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Kahlschlag im Westen

Westdeutsche Allgemeinen Zeitung, Westfälische Rundschau, Westfalenpost und Neue Ruhr/Rheinzeitung - vier bislang redaktionell unabhängige Blätter hielten in Essen ihre erste gemeinsame Betriebsversammlung ab. Denn erstmals in der Geschichte der Holding drohen betriebsbedingte Kündigungen. Und: Die Unabhängigkeit der Mantelredaktionen wird weitgehend aufgegeben.

Von Brigitte Baetz | 15.11.2008
    "Wir werden uns von Leuten trennen, und wir werden ihnen dabei in die Augen sehen." Ulrich Reitz, Chefredakteur der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung und gleichzeitig - ungewöhnlich für einen Journalisten - Mitglied der Geschäftsleitung der Mediengruppe, sprach diese Worte zu einem überwiegend schweigenden Auditorium von über 800 WAZ-Mitarbeitern. Wie Teilnehmer der nicht-öffentlichen Betriebsversammlung vom vergangenen Dienstag übereinstimmend berichten, erklärte er auch, er hielte es nicht für gerecht, wenn die rentablen Blätter vom Balkan die Zeitungen an der Ruhr künftig subventionierten.

    Zehn Millionen Euro Verlust für alle vier NRW-Titel im Jahr 2008 hatte Joachim Kopatzky von der WAZ-Geschäftsleitung den überraschten Mitarbeitern vorgerechnet, allerdings auch behauptet, es sei noch gar nicht ausgemacht, dass es zu betriebsbedingten Kündigungen überhaupt kommen werde. Sicher ist jedoch eines: 30 Millionen Euro pro Jahr sollen im Kerngeschäft der WAZ-Gruppe gespart werden und damit, die Zahl steht zumindest im Raum, könnte dies für 300 Mitarbeiter, zumeist Redakteure der WAZ-Gruppe, das Aus bei ihrem jetzigen Arbeitgeber bedeuten.

    Der Sparplan für die WAZ sieht zudem vor, dass ein zentraler "Content Desk" die ersten Seiten der einzelnen Blätter, also den so genannten Mantel zuliefern soll. Zwar ist es den einzelnen Zeitungen vorbehalten, in welcher Gewichtung sie diese Inhalte übernehmen wollen, jedoch glaubt beispielsweise Susanne Schulte, Redakteurin bei der Westfälischen Rundschau, nicht, dass die ehedem unabhängigen Blätter dann noch unterscheidbar sein werden.

    "Ich bin mir sicher, wenn es jetzt eine Art Agentur gibt für die vier WAZ-Zeitungen, dann natürlich von Vielfalt nicht mehr die Rede sein kann. In Dortmund gibt es ja noch den WAZ-Mantel und den Mantel der Westfälischen Rundschau. Und dann wird es dann eben so sein: Was bei der Rundschau Aufmacher ist, das ist bei der WAZ vielleicht der Aufsetzer und umgekehrt. Und das ist nichts Anderes als wenn man sagt, man macht eine Agenturzeitung nur mit dpa-Meldungen - nur dass es eben aus dem eigenen Haus kommt und dass man jetzt halt eben die Lizenz oder das Geld spart, was man sonst für dpa ausgibt."

    "Publizistische Vielfalt unter einem betriebswirtschaftlichen Dach", so hatte einst Erich Schumann, langjähriger Geschäftsführer der WAZ-Mediengruppe und Adoptivsohn des Gründerverlegers Erich Brost, das Erfolgskonzept seines Zeitungsreiches definiert. Als die größte Regionalzeitung Deutschlands, die Westdeutsche Allgemeine, in den 70er Jahren die Westfälische Rundschau, die Neue Ruhr/Rheinzeitung und die Westfalenpost übernahm, beschwichtigte man die Kartellwächter: Die Redaktionen blieben selbständig bei gleichzeitiger Zentralisierung von Produktion und Verwaltung.

    Ein Sparmodell, das hohen Gewinn einbrachte: Die Zeitungsgruppe beherrschte fortan den Werbemarkt an der Ruhr und erzielte nach eigenen Angaben zeitweise bis zu 30 Prozent Rendite. In der Branche galten die Geschäftsleute aus Essen allerdings lange Jahre als eine Art Parvenus, die ihre Blätter ausschließlich als gewinnbringende Objekte betrachteten. In das gleiche Horn stößt heute die Deutsche Journalisten-Union. Frank Biermann, Vorsitzender der dju in NRW:

    "Wenn man also mal in die letzte Ausgabe des Manager Magazins reinguckt: Da sind nämlich alle fünf Familien, denen die WAZ-Gruppe gehört, in der List der Top 300 reichen Familien Deutschlands, die liegen alle zwischen… Also unter einer Milliarde alle, aber in der Summe hat die Familie ein Gesamtvermögen von 3,85 Milliarden Euro in den letzten Jahrzehnten verdient. Deswegen können wir jetzt nicht nachvollziehen, dass, wenn eine kurzfristige Krise in der Branche auftaucht, sofort die Redakteure diejenigen sein sollen, die dann bluten sollen. Das leuchtet uns nicht ein. Da muss man mehr Geduld haben."

    Beide Journalistengewerkschaften, dju wie DJV, richten sich schon darauf ein, sozialverträgliche Lösungen für einen möglichen Stellenabbau zu erarbeiten. Dabei ist immer noch ungeklärt, wieso die WAZ-Blätter an der Ruhr eigentlich in den roten Zahlen stecken. Schon seit längerem spart die Zeitungsgruppe an ihrer lokalen Berichterstattung, einst ihre große Stärke, und hat mit dem "Westen" ein blattübergreifendes Internetportal aufgebaut. Gleichzeitig haben die Essener in großem Stil in Osteuropa investiert und nach eigenen Angaben dort auch Gewinne erwirtschaftet. Noch einmal Frank Biermann von der dju:

    "Vor allem treibt uns die große Sorge um, dass mit diesem wüsten Sanierungskonzept eher noch zu einer weiteren Auflagensenkung beigetragen wird, wenn also der Umfang zusammen geschoben wird et cetera. Also, unsere Meinung ist: Lokalzeitungen können nur Erfolg haben, wenn sie gut gemacht werden, wenn die Redakteure auch nah am Leser sind, und nicht in weit entfernten News Desks die Zeitungen zusammen gezimmert werden, ohne dass noch wirklich die Kompetenz vor Ort da ist."

    Das WAZ-Modell der redaktionellen Unabhängigkeit steht also vor dem Aus. Und das Bundeskartellamt wird nach eigenen Angaben nicht eingreifen können. Denn konzerninterne Vorgänge wären nur dann zu prüfen, wenn nachgewiesen werden könnte, dass die WAZ sich 1975 ausdrücklich verpflichtet hat, die Unabhängigkeit der Ruhrblätter aufrecht zu erhalten. Da die gesetzliche Aufbewahrungsfrist jedoch nur zehn Jahre beträgt, sind die betreffenden Unterlagen in der Bonner Behörde nicht mehr auffindbar.