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Kästners "Fabian oder Der Gang vor die Hunde"  in Düsseldorf 
Bankrotterklärung des intelligenten Mittelstands

Erich Kästners Roman "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" porträtierte 1931 die untergehende Weimarer Zeit. Aber der Text ist auch Porträt eines heutigen Hipsters, der vor lauter Moral nicht weiß, wo er eigentlich mit dem Handeln anfangen soll. Bernadette Sonnenbichler hat Kästners Roman nun am Düsseldorfer Schauspielhaus aufs Heute bezogen.

Von Dorothea Marcus  | 16.10.2017
    Undatiertes Archivbild eines nachdenklichen Erich Kästners. Er war ein deutscher Schriftsteller, Drehbuchautor und Journalist, der vor allem für seine Kinderbücher (z. B. "Emil und die Detektive", "Das doppelte Lottchen")bekannt wurde.
    Portrait des Schriftstellers Erich Kästner (picture alliance / dpa )
    Fabian ist wie wir. Der Germanist will ein bisschen die Welt verbessern, hält sich aber gerne heraus. Ein scharfsichtiger Diagnostiker, der alles erkennt, es im Partygetümmel des 1920er-Jahre-Berlin aber lieber vergisst. Wie soll man auch eingreifen, wenn es ohnehin in den Abgrund geht?
    Attraktiv und unverbindlich durchs Berliner Leben surfen
    Erich Kästners Roman "Fabian oder Der Gang vor die Hunde" war schon, als er 1931 erschien, das treffende Porträt der untergehenden Weimarer Zeit. Mehr als dreißigtausendmal verkaufte er sich, bis er einige Monate später öffentlich verbrannt wurde. In Düsseldorf spielt Publikumsliebling André Kaczmarczyk Fabian so psychologisch-realistisch, als sei er aus dem Heute entsprungen: ein sympathischer Bürgersohn mit Wuschelkopf und grün-rosa Anzug. Attraktiv und unverbindlich surft er durchs Berliner Leben.
    "Ich kann vieles und ich will nichts. Wozu soll ich vorwärts kommen? Wofür und wogegen? Gut, Angenommen, ich sei der Träger einer Funktion. Wo ist denn das System, in dem ich funktionieren kann? Nichts hat Sinn!!! Ich pfeife auf Geld und Macht! Stefan, ich weiß ein Ziel, aber es ist leider keins. Ich möchte helfen die Menschen anständig und vernünftig zu machen – aber vorläufig bin ich damit beschäftigt, sie auf ihre Eignung anzuschauen."
    Die Regisseurin hat die Bühne zu Fabians Kopfkasten gemacht: eine langgestreckte Vitrine, rosa ausgeschlagen, mit Glühlämpchen versehen. Die Figuren, die in sein Leben dringen, sind zweidimensionale, stilisierte Schießbudenfiguren, die kurz erscheinen und wieder abtreten. Meist sehen sie aus wie Figuren von Otto Dix-Gemälden – am distanzierten Fabian rauscht es vorbei. Psychologisches Spiel trifft auf Trash. Jeder Szenenwechsel wird von Drummer Nico Stallmann mit Trommelwirbeln angekündigt: Eine klischierte Nummernrevue des Sündenpfuhl-Alltags. Die Schiebewände geben mal gedrängte Autobussituationen, mal Sex-Klischeeposen des sündigen Berlins im Dauerdisco-und Kunstrausch frei. Aus dem Boden werden Redaktionsstubentische gefahren, dort werden fröhlich Fake-News erfunden.
    "Der Chef hat angerufen. Ich muss im Leitartikel fünf Zeilen streichen!" Dann füllt man die Spalte! In Kalkutta fanden Straßenkämpfe zwischen Mohammedanern und - eh voilà da haben Sie Ihre Meldung! Was? Die Unruhen haben nicht stattgefunden? Nein! Das müssen Sie mir erstmal beweisen! In Kalkutta da finden doch immer Unruhen statt!
    Doch dann verliebt sich Fabian in Cornelia Battenberg. Auf einmal schaffen sie es zusammen aus Fabians Kopfkasten heraus zu einer innigen Szene auf dem Dach. Der utopische Moment der Liebeserhebung verpufft schnell, als Cornelia Karriere macht und sich dafür hochschlafen muss. Als dann auch noch der intellektuelle Wegbegleiter Stephan Labude am Strick baumelt und die Kündigung da ist, ist es um Fabians Contenance geschehen. Zitternd und schwitzend geht er unter in der Reizüberflutung Berlins. Eine aufwändig choreografierte Licht- und Drum-Show illustriert seine totale Verlorenheit, Fabian wirkt wie ein vom Leben gehetztes Vieh.
    Fabians haltlos-unsystematisches Gutmenschentum
    Und dann springt er, der Nichtschwimmer, ins Wasser, um ein Kind zu retten – und stirbt. Fabians einziger Versuch, einzugreifen, ist letztlich eine kopflose Bankrotterklärung des intelligenten Mittelstandsbürgers beim Versuch der Weltverbesserung. Es ist erstaunlich, wie sehr das haltlos-unsystematische Gutmenschentum des Fabian heutigen Mittelstands-Positionen ähnelt: man sieht den Untergang kommen und findet keinen Ansatz, ihn aufzuhalten. Die Folie der Weimarer Republik bleibt an diesem Abend ein etwas zu dick aufgetragenes Dekor. Doch trotz Trash, trotz manchem Expressionismus-Klischee zeigt sich Bernadette Sonnenbichler in Düsseldorf als sichere Erzählerin. Wer nicht schwimmen kann, kann keinen vor dem Ertrinken retten: so bündig ist die Erkenntnis. Wie man allerdings das Schwimmen lernen könnte – diese Antwort bleibt der Abend schuldig.