Freitag, 19. April 2024

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Kabarett in der DDR
Schwierige Hassliebe

Der Rostocker Autor und Kabarettist Christopher Dietrich hat eine profunde Studie über die personellen Verflechtungen zwischen Staatssicherheit und DDR-Kabarett vorgelegt. Dafür hat er eine akribische Recherche durchgeführt, beim Schreiben hält er aber die Wage zwischen wissenschaftlichem Anspruch und Lesbarkeit.

Von Frank Schlösser | 18.04.2016
    Stumph: "Du hast also keinen, der für dich denkt."
    Schaller: "Nein, aber es gibt viele, die dafür sorgen, dass ich richtig denke."
    Stumph: "Aber die können nicht schreiben!"
    Schaller: "Ich weiß nicht. Manchmal sitzt auch einer in der ersten Reihe und schreibt …"
    So direkt konnten Wolfgang Stumph und Wolfgang Schaller von der "Herkuleskeule" das Thema der "DDR-Zensur im Kabarett" erst 1988 auf die Bühne bringen. Dresden hatte ohnehin den Ruf einer liberalen SED-Bezirksleitung unter Hans Modrow. Bei den Berufskabaretts in Potsdam, Leipzig oder Berlin hätte das vielleicht ganz anders ausgesehen. Oder bei den Amateurkabaretts, den Solokabarettisten und - nicht zu vergessen - den Kabaretts, die sich außerhalb der offiziellen Strukturen gebildet hatten, unter dem Dach der Kirche oder im Untergrund. Wiederum muss man unterscheiden nach den jeweiligen politischen Situationen: Im September 1961 konnten Kabarettisten mit dem gleichen Witz Kopf und Kragen riskieren, über den wenige Monate zuvor selbst der Genosse Erste Sekretär herzhaft gelacht hatte.
    Unwägbarkeiten, Situationen und Beziehungsgeflecht
    Um all diese Unwägbarkeiten, Situationen und Beziehungsgeflechte darstellen zu können, braucht es vor allem: Platz und Zeit. Das Buch "Kontrollierte Freiräume" von Christopher Dietrich ist nicht umsonst über 700 Seiten stark. Und was die Zeit angeht: Christopher Dietrich hat für seine Analyse der schwierigen Hassliebe, die die Kabaretts in der DDR mit der SED und dem MfS verband, mehrere Jahre gebraucht.
    "Also die Hauptquelle sind zunächst einmal die Stasiakten. Und dann auch unheimlich viele SED-Akten, und Kabarett-Akten … Es gibt - die ganzen Kabarettprogramme gibt es als Texte im Kabarettarchiv in Bernburg. Also ich hab … Insgesamt wurden glaube ich 200.000 Aktenblätter - Stasi-Akten - geprüft und eben auch noch mal 90.000 Blätter sonstige Akten. Dann habe ich natürlich auch mit Zeitzeugen gesprochen. Früher auch schon mal mit einem Stasi-Offizier zum Beispiel auch. Dann mit Kabarettisten, zum Teil auch mit ehemaligen inoffiziellen Mitarbeitern."
    Normalerweise lockt eine solche akribische Recherche nicht gerade Leser an. Doch Christopher Dietrich hält die Waage zwischen dem wissenschaftlichen Anspruch einer Dissertation und ihrer Lesbarkeit – schließlich schreibt er auch die Texte für das Kabarett "Dietrich und Raab" und verfasste einen böse-humorvollen Reiseführer für Mecklenburg-Vorpommern. Es ist also durchaus möglich, sich festzulesen in diesem Wechsel zwischen beispielhaften Geschichten und gut begründeten Verallgemeinerungen.
    Ohne Zweifel war die Stasi in den Bereichen Literatur und Theater viel aktiver als in den Berufskabaretts, die mit rund 500.000 Besuchern pro Jahr in der DDR vergleichsweise wenig Publikum erreichten.
    Berufs- und Amateurskabaretts
