Freitag, 19. April 2024

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Violinkonzerte von 1939
Schlachtfeld der Töne

Geigerin Fabiola Kim überzeugt auf ihrer Debüt-CD durch ausgereiftes Spiel und mutiges Konzept. Mit Violinkonzerten von Hartmann, Walton und Bartók führt sie uns an den Beginn des Zweiten Weltkriegs. Und damit zur einschneidendsten Zäsur des 20. Jahrhunderts, auch musikalisch.

Am Mikrofon: Johannes Jansen | 28.07.2019
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    Die koreanisch-amerikanische Geigerin Fabiola Kim (Christine Schneider)
    Der Zweite Weltkrieg war auch ein Schlachtfeld der Töne. Nichts klang danach mehr wie zuvor. Die sechs Jahre zwischen Kriegsbeginn und-ende waren die zweite große Zäsur in der Musik des 20. Jahrhunderts und hinterließen, anders als nach dem Ersten Weltkrieg, eine Art Schockstarre, deren Nachwirkungen bis heute spürbar sind. Eine Doppel-CD mit Werken für Violine und Orchester stellt die Uhr auf das letzte Musikjahr vor dem Krieg zurück: 1939. Konzerte zwischen Vergangenheit und Zukunft könnte man sie nennen, die bereits die Bruchlinien späterer Entwicklungen erkennen lassen, aber auch die fortbestehende Bindung an klassisch-romantische Formen und Verfahrensweisen.
    Musik: Karl Amadeus Hartmann, Concerto funèbre
    Das klangliche Resultat ist so verschieden, wie es die Komponisten selber waren: William Walton, englischer Lebemann mit Italien-Spleen, Karl Amadeus Hartmann, bayrischer Sozialist in der inneren Emigration und Béla Bartók, ungarischer Patriot in panischer Unruhe vor der Auswanderung nach Übersee. In ihrem Leben gab es nur wenige Berührungspunkte, und doch verbindet sie eine gemeinsame Geschichte. Dargeboten von der koreanisch-amerikanischen Geigerin Fabiola Kim und den Münchner Symphonikern unter der Leitung von Kevin John Edusei, Angehörigen einer Generation, für die 1939 schon ein sehr ferner Punkt in der Vergangenheit ist, formt sich aus Schlüsselwerken ihres Schaffens ein facettenreichen Zeitporträt.
    Musik: Karl Amadeus Hartmann, Concerto funèbre
    Schmerzenslaute, eine einsame Choralmelodie und ein schnell unterdrücktes Aufkreischen eröffnen das "Concerto funèbre" von Karl Amadeus Hartmann. Entstanden kurz nach dem Einmarsch deutscher Truppen in Polen, gelangte es 1940 zur Uraufführung in der Schweiz und blieb mit Ausnahme einer Shakespeare-Bühnenmusik für das Bayerische Staatsschauspiel bis weit nach Kriegsende das letzte seiner Werke, das in der Öffentlichkeit erklang. Im Stillen leistete Hartmann Widerstand gegen die lärmende Verherrlichung des Krieges. Ein mutiges Zeichen hatte er schon 1934 mit "Miserae" gesetzt, gewidmet den ersten Opfern nationalsozialistischer Verfolgung und darum in Deutschland unaufführbar. Er selbst entging dem Terror, indem er sich stumm stellte, aber im Geheimen weiter komponierte. Der Ton der Trauerklage zieht sich durch alles, was er nach 1933 schrieb. Nach dem Krieg holte er diese Werke aus der Schublade hervor, um sie einer mehr oder weniger tiefgreifenden Revision zu unterziehen, teilweise auch auszusondern oder dem Korpus seiner Sinfonien einzugliedern. Dem "Konzert der Trauer" blieben Bearbeitung und Umbenennung ebenfalls nicht erspart; erst seit 1959 heißt es "Concerto funèbre". Seinen Werken ein, wenn auch nur dem Titel nach, äußerlich schlichteres Gewand zu verleihen, schützte ihn vor dem ungeliebten Etikett des "Bekenntnismusikers". Er selbst attestierte sich eine "gewisse schwermütige Bedenklichkeit", was ihn freilich niemals hinderte, ins Gegenteil zu verfallen und Tumult zu inszenieren wie im folgenden Ausschnitt aus dem dritten Satz.
    Musik: Karl Amadeus Hartmann, Concerto funèbre
    Musik wie ein Eishauch
    Auf Akkorde, die einen frösteln machen, verstand sich Hartmann meisterhaft, wie hier nach der Solokadenz des in beinahe selbstzerstörerischer Motorik ablaufenden Allegro di molto. Es gehört zu den Vorzügen der Aufnahme von Fabiola Kim, dass sie weder den Furor noch den Klagegestus überspannt und in Hartmanns Tönen, wiewohl mit dem Herzen geschrieben und aufgefasst, weniger die Inbrunst als das Zeichenhafte sucht. Exemplarisch gelingt der letzte Satz mit dem Gedenkmarsch aus der Zeit der russischen Revolution: beherrschte Trauerarbeit, die keine Weinerlichkeit kennt und darum den Eishauch des Schlussakkords umso fühlbarer macht.
    Musik: Karl Amadeus Hartmann, Concerto funèbre
