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Kämpferischer Neuanfang

Mit dem Album "Sun" meldet sich Chan Marshall alias Cat Power nach vier Jahren Pause zurück. Mitte der 2000er war die Sängerin aus Atlanta die ungekrönte Königin des Indie-Rock. Nun gelingt ihr ein kämpferisches Comeback.

Von Marcel Anders | 01.09.2012
    "Mein damaliger Freund hat mich mit genau dem Mädchen betrogen, dass er angeblich nie wieder sehen wollte. Ich habe sie unter der Treppe erwischt. Und das an meinem Geburtstag."

    Ein Szenario, das Chan Marshall, eine wunderschöne Frau mit kurzen, schwarzen Haaren, braun gebrannter Haut und mädchenhafter Figur, nicht vergessen kann. Sei es, weil es ihren Traum von Familie und Kindern zerstört hat, die längste Beziehung ihres Lebens beendet und für die Traumhochzeit ihres Ex mit Model Agyness Deyn gesorgt hat – drei Tage vor diesem Interview. Weshalb Chan immer wieder in Tränen ausbricht, Minuten lang ins Leere starrt, Fragen vergisst oder verbal den Faden verliert. Ein richtiges Häufchen Elend.

    "Manchmal habe ich das Gefühl, als würde ich durch die Zeit reisen – oder als wäre ich schon mal hier gewesen. Aber ich weiß eigentlich gar nicht, was ich hier rede … Tut mir leid. Außerdem hatte ich diesen Traum, dass etwas mit meinem Ohr nicht stimmt. Es verhält sich ganz komisch. Ich habe geträumt, dass ich nichts mehr höre."

    Doch so wirr sie im Gespräch wirkt, so klar und kämpferisch gibt sie sich auf ihrem Comeback. Mit elf Stücken, die zwar lange vor der Trennung entstanden sind, aber etwas geradezu Prophetisches haben. Denn was sich musikalisch zwischen Indie-Rock, Latin-Sounds, Synthie-Pop und Blues bewegt, mal betont sphärisch-verträumt oder rockig und kantig kling, verarbeitet inhaltlich die Selbstzweifel, Sorgen und Vorahnungen einer Frau, die ihrem Glück nicht traut. Die sich und ihre Beziehung permanent hinterfragt, überall Lügen und Verrat wittert, und unüberwindbare Barrieren zwischen den Geschlechtern vermutet.

    "Es herrscht ein echtes Problem zwischen Männern und Frauen. Und ich denke, es resultiert allein daraus, dass wir immer sagen, es wäre die Schuld des jeweils anderen. Dabei liegt es an jedem von uns. Und das ist das Hauptproblem: Als Fötus sind wir identisch. Doch dann entwickelt sich unser Geschlecht. Und danach richtet sich der Puls in unserem Gehirn, der uns so verschieden macht. Deshalb werden die einfachsten Dinge durch Misskommunikation zerstört – weil unsere Gehirne anders arbeiten."

    Eine Erkenntnis, die umso mehr schmerzt, weil Chan Marshall vier Jahre ihres Lebens investiert hat – nur um genau das bestätigt zu bekommen, was sie eigentlich längst wusste. Doch zumindest ist dabei ein denkwürdiges Duett für einen wichtigen Anlass entstanden. Woran sie sich regelrecht festhält.

    "Die Tochter meines Ex litt unter Online-Mobbing. Was in Amerika ein echtes Problem ist. Und weshalb in den letzten Jahren etliche Kids Selbstmord begangen haben. Sie machte das auch durch – weshalb ich ihr einen Song geschrieben habe. Und weil sie zu der Zeit Ziggy Stardust entdeckt hat, habe ich David Bowie und Iggy Pop gefragt, ob sie mitmachen. Ich habe ihnen zwar nicht gesagt, dass ich beide kontaktiert habe – was ich vielleicht hätte sollen - aber David hat eh abgesagt, während Iggy zustimmte. Als ich ihr das erzählte, meinte sie: 'Das ist so cool.' Darauf ich: 'Aber ich habe auch schlechte Nachrichten – Bowie habe ich nicht bekommen.' Und sie: 'Das ist OK, mach dir keine Sorgen.'"

    Mehr Sorgen muss man sich indessen um Chan machen. Seit der Trennung von Giovanni Ribisi hat sie keine feste Adresse, übernachtet bei Freunden und tastet sich langsam an ihr altes Leben heran. Mit einer Reunion ihrer Band, die unter anderem aus Mitgliedern der Jon Spencer Blues Explosion besteht. Aber auch neuem Kontakt zu Modepabst Karl Lagerfeld, der sie einst – vor Amy Winehouse und Beth Ditto – zu seinem Protegé gemacht hat. Und von dem sie sich eine zweite Chance in der Modewelt erhofft.

    "Ich habe eine Menge Künstler, Schriftsteller, Fotografen, Mathematiker, Journalisten, Philosophen, Kernphysiker und Tänzer getroffen. Unterschiedliche Leute, die im Grunde sehr ähnlich sind. Sie haben nur verschiedene Ansichten, weil sie ein anderes Leben führen. Aber Leute werden älter. Und dann sind sie glücklich, wenn sie immer noch tun können, was sie als junge Menschen geliebt haben. Wofür Karl das perfekte Beispiel ist. Er hat weiterhin Spaß. Nach dem Motto: 'Setzt sie in einen Hubschrauber!' – 'Es ist ihr Geburtstag?' – 'Besorgt ihr einen Kuchen!' Er ist unglaublich süß. Ich glaube nicht, dass das jeder machen würde."