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Steuern und Finanzen
Kassenbon-Boykott an der Uni Göttingen

Seit dem 1. Januar müssen Einzelhändler bei jedem Verkauf einen Kassenbon ausdrucken. Denn seit diesem Jahr gilt die sogenannte Bon-Pflicht. Damit will die Bundesregierung Steuerbetrug durch manipulierte Ladenkassen eindämmen. Das Studentenwerk Göttingen widersetzt sich dieser Regelung.

Von Irene zu Dohna | 16.01.2020
Bäckerei LeNotre im Berliner KaDeWe
Für viele ein Ärgernis - zum Beispiel beim Bäcker: die Kassenbon-Pflicht (imago / Günter Schneider)
"Wollen Sie den Kassenbon? Nein."
Rushhour in der Göttinger Zentralmensa am "Blauen Turm". Tausende Studierende, Professoren und Mitarbeiter der Uni strömen zum Mittagessen. Drei Essen stehen zur Auswahl: vegetarische Frühlingsrolle, Beefburger mit Rinderhack oder gebratene Schupfnudeln mit Gemüse.
Für jeden Kunden einen Bon ausdrucken? Auf keinen Fall, erklärt Jörg Magull, Geschäftsführer des Studentenwerks Göttingen.
"Wir als Studentenwerk Göttingen verweigern uns der Bonausdruck-Pflicht, weil 83 Prozent unserer Kunden sowieso steuerbefreit hier essen. Für uns würde das bedeuten nach den jetzigen Regeln: 15.000 Bons pro Tag, die keiner haben will, die keiner lesen will und die auch niemanden helfen. Zumal wir auch wollen, dass wir acht Kunden die Minute durch die Kasse durchkriegen und das würde den Kassiervorgang doch erheblich beeinflussen."
Bon nur auf Nachfrage
Einen Bon gibt es nur auf Nachfrage. Magull ist sich bewusst, dass das Studentenwerk damit gegen das Gesetz verstößt. Aber: das Studentenwerk hat beim Göttinger Finanzamt einen Ausnahmeantrag gestellt - wegen unbilliger Härte. Unterstützt wird Göttingen dabei vom Dachverband, der beim Bundesfinanzministerium für alle Studentenwerke in Deutschland so einen Ausnahmeantrag gestellt hat.
Kleine Geschäfte haben diese Möglichkeit nicht. Imbisse, Kioske, Bäckereien, sie alle müssen sich an das neue Gesetz halten.
"Wollen Sie den Kassenbon? Nein."
Alltag in der Hermann-Bäckerei in Rosdorf in Südniedersachsen. Eine von 46 Filialen zwischen Laatzen im Norden und Kassel im Süden. Seit Anfang Januar wandern täglich bis zu 25.000 Kassenzettel über die Verkaufstheken aller Geschäfte. Doch die meisten Bons bleiben liegen, erzählt eine Verkäuferin.
"Ich habe gestern Spätschicht gehabt und den ganzen Nachmittag, die ganze Spätschicht hat nicht ein Kunde den Bon mitnehmen wollen. Der landet immer hier bei uns im Mülleimer."
Thermopapier-Müll
Verbrauchten alle Hermann-Bäckereien früher im Schnitt monatlich 58 Bon-Rollen, so sind es heute 116 Rollen - am Tag. Aufs Jahr gesehen kommen die Filialen nun auf rund 42.000 Rollen – zum Vergleich: im vergangen Jahr waren es 700. Abgesehen von der Papierflut und den damit verbunden Kosten ergibt sich ein weiteres Problem: Das Thermopapier von Kassenbons ist nicht recyclingfähig. Heißt: Es kann nicht über den Altpapier-Kreislauf wiederverwertet werden, sondern landet im Restmüll.
Silvio Dreier von der Hermann-Bäckerei steht dem neuen Gesetz skeptisch gegenüber. Moderne Kassen würden eh jeden Verkaufsvorgang elektronisch speichern, sagt er.
"Es gibt ja auch die Möglichkeit, wenn der Kunde morgens um 10 Uhr bei mir ein Brötchen und einen Café gekauft hat, dass er nachmittags um 14 Uhr kommt und sagt: ‚Ich hätte gern diesen Bon, ich habe den heute Morgen vergessen, können sie mir den bitte ausdrucken?‘ Ja, der kann bis zum Tagesabschluss an der Kasse direkt ausgedruckt werden. Es ist jederzeit machbar."
Und was sagen die Kunden zur Bon-Pflicht?
"Wenn ich so ein paar Brötchen oder ein Brot hole, brauche ich keinen Bon."
"Es ist viel zu viel Müll, den man jetzt produziert."
"Aber anscheinend wurde viel betrogen. Sonst wäre das ja nicht eingeführt worden. Muss wohl so sein. Im Ausland ist das ja üblich, in Italien zum Beispiel muss man den auch aufheben. Also, verkehrt scheint es nicht zu sein."
Kompromisslösung Bagatellgrenze?
In der Tat ist der Schaden für den Staat durch Steuerbetrug immens. Der Bundesrechnungshof schätzt, dass jedes Jahr bis zu zehn Milliarden Euro durch Schummel-Kassen verloren gehen. Vor allem wohl in Branchen mit hohem Bargeldanteil, wie zum Beispiel in Cafés oder Restaurants.
In der Göttinger Zentralmensa wurden allein an diesem Tag wieder 8.000 Malzeiten ausgegeben. Nur eine Handvoll der Kunden verlangte nach einem Kassenbon. Jörg Magull vom Studentenwerk Göttingen ist nicht grundsätzlich gegen die Bon-Pflicht.
"Mit der Bon-Pflicht soll verhindert werden, dass man nachträglich an den elektronischen Kassen manipuliert, was auch erstmal richtig ist. Wir hatten letztes Jahr auch eine Steuerprüfung hier, da war alles in Ordnung. Wir haben schon sehr lang elektronische Kassen. Und ich finde, man sollte mal überlegen, ob hier nicht Bagatell-Grenzen die richtige Lösung wären."