.
    "Da ist es meines Erachtens wichtig, dass wir schon schauen, dass wir die Gefährder erkennen und dass wir auch bei den Gefährdern nicht die Person isolieren, sondern die Ideologie."
    Will heißen: Bausback will radikale Islamisten eher mit Betrügern ohne eine politische oder religiöse Ideologie zusammenlegen. Die bereits existierende muslimische Seelsorge in den Gefängnissen könne nur indirekt zu einer Deradikalisierung beitragen, sagen Bausback und Heilmann. Mehr Geld in bereits existierende Projekte stecken, die mit radikalisierten Jugendlichen arbeiten, das sei kein Problem, sagt Heilmann – zum Beispiel in das bundesweit arbeitende Projekt Hayat.
    "Geld ist in dem Fall das kleinere Problem. Das größere Problem ist, wo finden wir eigentlich die Leute, die das können. Also wenn ich morgen das Geld verdreifache, gibt es aber nicht die dreifache Menge Personen. Insofern muss das aber systematisch wachsen. Und wir müssen auch systematisch lernen, welche einzelnen Maßnahmen haben in welchen Umständen was gebracht. Wir haben noch keine erfolgreichen Cases bei der Deradikalisierung."
    Eine überraschende Aussage. Denn Hayat konnte im letzten Jahr mehr als zehn gewaltbereite Dschihadisten deradikalisieren. Claudia Dantschke, die Leiterin des Projektes, klagt über zu wenig Personal. Sie arbeitet mit zwei weiteren Kollegen. Alle drei haben jeweils eine 30-Stunden-Stelle. Und das Projekt gilt als Vorzeigemaßnahme.