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Kalte Progression
"Steuereinnahmen reichen nicht"

Trotz der hohen Steuereinnahmen: Ein Abbau der kalten Progression könne frühestens im kommenden Jahr beraten werden, sagte der haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Kahrs, im DLF. "Keine neuen Schulden ist das prioritäre Ziel."

Johannes Kahrs im Gespräch mit Christiane Kaess | 24.04.2014
    Der SPD-Abgeordnete Johannes Kahrs spricht am 19.12.2013 in Berlin bei der 6. Sitzung des Bundestags in der 18. Legislaturperiode
    Johannes Kahrs, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion (dpa picture alliance / Maurizio Gambarini)
    Selbst "die Steuermehreinnahmen reichen in diesem Jahr nicht aus, um keine neuen Schulden zu machen", sagte der SPD-Finanzpolitiker Johannes Kahrs im Deutschlandfunk. "Ich warne alle davor, Geld zu verteilen für Dinge, die wir alle wollen, bevor wir die schwarze Null nicht erreicht haben."
    Zunächst müsse im Haushalt eine langfristige Basis dafür geschaffen werden, dass der Staat keine neuen Schulden aufnehme, sagt Kahrs. Dies sei erst im Budget für 2015 vorgesehen. Daher könne auch erst im kommenden Jahr ernsthaft über einen Abbau der kalten Progression gesprochen werden. Selbst dann bestünden weiterhin erhebliche Risiken im Haushalt und bei der Wirtschaftsentwicklung. Der Abbau sei nur möglich, wenn entweder Subventionen abgebaut oder Einnahmen innerhalb des Steuersystems verschoben werden. Denkbar sei dann die Einführung eines Spitzensteuersatzes.
    Die kalte Progression bezeichnet das Phänomen, dass ein Arbeitnehmer bei einer Gehaltserhöhung mehr Steuern zahlen muss, die Inflation aber gleichzeitig einen Teil des Lohnanstiegs entwertet. Das real verfügbare Einkommen kann durch den Effekt sogar sinken.

    Christiane Kaess: Mitgehört hat Johannes Kahrs, er ist haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag, guten Morgen!
    Johannes Kahrs: Moin!
    Kaess: Herr Kahrs, wollen auch Sie die schleichende Enteignung von Leistungsträgern, wie Peter Ramsauer die kalte Progression nennt, abschaffen?
    Kahrs: Wir Sozialdemokraten wollen erst mal die Neuverschuldung senken und wollen in den nächsten Jahren die schwarze Null. Also auch Sozialdemokraten kämpfen für eine schwarze Null und wollen, dass wir keine neuen Schulden aufnehmen. Ich glaube, das ist das prioritäre Ziel der Großen Koalition.
    Kaess: Aber wann, wenn nicht jetzt, sollte man die Frage der kalten Progression angehen?
    Kahrs: Ich glaube, solange Sie weiter Schulden machen, würden Sie jede Veränderung im Steuersystem über weitere Schulden bezahlen. Das macht relativ wenig Sinn.
    Kaess: Aber auf der anderen Seite muss man ja auch sagen: Die Steuereinnahmen, die es jetzt gibt, sind gleichzeitig für den Bürger Steuerzahlungen. Und bei diesem Ausmaß hat doch der Steuerzahler ein Recht, einen Teil zurückzubekommen?
    "Hat auch mit Generationengerechtigkeit zu tun"
    Kahrs: Na ja, die Frage ist ja auch, was der Steuerzahler denn möchte. Und nach allen Umfragen, die ich kenne, nach den Gesprächen auch bei mir im Wahlkreis, wollen die Menschen, dass es endlich aufhört, dass ständig neue Schulden gemacht werden. Und die Steuermehreinnahmen, die sie jetzt zum Beispiel haben, reichen in diesem Jahr nicht aus, um keine neuen Schulden zu machen. Wir machen in diesem Jahr neue Schulden. Man redet immer über Steuermehreinnahmen, die kommen, aber die führen noch nicht dazu, dass wir keine neuen Schulden machen. Wir haben in der Koalitionsverhandlung als SPD stark darauf gedrungen, dass wir ab nächstem Jahr keine neuen Schulden mehr machen. Das hat auch was mit Generationengerechtigkeit zu tun, das hat auch was damit zu tun, dass für den Steuerzahler am Ende nicht weitere Belastungen über Zinszahlungen auf einen zukommen. Und deswegen finden wir, keine neuen Schulden ist das prioritäre Ziel.
