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Kalorien in der Venusfliegenfalle

Chemie. - Vor 101 Jahren behauptete ein japanischer Forscher namens Kikunae Ikeda, eine fünfte Geschmacksrichtung entdeckt zu haben er nannte sie "umami", für "wohlschmeckend". Inzwischen gilt dieser 5. Sinn als anerkannt. US-Forscher enthüllen jetzt neue Details, wie der molekulare Umami-Rezeptor genau funktioniert.

Von Volker Mrasek | 10.02.2009
    Wer wissen möchte, was die Arbeitsgruppe von Xiaodong Li Neues über den Umami-Geschmack herausgefunden hat, dem stellt der Biologe zunächst eine etwas irritierende Frage:

    "Sie kennen doch die Venus-Fliegenfalle, nicht wahr?"

    Die Venus-Fliegenfalle? Diese fleischfressende Pflanze? Deren Blätter zusammenklappen, wenn sie von einem Insekt berührt werden. Gegenfrage an den US-Wissenschaftler: Was hat dieses exotische Gewächs mit Geschmacksrezeptoren in unserem Mund zu tun?

    "Die Umami-Rezeptoren sind im Prinzip genauso wie diese Pflanze aufgebaut. Sie haben Ausstülpungen, die wie die Blätter der Venusfliegenfalle nach außen abstehen. Und sie haben so etwas wie Wurzeln. Mit denen sitzen sie in der Zellwand. Wenn der Rezeptor durch Glutamat aktiviert wird, schließt sich die molekulare Venusfliegenfalle und sendet ein Signal an das Gehirn. So entsteht der Umami-Geschmack."

    Doch der Rezeptor für den Maggi-artigen Geschmack reagiert nicht bloß auf Glutamat. Er hat auch noch eine Bindungsstelle für andere Moleküle, die dafür sorgen, dass die molekulare Falle noch fester zuschnappt. Dadurch wird die Reizwirkung von Glutamat um ein Vielfaches erhöht. Synergismus nennt Biologe Li dieses Funktionsprinzip. Das Glutamat stimuliert den Umami-Rezeptor. Der Verstärker an der zweiten Bindungsstelle verriegelt die Falle, so dass der Signalstrom zum Gehirn nicht abebbt. Dadurch potenziert sich das Geschmackserlebnis. Wie das Ganze am Rezeptor räumlich abläuft, konnten die Kalifornier jetzt mit molekularbiologischen Methoden genau aufklären. Das öffnet die Tür zu neuen und gesünderen Fertig-Lebensmitteln, wie die Firma aus San Diego hofft:

    "Unsere neuen Erkenntnisse können wir nun auch auf den Rezeptor für süßen Geschmack anwenden. Denn unseren Untersuchungen zufolge funktioniert er nach dem gleichen Prinzip. Es sollte also möglich sein, auch Verstärker für süße Geschmacksstoffe zu finden. Dann könnte man den Gehalt von Zucker in Lebensmitteln reduzieren. Das wäre eine wirklich sinnvolle Sache."

    Ernährungswissenschaftler beklagen, dass viele Lebensmittel noch immer zu kalorienreich sind – weil sie zu viel Zucker enthalten. Ein Süßkraft-Verstärker könnte das ändern, so die Idee – indem er die Geschmacksintensität von Zucker erhöht. Dann bräuchten Lebensmittelhersteller ihren Produkten nicht mehr so viel davon zuzusetzen. Das macht natürlich nur dann Sinn, wenn der Geschmacksverstärker gesundheitlich unbedenklich und energieärmer als Zucker ist. Offenbar kommt die Biotechnologie-Firma aus San Diego in ihren Entwicklungslabors gut voran. Die Biologin und Chemikerin Gwen Rosenberg, mitverantwortlich für die Unternehmenskommunikation bei Senomyx:

    "Wir haben einen Geschmacksverstärker für Rohrzucker entdeckt und entwickeln ihn gerade zur Marktreife. Vorerst trägt er die Bezeichnung S-6973. Es gab schon Geschmackstests mit diesem Stoff – in Getreideprodukten, Joghurt und Getränken. Und wir konnten feststellen: Durch S-6973 braucht man zum Teil nur noch die Hälfte Rohrzucker im Lebensmittel – ohne dass der gewohnte Geschmack verlorengeht."

    Einen Umami-Aufpepper vermarktet die Firma bereits in Asien. Außerdem hat sie eine Substanz in petto, die es erlaubt, mit weniger Sucralose auszukommen, einem künstlichen Süßstoff. In den USA ist dieses Produkt nach Angaben von Senomyx kürzlich als unbedenklich eingestuft worden. Wenn die kalifornischen Biologen weiterhin so zielstrebig vorgehen, dann sind vermutlich auch zuckrig-süße Verstärker und kalorienärmere Lebensmittel nur noch eine Frage der Zeit.