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Kabuler Krankenhaus nach Anschlag
"Es ist das Schlimmste, was passieren kann"

Im Januar wurden die Pfleger und Ärzte des Jamhuriat Krankenhaus von Kabul selbst zu Verletzten: Ein Attentäter zündete eine Bombe, die in einem Krankenwagen versteckt war. Die Mitarbeiter sind alle geblieben - doch der Anschlag hat das medizinische Personal tief traumatisiert.

Von Silke Diettrich | 12.04.2018
    Das Jamhuriat-Krankenhaus in Kabul, Afghanistan
    Links im Bild steht Dr. Sardar Mosazai - während des Interviews hat er geweint: auch Wochen nach dem Anschlag sei er immer noch nicht wieder er selbst, sagt er. (Silke Diettrich/ARD)
    Die Krankenschwester Zohra zeigt ein Video auf ihrem Handy. Vom 27. Januar, kurz vor ein Uhr mittags. Chaos im Krankenhaus. Blutende Ärzte laufen verwirrt über Glassplitter, Krankenschwestern knien sich hin, um den bewusstlosen Mitarbeitern am Boden zu helfen. Auch Zohra hat an dem Tag hier im Jamhuriat-Krankenhaus gearbeitet, zentral gelegen in der Hauptstadt von Afghanistan. Zohra wurde am Kopf verletzt und ist in Ohnmacht gefallen. Aufgewacht ist sie im eigenen Krankenhaus im Krankenbett.
    "Ich habe immer noch totale Angst, dass es wieder passieren könnte", sagt sie. "Es war ein schrecklicher Tag. Menschen ohne Hände, ohne Beine, meine eigenen Kollegen hatten überall Blut, es war ihr eigenes. Sie haben mir geholfen. Jede Nacht ist diese Szene Teil meiner Träume."
    Leben mit der Angst in den Knochen
    Zohra zeigt ihre Narbe am Hals, die kann man deutlich sehen. Über die inneren Narben reden sie und ihre Kollegen auch jetzt, Wochen nach dem Anschlag, noch jeden Tag. Sie alle haben den Anschlag in der Nähe des Krankenhauses überlebt, die Angst aber hat sich tief in ihre Knochen gegraben. Dennoch hat bislang keiner den Job gekündigt. Der leitende medizinische Direktor sitzt wieder in seinem Bürosessel, aus dem er vor wenigen Wochen noch einen Meter weit herausgeflogen ist, weil die Druckwelle der Explosion so groß war. Niemand in seiner Klinik werde diesen Tag jemals vergessen können, sagt Dr. Sardar Mosazai.
    Das Jamhuriat-Krankenhaus in Kabul, Afghanistan
    Fenster, Decken und Räume sind wiederhergestellt - für die Mitarbeiter hat sich der blutige Anschlag aber für immer ins Gedächtnis gebrannt. (Silke Diettrich/ARD)
    "Alle unsere Mitarbeiter haben geweint, Ärzte haben geblutet, am Kopf, an den Armen, Händen, viele waren verletzt", sagt er und atmet tief ein und aus. "Aber alle, egal, ob sie geblutet haben, selbst verletzt waren, alle haben weiter gearbeitet und anderen Verletzten geholfen. Wir hatten so viele Opfer hier im Krankenhaus, es wurden Schwerverletzte und tote Menschen hierher gebracht, es ist kaum in Worte zu fassen, wie schlimm die Situation hier war."
    "Die Szene, die ich dort gesehen habe, war einfach nur furchtbar", so der Mediziner weiter. "Ich bete zu Gott, dass ich so etwas nie mehr im Leben mit ansehen muss."
    Mehr als 100 Menschen sind bei der Explosion am Krankenhaus gestorben, mehr als 200 Menschen wurden verletzt. Der Täter gehörte zu den Taliban, die sagen, sie wollten Polizisten töten, die an einem Checkpoint versammelt waren.