    Die 28-jährige Geigerin Fabiola Kim hat in den Münchner Symphonikern und ihrem Dirigenten Kevin John Edusei überaus aufmerksame Partner, die sich miteinander auf einen schlackenlosen, wohltuend vibratoarmen Klang verständigt haben. Die helle Grundfarbe kommt dem "Concerto funèbre" für Sologeige und Streichorchester ebenso zugute wie dem opulenter besetzten Violinkonzert von William Walton, das oft allzu schwer an seiner in der Sonne des Südens gereiften Süße trägt. Die größte Last liegt freilich dadurch auf dem Werk, dass es eines der Paradestücke von Jascha Heifetz war. Er war auch der Auftraggeber, nachdem der anhaltende Erfolg von Waltons Bratschenkonzert, zehn Jahre zuvor uraufgeführt von Paul Hindemith, in Heifetz das Verlangen geweckt hatte, etwas Ähnliches zu "besitzen". Tatsächlich gehörte Heifetz, der auch auf die virtuose Gestaltung der Solostimme Einfluss nahm, das Violinkonzert für zwei Jahre exklusiv. Er nutzte diese Zeit auch für die Schallplatten-Ersteinspielung, an der sich alle Aufnahmen seither messen lassen müssen. Zu den wenigen, denen es gelang, aus Heifetz’ Schatten zu treten, gehörte in den 1970er Jahren die große koreanische Geigerin Kyung-Wha Chung. Sie hatte die Ehre, Walton noch ein Jahr vor seinem Tod zum 80. Geburtstag aufzuspielen; kennengelernt hatte er sie schon zehn Jahre zuvor und hinterher bekannt, er halte sie einem Zino Francescatti und sogar Heifetz für ebenbürtig. Zu ihren Schülerinnen gehört Fabiola Kim, die nun zu ihr aufrückt mit einer ebenso eleganten wie eigenständigen Wiedergabe von Waltons Werk in fabelhafter Tonschönheit.
    Musik: William Walton, Konzert für Violine und Orchester h-Moll
    Von der Tarantel gestochen
    William Walton selbst betrachtete den zweiten Satz seines Violinkonzerts als Kuriosität und führte die Eingebung darauf zurück, von einer Tarantel gestochen worden zu sein. Man muss der Spinne zu diesem Meisterstich nachträglich noch gratulieren. Das Stück reiht sich ein in die Tradition großer "italienischer" Musik nicht-italienischer Komponisten in Urlaubseuphorie, der sich Walton, eigentlich Rekonvaleszent nach einer Leistenoperation, gemeinsam mit seiner Langzeit-Gönnerin und Geliebten Alice Wimborne in der Villa Cimbrone an der Amalfiküste mit allen Sinnen überließ. Nach England zurückgekehrt, holte bald auch ihn die Realität des Krieges ein. Sein Haus in London wurde im Mai 1941 bei einem der letzten deutschen Bombenangriffe zerstört.
    Musik: William Walton, Konzert für Violine und Orchester h-Moll
    1940 war Béla Bartók, der vorausgesehen hatte, dass Ungarn zum Vasallenstaat des Deutschen Reiches werden würde, in die Vereinigten Staaten emigriert. Dort wandte sich, dem Vorbild von Heifetz und Walton folgend, William Primrose an ihn mit der Bitte um eine Bratschenkonzert. Bartók, damals schon schwerkrank, zögerte mit einer Zusage. Als er aber Primrose im Radio das Walton-Konzert spielen hörte, willigte er ein. Das Konzert blieb unfertig und wurde wie das 3. Klavierkonzert in der ebenfalls auf Bartóks Entwurf basierenden Fassung eines Schülers posthum zum Welterfolg. Das letzte Solokonzert, das Bartók noch selbst vollendete, blieb sein zweites für die Violine. Am letzten Tag des Jahres 1938 war die Niederschrift beendet. Allerdings änderte er auf Wunsch seines Geigerfreundes Zoltán Székely den Schluss noch einmal um. In dieser für den Solisten dankbareren Variante wird es auch hier gespielt.
    Musik: Béla Bartók, Konzert für Violine und Orchester Nr.2
    Szekély hob das Konzert schon im Frühjahr 1939 aus der Taufe. Bartók selbst hatte erst viereinhalb Jahre später in New York Gelegenheit, es einmal zu hören. Fabiola Kim und die Münchner Symphoniker absolvieren den Geschicklichkeitsparcours dieses dritten Werks auf ihrer CD behände, ohne auf Temporekorde aus zu sein. Das Orchester agiert hellwach und will hörbar hoch hinaus, ist aber in seinen Möglichkeiten nuancierter Klangentfaltung noch nicht in der Liga angekommen, in der die Solistin spielt. Bei allem verständlichen Drang zur Perfektion einem formal und satztechnisch so ehrgeizigen Werk wie diesem gegenüber wäre wünschenswert gewesen, sie hätten der unbekümmerten Freude an den schillernden Farben dieser Partitur etwas freieren Lauf gelassen.
    Musik: Béla Bartók, Konzert für Violine und Orchester Nr.2
    Das war zum Schluss der heutigen neuen Platte ein Ausschnitt aus dem dritten Satz des zweiten Violinkonzerts von Béla Bartók in einer wohlgelungenen Neuaufnahme mit Fabiola Kim, Violine, und den Münchner Symphonikern unter der Leitung von Kevin John Edusei, erschienen beim Label Solo Music im Vertrieb von Sony.
    1939 – Violinkonzerte von William Walton, Karl Amadeus Hartmann und Béla Bartók

    Fabiola Kim, Violine
    Münchner Symphoniker
    Leitung: Kevin John Edusei

    Solo Musica SM 308