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Kabinettsumbildung in Griechenland
"Tsipras Regierung hat keine klare Orientierung"

In Athen sind nach der Regierungsumbildung die neuen Minister vereidigt worden. Doch auch jetzt bringe die Regierung von Ministerpräsident Tsipras nicht die Voraussetzungen für eine stabile Arbeit mit, sagte die Politikwissenschaftlerin Vassiliki Georgiadou im DLF. Der Ministerpräsident sei auf die Hilfe der Opposition angewiesen.

18.07.2015
    Alexis Tsipras kämpft nun um eine Mehrheit für die Reformvorhaben.
    Alexis Tsipras kämpft nun um eine Mehrheit für die Reformvorhaben. (dpa / picture-alliance / Ian Langsdon)
    Die Kabinettsumbildung habe nur dazu gedient, Minister aus dem radikal-linken Syriza-Flügel zu ersetzen, "sonst sehe ich kein anderes offensichtliches Auswahlkriterium", sagte Georgiadou. Im Hinblick auf die weitere Regierungszeit ist sie nicht optimistisch. Es sei aber sehr wichtig, Griechenland vor einem Grexit zu bewahren, vor allem für die griechische Gesellschaft.
    Da Teile von Tsipras' eigenen Parteigenossen ihm die Gefolgschaft bei der Zustimmung zu den Reformauflagen der Eurogruppe verweigert hatten, war er auf die Stimmen der Oppositionsparteien angewiesen. Dadurch wurde Tsipras Regierung de facto zu einer Minderheitsregierung, obwohl sie ausreichend Parlamentssitze inne hat. "Er hat keine eigene Mehrheit, aber eine große Mehrheit im griechischen Parlament. Zwei mal während der letzten Tagen waren die griechischen demokratischen Oppositionsparteien großzügig mit der Regierung, sodass Tsipras weiter für ein drittes Hilfspaket verhandeln kann", sagte Georgiadou. Ob es diesen Willen innerhalb der regierenden Syriza gebe, das zweifelte die Wissenschaftlerin allerdings an.

    Das Interview in voller Länge:
    Thielko Grieß: Aus Griechenland haben uns in den vergangenen Tagen auch viele Berichte über Waldbrände erreicht, die sind zumindest teilweise unter Kontrolle – nach Angaben jedenfalls der griechischen Feuerwehr, die aber davor warnt, dass diese Brände jederzeit wieder aufflammen könnten. Und das gilt wohl auch für die vielleicht nur für einige Zeit gebannte Finanz- und Staatskrise in Griechenland.
    In der vergangenen Nacht ging es weiter, nachdem etliche Minister der Regierung ihrem Chef in dieser Woche bei einer wichtigen Abstimmung die Gefolgschaft verweigert hatten, hat Alexis Tsipras sie jetzt vor die Tür gesetzt und ersetzt.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Vassiliki Georgiadou, Professorin für Politikwissenschaft an der Panteion-Universität in Athen. Schönen guten Tag!
    Vassiliki Georgiadou: Guten Tag!
    Grieß: Wir haben es gehört, etliche Minister ausgetauscht, ersetzt und neue im Amt. Was waren denn die Auswahlkriterien?
    Georgiadou: Also, eigentlich gab es ein wichtiges Auswahlkriterium, und das war, die alten Minister von der radikalen linken Fraktion zu ersetzen. Sonst sehe ich keine anderen Wahlkriterien, zumindest keine stabilen, offensichtlichen Wahlkriterien.
    "Tsipras hat keine andere Alternative"
    Grieß: Sie sehen also die Regierung, die jetzt zu großen Teilen aus neuen Leuten besteht, stabilisiert oder nicht?
    Georgiadou: Das ist eigentlich sehr früh zu beantworten. Aber es geht um eine Minderheitsregierung und es geht auch um eine Regierung, die keine klare politische Orientierung hat. Und dies sind Sachen, die nicht für eine Stabilität sprechen. Also, ich bin nicht optimistisch.
    Grieß: Sie sind nicht optimistisch. Mir ist eine Äußerung aufgefallen von Alexis Tsipras, der gesagt hat im Gefolge der Sondergipfel des vergangenen Wochenendes, er habe dem Ganzen in Brüssel nur deswegen zugestimmt, weil er Griechenland unbedingt vor dem Grexit bewahren wolle. Ist das denn eine Linie, die Tsipras und seine Leute jetzt verfolgen wollen, koste es, was es wolle?
    Georgiadou: Natürlich, das ist sehr wichtig. Also, das Land vor einem Grexit zu bewahren, das scheint sehr wichtig nicht nur für Herrn Tsipras zu sein, sondern für die Mehrheit der griechischen Gesellschaft. Ich lese heute in der Zeitung, bei einer neuen Wahlumfrage, über 70 Prozent unserer Mitbürger hier sind gegen einen Grexit und die sind auch bereit, alle Kosten zu übernehmen, damit das Land in der Eurozone und in der Europäischen Union bleibt.
    Also, Herr Tsipras hat, wie ich das sehe, keine andere Alternative, er muss sich bemühen, das Land innerhalb Europas zu bewahren. Ich weiß aber nicht, ob er die Zeit hat, er hat viel Zeit verloren, er hat eigentlich sechs Monate verloren. Und ich weiß nicht, ob er klare Pläne hat, klare Strategien auch hat, wie er das schafft.
    "Tsipras hat die Mehrheit im griechischen Parlament"
    Grieß: Denn nun – das klingt ja bei Ihnen an – stehen ja noch die Verhandlungen um das eigentliche dritte Hilfspaket an. Wenn Sie sich so skeptisch äußern, würden Sie sagen, Tsipras und seine Regierung sind erpressbar?
    Georgiadou: Nein, das ... Nein, natürlich nicht. Es geht nicht um Erpressung oder ... Es geht um Prozeduren und ...
    Grieß: Aber es geht natürlich auch darum, am Ende vielleicht wieder Reformen mit Griechenland zu vereinbaren, für die Tsipras im Parlament wieder keine eigene Mehrheit finden wird!
    Georgiadou: Ja, er hat, wie Sie sagten, keine eigene Mehrheit, aber eine Mehrheit, eine große Mehrheit gibt es eigentlich im griechischen Parlament. Also, während der letzten Tage zweimal! Die griechischen demokratischen Oppositionsparteien waren so großzügig mit der Regierung und sie haben bei den beiden Abstimmungen dafür gestimmt, dass Herr Tsipras weiter verhandeln kann und dass die griechische Regierung sich um ein drittes Hilfspaket bemüht. Also, die Mehrheit gibt es.
    Ich weiß nicht, ob es den Willen innerhalb der Regierung gibt, innerhalb der Regierungspartei vor allem, innerhalb Syriza, das ist das Problem. Und es besteht kein parlamentarisches Problem in Griechenland, alle drei Oppositionsparteien sind fest davon überzeugt, dass das Land innerhalb der Eurozone bleiben muss und, ja, das steht fest bei denen.
    Grieß: Es bleibt also – das hören wir hier heraus – ein Drahtseilakt für Alexis Tsipras und für die griechische Regierung. Ich sage danke schön an Vassiliki Goergiadou, Professorin an der Panteion-Universität – Professor für Politikwissenschaft, möchte ich ergänzen – in Athen. Danke nach Athen und ein schönes Wochenende!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.