    "Auch jetzt noch bin ich nur die Hälfte meiner selbst"
    Der Attentäter hatte kiloweise Sprengstoff in einen Krankenwagen geladen und tat so, als wolle er einen Verwundeten ins Krankenhaus bringen.
    "Jede Explosion ist zu verurteilen, aber sie haben einen Krankenwagen benutzt, ein Symbol für Reinheit, ein solches Gefährt steht doch dafür, den Menschen zu helfen. Ich kann kaum in Worte fassen, was ich fühle, wenn die Gegner zu solchen Mitteln greifen. Es ist das Schlimmste, was passieren kann."
    Sardar Mosazai stockt, starrt geradeaus. Er ist der medizinische Leiter hier, Anfang 40, vor zwei Jahren hat diesen Posten angetreten. Ein großer Karrieresprung. Jetzt fallen seine breiten Schultern in dem weißen Kittel in sich zusammen. Mitten im Interview fängt er lautlos an zu weinen.
    "Die ersten 20 Tage nach dem Anschlag konnte ich fast gar nicht arbeiten, jedes Mal musste ich an die kaputten Fenster denken, den Knall der Bombe, so viele blutende Menschen. Ich habe versucht, es zu vergessen. 20 Tage konnte ich nicht durch diese Tür gehen, ich habe immer eine andere benutzen müssen, 20 Tage lang. (...) Auch jetzt noch bin ich nur die Hälfte meiner selbst, 50 Prozent meiner Arbeit kann ich bis heute nicht so ausführen wie zuvor."
    Vielen Kolleginnen und Kollegen ginge es ähnlich, sagt Mosazai.
    "Wir haben hier einen sehr mutigen und guten Chirurgen, er hatte sich an dem Tag am Kopf und seinen Schultern verletzt. Er ist immer so stark, aber an dem Tag habe ich nur Angst in seinen Augen gesehen. Und dann kamen nur noch Tränen aus seinen Augen."
    Stille Hoffnung auf Frieden
    Jedes Jahr gibt es mehr Opfer von Terroranschlägen in Afghanistan. Auch in der Hauptstadt Kabul. Hier sind 2017 fast 500 Menschen bei Anschlägen gestorben, mehr als 1.300 wurden verletzt. Viele davon landen im Jamhuriat-Krankenhaus in der Notaufnahme. Wenn es einen großen Anschlag gibt in Kabul, wird die gesamte Klinik zur Ambulanz, um dutzende Verletzte auf einmal versorgen zu können. Das ist ein großer Druck für das gesamte Team. Denn der normale Betrieb geht ja auch noch weiter.
    Weil es wenig gute Kliniken in Afghanistan gibt, reisen viele Patienten hierher und hoffen auf Hilfe. Stundenlang stehen sie im Wartezimmer an. Bislang habe ihr das kaum etwas ausgemacht, sagt die Krankenschwester Zohra. Aber der Anschlag im Januar habe ihr gesamtes Leben auf den Kopf gestellt. Sie fragt sich oft, ob sie ihren Job überhaupt noch weiter machen könne.
    "Unser Herz sagt manchmal, wir sollten hier nicht mehr arbeiten. Wir haben alle große Angst. Wir sollten zu Hause bleiben, das sagt auch mein Vater. In Kabul ist es zu gefährlich."
    Sardar Mosazai sagt, er habe die Hoffnung, dass er den Tag erleben könne, an dem sein Land im Frieden lebe.
    "Wir können hier nicht weg, Anschläge gehören zu unserem Leben dazu. Wer sonst kann sich um die Opfer kümmern? Morgen könnte wieder ein Anschlag sein und wir müssten die Verletzten versorgen, das ist unsere Aufgabe."
    Auch wenn alle Mitarbeiter den Anschlag haben überleben können, gestorben ist am 27. Januar 2018 ihre Unbekümmertheit im Leben.