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Kachelmann mit Unwort des Jahres "fast bestraft"

"Opfer-Abo" sagt Ihnen nichts? Das sollte es, ist es doch "Unwort des Jahres" und hängt mit dem Prozess um Wettermoderator Jörg Kachelmann zusammen, in dem der Journalist freigesprochen wurde. Publizistin Jana Hensel hält den Begriff an sich für unerträglich - lobt aber, dass die Jury ihn auswählte.

Das Gespräch führte Karin Fischer | 15.01.2013
    Karin Fischer: Und jetzt verrate ich Ihnen Wort und Unwort des Jahres der Redaktion "Kultur heute". Das Wort des Jahres heißt "Prognosetage", das Unwort des Jahres lautet "Strategieprozess". Das kommt Ihnen jetzt etwas kryptisch und insiderisch vor, zurecht, und über beide Sprachungetüme wollen wir hier tatsächlich kein weiteres Wort verlieren. Das Unwort des Jahres, das Sprachwissenschaftler in Darmstadt heute kürten, nimmt sich demgegenüber sehr einfach aus: "Opfer-Abo". Jede Frau, die hört, dass es im Umfeld des Kachelmann-Prozesses eine gewisse Rolle spielte, weiß, was damit gemeint ist. Die Journalistin und stellvertretende Chefredakteurin der Wochenzeitung "Freitag", Jana Hensel, habe ich vor der Sendung gefragt: Diesem Ausdruck ist trotzdem doch eine gewisse Perfidie nicht abzusprechen, oder?

    Jana Hensel: Das finde ich auch. Ich muss Ihnen eine lustige Geschichte erzählen: Wir haben heute Morgen in der Redaktion darüber diskutiert, und ich habe mich wahnsinnig aufgeregt über dieses Wort "Opfer-Abo" und habe erst an den verunsicherten Gesichtern meiner Kollegen gemerkt, dass ich falsch liege, weil ich dachte im ersten Augenblick, es sei das Wort des Jahres gewählt worden, "Opfer-Abo". Dann musste man mich aufklären, dass es sich um das Unwort "Opfer-Abo" handelte. Sie sehen also, dass wir noch nicht so weit sind, dass wir immer genau wissen, handelt es sich jetzt sozusagen um einen Fortschritt, sind wir in der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau tatsächlich schon viel weiter gekommen. Offensichtlich habe ich geglaubt, es hätte auch sehr gut sein können, als sei das Wort des Jahres gewählt worden.

    Fischer: Inhaltlich geht es ja um den Vorwurf, Frauen würden das Instrument einer zum Beispiel falschen Beschuldigung einsetzen, um sich an Männern zu rächen, indem sie zum Beispiel vorgeben, vergewaltigt worden zu sein, und dann würden sie dafür plädieren, dass sie ja doch die Opfer seien, und weil Frauen dafür ein Abo haben.

    Hensel: Genau. Der Jury ist außerordentlich zu danken, vor allem dann, wenn man weiß, dass nur fünf bis acht Prozent von sexueller Gewalt betroffene Frauen überhaupt die Polizei einschalten und dabei wiederum nur drei bis vier Fälle zur Anzeige beziehungsweise zu einem Gerichtsverfahren kommen. Also Jörg Kachelmann hat hier absolute Ausnahmefälle - und auch die sind im Einzelfall zu prüfen, was ich gar nicht machen kann - genutzt, um ein, ich würde mal sagen, relativ gängiges Vorurteil Frauen gegenüber, ob jetzt im Fall sexueller Vergewaltigung oder nicht, zu benutzen, um eine Karte gegen Frauen zu spielen. Der Vorwurf lautet ja, Frauen würden ihre Opferrollen zum eigenen Vorteil benutzen, und das ist natürlich ein ungeheuerlicher Vorwurf und deswegen ist es sehr richtig, dass man ihn jetzt damit fast bestraft, kann man sagen.

    Fischer: Für mich hat dieses Wort auch einen uralten Klang, so als ob man, wenn man es ernst nähme, direkt wieder zurückkatapultiert würde in die 50er- und 60er-Jahre, als Frauen leben mussten mit Sätzen wie "Stell dich nicht so an!" oder "Du wolltest es doch auch!". Nun sind wir ja aber 50 Jahre weiter. Wie geht man denn als jüngere Feministin und als sprachbewusste Frau damit um, dass man diese alten Schwerter eigentlich gar nicht mehr wetzen will, sich aber natürlich in so einer Position auch nie mehr wiederfinden will, wo der Mann mit einer sprachlichen Unterstellung dieses mit einem macht?

    Hensel: Na gut, Kachelmann zeigt ja sehr wohl, dass wir da gar nicht so viel weiter sind. Ich glaube, die Gleichberechtigung ist gestärkt und wir führen diese feministischen Diskurse heute sehr selbstbewusst – auch Männer führen die. Aber daneben gibt es eben immer noch diese Rückfälle, und der Vorteil, oder sagen wir, der Fortschritt besteht im Grunde genommen nur darin, dass diese Rückschritte heute geahndet werden. Aber es gibt sie immer noch. Ich glaube, jede Frau kennt aus ihren alltäglichen Situationen zuhause oder im Büro Situationen, in denen sie sich als Frau diskriminiert fühlt. Da bin ich ganz sicher. Also es gibt das noch, und Kachelmann zeigt das auch.

    Fischer: Müssen wir, Jana Hensel, über eine Grauzone nicht aber auch reden, die zum Teil ja wirklich tabuisiert ist, egal ob es sich zum Beispiel um den Streit um das Kind nach einer Trennung handelt, oder um Kindesmissbrauch? Wir lernen natürlich schon nur schwer, dass es Fälle geben kann, in denen die, die gewöhnlich die Opfer sind, auch mal lügen können.

    Hensel: Das ist zweifellos richtig, und da würde ich aber wieder sagen, das ist im Einzelfall zu prüfen. Solche Einzelfälle aber zu benutzen, um quasi geschlechtliche Stereotype festzustellen und zu sagen, Frauen sind so, Frauen nutzen ihre Opferrollen aus, um daraus Vorteile zu gewinnen, das ist eine unzulässige Verkürzung. Und was man auch sagen muss: Ich glaube, Frauen werden immer noch viel häufiger zu Opfern gemacht, als dass sie sich selbst zu welchen machen, um daraus Vorteile zu ziehen. Also hier stimmen auch die Relationen nicht.

    Fischer: Die Journalistin Jana Hensel über das Unwort des Jahres.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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