    Kaess: Und Herr Kahrs, dieser ausgeglichene Haushalt, der ja schon seit Längerem angestrebt wird, der ist jetzt plötzlich nur möglich durch diese völlig unerwarteten zusätzlichen Steuereinnahmen?
    Kahrs: Nein, aber er hilft natürlich. Das Problem ist, diese schwarze Null, also keine neuen Schulden machen, das ist das Ziel von allen, aber da werden auch alle Kräfte reingesteckt. Und das bindet auch natürlich die ganzen Anstrengungen. Und wenn man jetzt ständig schon wieder davon redet, wie man weniger Geld einnehmen möchte oder wofür man mehr Geld ausgeben möchte, dann wird man sich von diesem Ziel weiter entfernen. Und wir haben in der Großen Koalition klar gesagt: ab nächstem Jahr keine neuen Schulden. Und das halte ich für ein wesentliches Ziel. Wir haben es in diesem Jahr geschafft, die Neuverschuldung deutlich abzusenken, und in der mittelfristigen Finanzplanung sieht es so aus, als ob wir es durchziehen könnten für die nächsten Jahre, keine neuen Schulden zu machen. Das halte ich für wesentlich.
    Kaess: Also, Sie sagen – um das noch mal festzuhalten –, diese zusätzlichen Einnahmen nur und lediglich in einen ausgeglichenen Haushalt stecken, und sonst nichts?
    Kahrs: Na ja, alles andere würde bedeuten, Sie machen neue Schulden. Und wenn Sie Mehrausgaben oder Mindereinnahmen jetzt strukturell einplanen und die Wirtschaftsentwicklung verschlechtert sich in den nächsten Jahren – weil Steuermehreinnahmen kommen und manchmal, wenn die Wirtschaftsentwicklung wieder schlechter ist, gehen sie auch wieder –, dann können Sie das nur über eine Neuverschuldung auffangen. Das kann nicht Ziel sein, so ist es in der Vergangenheit häufig gewesen, deswegen sagen wir als Sozialdemokraten, das erste Ziel muss sein, ab dem nächsten Jahr fortlaufend durchzuziehen: keine Neuverschuldung!
    Kaess: Aber was ist mit der Reparatur von Straßen und Schienen?
    "Wenn wir das hinbekommen, dann sind wir gut"
    Kahrs: Wenn es denn dann außerhalb dieser Geschichte, also das heißt, außerhalb der Frage, ob wir eine Neuverschuldung bekommen, noch Mittel da sind, dann kann man auch darüber reden, ob man die in diesen Bereich gibt. Aber ich warne alle davor, jetzt schon wieder Geld zu verteilen für Dinge, die wir alle wollen, bevor man nicht diese schwarze Null erreicht hat. Wir wollen keine neuen Schulden. Wenn wir das hinbekommen, dann sind wir gut. Wenn es dann noch Mehreinnahmen gibt, dann kann man sich darüber unterhalten und dann wären die Haushälter von SPD, CDU und CSU gerne bereit, mehr für Investitionen auszugeben. Das ist auch vernünftig und ist auch richtig.
    Kaess: Herr Kahrs, das mit dem ausgeglichenen Haushalt haben wir jetzt verstanden. Noch einmal zu dem Punkt Abschaffung kalte Progression! Das stand einmal ziemlich weit oben auf der politischen Agenda. Fällt das jetzt komplett unter den Tisch?
    Kahrs: Ich glaube, dass das kommen kann, wenn die Wirtschaftsentwicklung sich deutlich verbessert und wenn dann...
    Kaess: Wie viel besser soll sie denn noch werden als jetzt?
    Kahrs: Na ja, im Moment ist es so, dass wir trotz der Wirtschaftsentwicklung immer noch Schulden machen. Das heißt, es ist ja nicht so, dass wir dieses Jahr Geld über hätten, sondern in diesem Jahr haben wir mehr Geld eingenommen als in dem letzten, und das reduziert die Zahl der Schulden, die wir neu aufnehmen. Das heißt, wir haben kein Geld rumliegen.
