Samstag, 20. April 2024

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Kabale und Kriege

Die Geschichte ist bekannt. Schillers frühes Drama "Kabale und Liebe" gehört zum bildungsbürgerlichen Pflichtprogramm. Weil Kabale die Liebe zerfrisst, es keinen Platz in dieser machtpolitisch verbauten Welt der Intrige gibt für das Ideal, die Utopie, die Vision der reinen, unschuldigen Liebe, trinkt Ferdinand am Ende Gift und flößt es auch seiner Luise ein:

Ein Beitrag von Marion Ammicht | 20.02.2003
    Warum es aber heute noch lesen, es gar sehen, auf einer Bühne, hier und jetzt, da der bildungsbürgerliche Weltzusammenhang längst zur verlorenen Utopie geworden ist?

    Weil der romantische Glaube an die eine und ewige Liebe geblieben ist. Die Jagd des Ichs nach dem Du in einer Welt, in der es sonst nichts gibt, woran man glauben kann, gar zur Ersatzreligion geworden ist. So zumindest lautet die These von Florian Boschs aktueller Münchner Interpretation am Bayerischen Staatsschauspiel: Die übersteigerte, romantische Liebe als fundamentalistische Glückssehnsucht der spätkapitalistischen Zivilgesellschaft, die so immer wieder ihre eigenen Selbstmordattentäter hervorbringt.

    Gefühlsterroristen wie eben diesen Ferdinand, der hier in München von Anfang an mit vollem Einsatz spielt. Zunächst scheint alles nur harmloses Spiel auf einem gefährlich schillernden, lilafarbenen Teppich, der ohne seitliche Begrenzung zu Schweben scheint in finsterer Nacht. Ein bizarres Bühnenkunstwerk, dessen kaum wahrnehmbaren Verwerfungen Marc Oliver Schulzes Ferdinand mit wildledergegerbtem Designerrock und gelverzupfter Fransenfrisur anfangs noch zu lustigen Rutschpartien mit seiner Luise nutzt:

    Anna Schudt ist das Mädchen Luise. Auch sie trägt schwarz, ein streng hochgeschlossenes kurzes Kleid, die langen Beine züchtig durch blickdichte Strümpfe geschützt. Anders als ihr Gipfelstürmer Ferdinand kennt sie die Grenzen, die das Leben dem eigenen Willen setzt, weswegen sie der Eifer des Geliebten schon hier gleich am Anfang dieser stark entschlackten und reduzierten Münchner Fassung mächtig erschreckt:

    Ihr Ruh ist hin. Das Gift von Ferdinand egozentrischer, alles in den Dienst der eigenen Glücksutopie stellenden Liebe, wirkt, lange bevor die Intrige eingefädelt und der Todestrank gemischt worden ist. Denn die Analyse des kriecherischen Intriganten Wurm stimmt: In der Eifersucht ist dieser Ferdinand so schrecklich wie in der Liebe. Vertrauen hat der in der materialistisch orientierten Karrierewelt des Vaters niemals kennen gelernt. Damit liefert er sich und seine Liebe ans Messer. Die Kabale funkioniert.

    Das Konzept von Dieter Dorns jungem Hausregisseur Florian Boesch ist Text- und Schauspielertheater in radikaler Form. Außer dem surreal verzerrten Teppich und drei weißen Stühlen, die Millers bürgerliche Stube repräsentieren, gibt es nichts zu sehen. Alle tragen Schwarz, sämtliche Emotionen des Bühnenpersonals sind zugunsten Ferdinands aufs Minimum herunter gedimmt, Marc Oliver Schulzes hypernervöse, grimassenhafte Aktion zuweilen etwas arg aufgesetzt wirkt. Doch das großartige Understatement des restlichen Ensembles, allen voran der wunderbaren Anna Schudt als verzweifelt implodierende Luise, setzt das Gegengewicht. Die streng choreografierte Todesfuge funktioniert: Momentaufnahmen eines verzweifelten Generationenkampfs, Blitzlichter, Schlaglichter, die immer wieder versinken in tiefschwarzer Nacht. Und am Ende der halb erstickte Schrei des Vaters nach dem Sohn. Das Kind in seinen Armen ist tot. Gestorben auf der hysterischen Jagd nach Sinn in einer von der Machtgier der Väter auswegslos verbarrikadierten Welt. Ein hoch aktuelles Stück.

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