    Neben den theoretischen Vorgaben des sozialistischen Kabaretts und einem geschichtlichen Abriss werden die Berufskabaretts ausführlich unter die Lupe genommen, etwa das Potsdamer "Kabarett am Obelisk" und die "Lachkartenstanzer" aus Karl-Marx-Stadt. Der Überwachung der Kabarettautoren, der kleinen Szene der Solokabarettisten und den nicht zu unterschätzenden Amateurkabaretts, sind umfangreiche Kapitel gewidmet. Die Beispiele, die Christopher Dietrich hier aufbietet, sind selbst für geschichtsinteressierte ehemalige DDR-Bürger Neuland: Dort war die Stasi immer aktiv, dort war die Konfrontation offen und gefährlich, dort gab es politische Verhaftungen. Bei den etablierten Kabaretts blieben die neun Monate Untersuchungshaft und die Urteile gegen das Leipziger Studentenkabarett "Rat der Spötter" kurz nach dem Mauerbau im Jahre 1961 die einzigen Verhaftungen.
    "Danach gab es eigentlich keine Beispiele mehr, wo Menschen wirklich wegen ihrer Kabarett-Tätigkeit im Knast waren. Es gab zwar Amateurkabarettisten, die ins Gefängnis gekommen sind. Aber dann nicht unbedingt wegen ihrer Kabarett-Tätigkeit - oder das spielte zumindest eine untergeordnete Rolle. Wir sehen in den Stasiakten aber, dass die Staatssicherheit durchaus öfter strafrechtliche Ermittlungen geführt hat - auch mit dem Ziel, wegen staatsfeindlicher Hetze, wegen öffentlicher Herabwürdigung und ähnlicher Straftatbestände Leute irgendwann zu überführen und zu verhaften und zu verurteilen. Das wurde aber aus verschiedenen Gründen dann eigentlich immer eingestellt."
    Dietrich räumt mit Mythen auf
    Wer so gründlich arbeitet wie Christopher Dietrich, der darf für sich in Anspruch nehmen, mit einigen Mythen aufzuräumen. Wie auch mit dem, dass die DDR-Funktionäre das Kabarett etabliert hätten, um dem Volk ein "Ventil zum Dampfablassen" zu geben.
    "Es gibt auch kein einziges Dokument, nirgendwo in den vielen zigtausenden Akten, Aktenseiten, die ich gelesen habe, das das Wort Ventil oder so was Ähnliches auf Funktionärsseite und auf MfS-Seite oder auf Parteiseite in den Mund nahm. Das hätte ja logisch zur Folge, dass eigentlich in besonderen Krisen der DDR und in besonderen Krisen des Sozialismus besonders stark auf Satire und Kabarett gesetzt worden sein müsste vonseiten der Funktionäre oder der Kulturverantwortlichen. Das Gegenteil ist aber der Fall. Immer dann wenn es zu politischen Krisen wie Prager Frühling, wie Biermann-Ausbürgerung, wie Ausschluss der acht Schriftsteller aus dem Schriftstellerverband usw. kam - immer dann war es für die Satire und das Kabarett besonders schwer. Das ist so ein weiterer Beleg dafür, dass diese Ventilfunktion zumindest nicht vom Staat intendiert wurde. Ob das psychologisch trotzdem so funktioniert hat, dass die Frustrationen vielleicht doch abgebaut wurden, das ist schwer, im Nachhinein zu sagen, das kann man eigentlich empirisch nicht gut ermitteln."
    Das Buch "Kontrollierte Freiräume" ist Vieles: Es bietet Ansatzpunkte für weitere Recherchen regional arbeitender Journalisten, es ist für Historiker, die die DDR zum Gegenstand haben, ein wichtiges Standardwerk. Und es relativiert. Im Wortsinne. Indem es die Akteure des DDR-Kabaretts in Beziehung setzt. Nichts anderes sollte Relativieren bedeuten.
    Christopher Dietrich: "Kontrollierte Freiräume. Das Kabarett in der DDR zwischen MfS und SED", 736 Seiten, bebra wissenschaft Verlag, 36 Euro.