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Kamerun
Relikte der deutschen Kolonialzeit

Über 30 Jahre lang war Kamerun eine deutsche Kolonie. Bis heute erinnern Bauwerke und Bräuche an diese Zeit. Die Kameruner erinnern sich mit gemischten Gefühlen. Ein Spaziergang durch die Hauptstadt Jaunde auf den Spuren der Deutschen.

Von Alois Berger | 01.06.2014
    Auf einem Militärstützpunkt in der deutschen Kolonie Kamerun wird von in Tropenanzüge gekleideten Männern eine Fahne gehisst (undatierte Aufnahme aus der Kolonialzeit). Von 1884 bis zum Ersten Weltkrieg war Kamerun eine deutsche Kolonie, dann wurde es 1916 unter Großbritannien und Frankreich aufgeteilt.
    Auf einem Militärstützpunkt in der deutschen Kolonie Kamerun wird von in Tropenanzüge gekleideten Männern eine Fahne gehisst (undatierte Aufnahme aus der Kolonialzeit). (picture-alliance / dpa )
    Mittagszeit an der Avenue Marchand. 29 Grad Lufttemperatur, der Himmel ist bedeckt, Luftfeuchtigkeit: fast 90 Prozent. Kein Wind. Es ist tropisch schwül in Jaunde.
    Jaunde ist eine quirlige Stadt mit Dauerstau auf den Straßen. Schwere, dunkle Limousinen mit abgedunkelten Scheiben rollen zwischen klapprigen Kleinwagen und qualmenden Lastern. Am Straßenrand richten bunt gekleidete Frauen ihre Imbissstände ein. Bald werden die Angestellten aus den Bürogebäuden rundherum zum Mittagessen kommen. Mahmut sitzt in seinem gelben Taxi, dessen Frontscheibe einen dicken Sprung hat und nur mit Klebstreifen zusammen gehalten wird. Mahmut wartet auf Kundschaft, er hat das Fenster herunter gekurbelt und wie alle Kameruner Lust zum Reden. Gerne auch über die Deutschen in Kamerun.
    "Wenn man sich die Situation in Kamerun vor Augen führt, dann denkt man schon, wenn die Deutschen damals geblieben wären, dann wären wir heute weit von dem Elend entfernt, in dem wir stecken. Da gab es nichts Halbes und nichts Ungenaues bei den Sachen, die sie gemacht haben. Wenn man mal die Grausamkeiten beiseitelässt, wie das in der Kolonialzeit eben war, dann bleiben die Deutschen hier unvergessen. Deshalb werden sie heute auch mit offenen Armen empfangen."
    32 Jahre lang war Kamerun deutsche Kolonie, von 1884 bis 1916. Im Ersten Weltkrieg dann mussten die Deutschen das Land verlassen. Den Norden Kameruns übernahmen die Briten, der größere Süden mitsamt der Hauptstadt Jaunde ging an Frankreich. Die französischen und die britischen Gebäude seien längst verfallen, erzählt Mahmut. Die deutsche Zeit – und was damals gebaut wurde – sei dagegen noch sehr präsent.
    "Die Spuren der deutschen Kolonialzeit in Kamerun sind noch immer sehr bemerkenswert. Nehmen Sie allein die Straße von Jaunde nach Duala, da kommen sie über die Brücke von Edea. Diese Brücke wurde vor über 100 Jahren von den Deutschen gebaut. Und sie ist immer noch in hervorragendem Zustand! Diese Brücke spricht für sich selbst."
    Bewunderung für deutsche Ingenieurskust
    Die Brücke von Edea ist immer das erste, was den Kamerunern einfällt, wenn sie über die deutsche Kolonialzeit reden. Eine 160 Meter lange Stahlbogenbrücke, die 1911 von der Gutehoffnunghütte in Oberhausen gebaut und dann die Kilometer hierher per Dampfschiff transportiert wurde. Ihre eiserne Stabilität beeindruckt die Menschen in Kamerun noch heute. Doch die Brücke von Edea steht nahe der Küste, 150 Kilometer von der Hauptstadt entfernt. In Jaunde selbst sind die Spuren der deutschen Kolonialzeit nur noch schwer zu finden. Zu groß ist die Stadt, zu schnell gewachsen, zu chaotisch gewuchert.
    Als der deutsche Forschungsreisende und Offizier Richard Kund 1889 im Auftrag von Kaiser Wilhelm II die Forschungsstation Jaunde gründete, war an dieser Stelle noch Urwald. Ein Fluss, ein paar Hütten, ein paar Dörfer rundherum, sonst nur dichter Wald. 125 Jahre später leben hier in Jaunde eineinhalb Millionen Menschen. Immer neue Siedlungen entstehen, immer neue Straßen, von denen die allermeisten nicht einmal einen Namen haben.
    Man muss sich schon sehr gut auskennen, um die alten Gebäude aus der deutschen Kolonialzeit in Kameruns Hauptstadt aufzustöbern. Uwe Jung vom Goetheinstitut in Jaunde versucht seit vielen Jahren, verschüttete Erinnerungen und vergessenes deutsches Erbe wieder ans Licht zu bringen.
