Donnerstag, 18. April 2024

Archiv

K.-o.-Tropfen
"Es ist, als wird man ausgeknipst"

Die verheerenden Folgen sogenannter K.-o.-Tropfen sind seit Langem bekannt. Immer wieder werden Frauen und Männer jeden Alters damit betäubt - und dann vergewaltigt oder ausgeraubt. Nur selten sprechen Opfer offen über das, was ihnen widerfahren ist. Nicht so Petra Glück aus Schleswig-Holstein, die ihre Erlebnisse jetzt in einem Buch verarbeitet hat.

Von Katrin Bohlmann | 27.05.2016
    Eine Hand schüttet K.o.-Tropfen in ein Glas.
    K.O.-Tropfen (dpa/picture alliance/Achim Scheidemann)
    Freudestrahlend begrüßt Petra Glück die Gäste, die zu ihrer Lesung in Lübeck gekommen sind. Sie wirkt selbstbewusst und glücklich. Das war lange Zeit nicht so. Ein Klassentreffen in ihrer niedersächsischen Heimat vor 20 Jahren hat ihr Leben zerstört. Es endete für sie fast tödlich. Die heute 55-Jährige wurde mit K.-o.-Tropfen betäubt - wehrlos gemacht und vergewaltigt. Von zwei ehemaligen Klassenkameraden, davon ist die bis dahin erfolgreiche Geschäftsfrau überzeugt:
    "Wir hatten ein ganz tolles Klassentreffen, hatten ganz viel Spaß gehabt, wie das so üblich ist nach 20 Jahren. Man hat sich lange nicht gesehen. Trotzdem war ein vertrautes Verhältnis da. Ich weiß noch genau, ich hab ein Glas in der Hand gehabt, hab getrunken, hab es wieder abgesetzt, das war auch ein Weinglas, davon habe ich nur sehr wenig getrunken. Und dann so ein Moment, ich hab mich mit einem meiner Mitschüler unterhalten. Der hat mir eine Frage gestellt und dann habe ich irgendwie die Antwort schon gar nicht mehr mitbekommen."
    "Ich konnte mich nicht artikulieren"
    Die Männer verfrachteten sie in ein Taxi und brachten sie in ihre Wohnung. Dort kochten sie ihrem Opfer einen Tee - mit K.-o.-Tropfen - und vergingen sich an ihr, rekonstruiert Petra Glück die Situation heute. Genau kann sie sich nicht mehr daran erinnern:
    "Ich wusste, da passiert jetzt etwas, da stimmt etwas nicht. Ich konnte aber überhaupt nicht - ich konnte mich nicht artikulieren. Ich konnte nichts machen, gar nichts. Ich war nicht mehr ich. Und: Das sind auch nur so Bruchstücke. Ich kann mich nicht mehr an die Fahrt erinnern. Es ist, als wird man ausgeknipst. Meine Persönlichkeit wird mir gerade genommen."
    Stunden später wacht die damals 35-Jährige langsam auf. Übel sei ihr gewesen, sie habe wahnsinnige Kopfschmerzen gehabt, berichtet Petra Glück. Sie dachte, sie sterbe:
    "Meine Bluse war nicht richtig zugeknöpft. Und ich bin eine ganz Ordentliche. Dann die Strumpfhose ausgezogen, dann waren Löcher in der Strumpfhose. Dann habe ich plötzlich blaue Flecken überall an mir festgestellt, dann habe ich meine Hose runtergezogen, die Hose war nass! Und dann habe ich gemerkt, was ich überhaupt für Schmerzen habe. Ich bin dann immer wieder weggesackt. Aber dann die Erkenntnis, dass die mich vergewaltigt haben - die hat mich weggepustet."
    18 Jahre hat Petra Glück geschwiegen
    Ihre Reaktion: das typische Opferverhalten nach einer Vergewaltigung. Sie riss sich die Sachen vom Leib und nahm ein heißes Bad:
    "Immer heißer und immer heißer. Ich habe mich verbrannt. Aber das war ein gutes Gefühl. Dann bin ich eingeschlafen und habe natürlich auch erbrochen. Und immer das Gefühl, ich bin furchtbar vergiftet. Ich bin dann irgendwann in der kalten Badewanne aufgewacht, und dann habe ich angefangen mich abzuschrubben, die verbrannte Haut! Das war gut. Dann habe ich diese Schmerzen gefühlt und musste nicht weiter darüber nachdenken."
    18 Jahre hat Petra Glück geschwiegen. Sie habe sich geschämt, sagt die selbstbewusste, kleine Frau. Sie vernichtete alle Beweismittel, schmiss die Klamotten weg, ging nicht zum Arzt, erstattete keine Anzeige. So blieb der Tathergang ungeklärt. Sie verließ ihre Familie, gab ihren Job auf. Die bis dahin erfolgreiche Geschäftsfrau wurde krank. Psychisch und physisch. Sie hatte Selbstmordgedanken.
    "Ich habe alles versiegelt, alles gedeckelt. Von dem Tag an habe ich kein Leben mehr gehabt."
    Als es immer schlimmer wurde, ließ sie sich helfen und machte eine Therapie. Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung. Kein Einzelfall: Petra Glück ist eine von vielen K.-o.-Tropfen-Opfern. Konkrete Zahlen kann die Polizei nicht nennen. Von einer enorm hohen Dunkelziffer spricht auch Catharina Strutz-Hauch vom Frauennotruf Lübeck. Die geschmack- und geruchlosen K.-o.-Tropfen seien schon seit Jahrzehnten Thema. Die Sozialtherapeutin hilft Opfern:
    "Für K.-o.-Tropfen gilt, dass dieses Delikt im sozialen Nahraum stattfindet, das heißt, es wird von jemandem ausgeübt, zu dem die Frauen Vertrauen haben, mit dem sie befreundet sind. Dieses Vertrauen wird missbraucht, die Situation dann ausgenutzt. Und das geschieht eben auch im privaten Umfeld."
    Weißer Ring: Schnell zur Polizei und ins Krankenhaus
    Ein Problem: K.-o.-Tropfen lassen sich nur für kurze Zeit nach der Einnahme nachweisen: bis zu sechs Stunden im Blut und bis zu zwölf Stunden im Urin. Detlev Hardt vom Weißen Ring rät:
    "Wir ermuntern alle, aber wirklich alle Opfer, auch wenn sie keine Opfer von K.-o.-Tropfen sind, aber meinen, Opfer einer Straftat geworden zu sein, sich sehr schnell an die Polizei zu wenden, sehr schnell in die Klinik zu fahren, und natürlich den Weißen Ring in Anspruch zu nehmen. Wir appellieren, man soll sehr vorsichtig, misstrauisch sein. Man soll weiterhin in Diskotheken, auf Partys gehen, aber einfach vorsichtig sein."
    Petra Glück fühlt sich heute gesund. Sie hat ein Buch über ihre Geschichte geschrieben. Das habe ihr geholfen, sagt die Schleswig-Holsteinerin. Und sie will beim nächsten Klassentreffen wieder dabei sein. Nach 40 Jahren.
    K.-o. - No! Pass auf Dich auf! Edition MILES, Preis. 11,50 Euro.