    Kaess: Das hört sich bei diesen Einnahmen dennoch ein bisschen so an, als würde man hier die Gutmütigkeit der Bürger ein bisschen ausnutzen, die sich ohnehin an hohe Steuern und Abgaben gewöhnt haben.
    Kahrs: Ich glaube, Sie nutzen die Gutmütigkeit der Bürger richtig aus, wenn Sie laufend neue Schulden machen, die dann natürlich von nachfolgenden Generationen bezahlt werden müssen.
    Kaess: Herr Kahrs, wann werden wir über die Abschaffung der kalten Progression reden?
    Kahrs: Wenn Sie strukturell diese schwarze Null halten, keine neuen Schulden machen und Sie dann sehen, das Geld...
    Kaess: Also ab nächstem Jahr?
    Kahrs: Genau, und das aber dauerhaft ist. Denn Sie haben ja noch Risiken. Die Wirtschaftsentwicklung muss stabil bleiben, Sie müssen gucken, ob es im Laufe der Krise um die Ukraine bei der Wirtschaftsentwicklung so bleibt, wir haben auch Haushaltsrisiken, die Sie zurzeit noch da drin haben. Das muss man alles fairerweise einrechnen. Und ich bin immer der Meinung, dass man niemandem etwas versprechen darf, was man nachher nicht halten kann. Und wenn Sie dauerhafte Mindereinnahmen haben, dann müssen Sie auch solide gegenrechnen, am besten durch Subventionsabbau oder indem Sie das im System umverteilen.
    Kaess: Gestern kam vonseiten der SPD noch ein anderer Vorschlag. Die Vorsitzende des Finanzausschusses Ingrid Arndt-Brauer hat sich dafür ausgesprochen, den Ausgleich für einen möglichen Abbau der kalten Progression dadurch zu finanzieren, indem man die Spitzeneinkommen stärker besteuert. Das klingt ein bisschen so, als ob die SPD gar nicht genug bekommen kann an Steuereinnahmen?
    "Keine neuen Schulden,und gleichzeitig die kalte Progression abbauen"
    Kahrs: Na ja, es geht erst mal darum, dass Sie keine neuen Schulden machen. Und wenn Sie dann sagen, Sie wollen keine neuen Schulden machen, und gleichzeitig die kalte Progression abbauen, dann geht das eben nur so, wie der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU Fuchs gesagt hat, indem man zum Beispiel Subventionen abbaut, oder, wie Frau Brauer sagt, innerhalb des Steuersystems das verschiebt, das heißt, die einen entlastet werden, dass die kalte Progression abgebaut wird, und Sie sich das Geld an einer anderen Stelle im System holen, indem Sie beim Spitzensteuersatz, wo Sie im Gegensatz zu Zeiten von Helmut Kohl deutlich weniger zahlen, da was drauflegen.
    Kaess: Für welche Option wären Sie? Das sind ja zwei ganz unterschiedliche Vorschläge!
    Kahrs: Ich glaube, dass wir erst mal keine Neuverschuldung haben dürfen. Und dann kann man alle Optionen prüfen und rechnen.
    Kaess: Herr Kahrs, rächt sich jetzt, dass die Regierung teure Wahlgeschenke gerade bei der Rente gemacht hat und deshalb jetzt nicht auf die Einnahmen aus der kalten Progression verzichten kann?
    Kahrs: Na, ich glaube, Geschenke sind das nicht, sondern es ist vor der Wahl viel versprochen worden und man wirft uns Politikern ja immer vor, dass wir Wahlversprechen nicht einhalten. Wir halten die Wahlversprechen ein, die wir vor der Wahl gemacht haben. Das kann man gut finden und das kann man schlecht finden. Aber die Diskussionen hat es im Wahlkampf gegeben, ich glaube, dass wir zum Beispiel auch die Rente mit 63 hervorragend begründen können. Wir sind mit unseren Stimmen dafür gewählt worden, dass wir das umsetzen, die CDU ist von Wählern gewählt worden, damit sie Mütterrente umsetzt. Das wird jetzt gemacht, versprochen und gehalten!
    Kaess: Sagt Johannes Kahrs, haushaltspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion im Bundestag. Danke für das Interview heute Morgen, Herr Kahrs!
    Kahrs: Immer gern, schönen Tag noch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.