    Wenn man die Avenue Marchand verlässt und in Richtung Finanzministerium geht, stößt man auf ein kleines hellgelbes Haus mit rotem Blechdach, geduckt zwischen den klobigen Verwaltungsgebäuden der Regierung. Hier fing alles an, erzählt Uwe Jung:
    "Das ist das allererste Stationsgebäude der Station in Jaunde. Es wurde ab 1894 angefangen zu bauen, 1896 fertiggestellt. Es ist der erste Ziegelsteinbau, der erste mehrgeschossige Bau in Jaunde."
    Rosinenpicken bei Rechtsstreitigkeiten
    Zwei Stockwerke, ein rotes Blechdach, rotbraune hölzerne Fensterläden und eine steinerne Treppe, die außen an der Wand hochführt und auf halber Höhe einfach aufhört. Eine Treppe mit einer besonderen Funktion damals:
    "Zunächst war es das Gebäude, wo der Stationschef wohnte. Und die Treppe hier vorne diente auch gleichzeitig für die zivile Gerichtsbarkeit. Es gab sehr viele Fälle von Zivilgerichtsbarkeit, es waren hauptsächlich Fälle von Erbschafts-, Scheidungs-, und Heiratsangelegenheiten."
    Auf der roten Erde vor dem Stationsgebäude saßen damals oft Dutzende von Menschen aus der ganzen Region. Sie warteten dort, bis sie aufgerufen wurden. Es deutet vieles darauf hin, dass die Deutschen nicht besonders beliebt waren: zu grausam, zu brutal, zu herzlos, heißt es in alten Berichten aus Kamerun. Zugleich aber galten die Deutschen als gerecht und stark. Deshalb brachten viele Menschen ihre Streitigkeiten lieber vor das deutsche Zivilgericht als vor die eigenen Stammesrichter.
    "Man nutzte praktisch die Möglichkeit mehrerer Rechtssysteme aus. Wenn man beim anderen Rechtssystem vermutete, dass es schlecht für einen ausgeht, hat man´s halt hier bei den Deutschen versucht."
    Ein paar Kilometer südlich, auf dem Mvolye-Hügel. Eine Gruppe Jugendlicher nutzt die Ruhe auf dem ehemaligen Missionsgelände für Gesangsübungen. Pallottiner-Pater aus Limburg haben 1904 diese Missionsstation aufgebaut. Hier, etwas außerhalb der Stadt, scheint die Zeit stehen geblieben. Die stattliche Kirche, die lang gezogene Schule mit dem hölzernen Balkon, die Wirtschaftsgebäude, alles um einen staubigen Schulhof herum gruppiert. Ganz ähnlich muss es auch vor 100 Jahren ausgesehen haben. Allerdings war hier damals viel mehr los, ist sich Uwe Jung vom Goetheinstitut sicher:
    "Diese Missionsstation in Mvolye war die weitaus erfolgreichste Pallottinerstation in Kamerun zur deutschen Zeit. Das kann man ablesen anhand der Taufen, der Hochzeiten, der Eheschließungen."
    Viele junge Kameruner lernten damals hier in Mvolye die Sprache der Kolonialherren. Als die Deutschen aus Kamerun abzogen, hinterließen sie neben Gebäuden und Brücken ihren ehemaligen Untertanen auch Goethe, Schiller und Hegel: Tausende von Schülern waren in drei Jahrzehnten deutscher Kolonialherrschaft in Kamerun in den Missionsschulen auf Deutsch ausgebildet worden. Sie hielten diese Bildung häufig ihr Leben lang in Ehren. So wie der Großvater von Jean-Emmanuel Pondy, der selber an der Universität Yaounde lehrt:
    "Mein Großvater sprach sehr, sehr gut deutsch. Ich hab ihn erlebt, wie er deutsch redete. Er hatte viele deutsche Bücher zuhause. Ich selbst war damals sechs oder sieben Jahre. Ich war noch zu klein, um diese Chance zu nutzen."
    Der Rosenkranz bleibt
    Doch nach dem Ersten Weltkrieg mussten auch die deutschen Missionare das Land verlassen. Was in Kamerun blieb, waren ihre Kirchen – und die Rosenkranzgebete, die sie den Kamerunern beigebracht hatten.
    Einprägsame Gebete, steinerne Kirchen, stabile Brücken und viele Gefängnisse aus Stein und Stahl haben die Deutschen hinterlassen. Und noch etwas findet man in Kamerun immer wieder: Alleen aus hochgewachsenen, mächtigen Mangobäumen. Auch die stammen aus deutscher Zeit:
    "Es gab eine Anweisung an alle lokalen Chefs. Die mussten das Wegenetz instand halten. Dazu gehörte, Löcher auszubessern und links und rechts Bäume zu pflanzen, und zwar entweder Mangobäume oder Zitronenbäume. Die Chefs haben eine Stange bekommen, die war vier Meter lang, und das war das Mindestmaß für die Breite der Straßen. Das Mindestmaß musste eingehalten werden, die Bäume mussten gepflanzt werden um Früchte zu geben und um Schatten zu spenden. Die Zitronenbäume haben es nicht überlebt, aber die Mangobäume haben es überlebt."
    Unten an der Avenue Marchand steht wieder das gelbe Taxi von Mahmut. Der 35jährige wartet auf Kundschaft. Ob es stimmt, fragt er, dass die Deutschen vergessen hätten, dass Kamerun einmal deutsche Kolonie war. In Kamerun wisse das jedes Kind. Die Brutalität der Deutschen von damals, die Grausamkeit, erzählt Mahmut, das alles lernen wir in der Schule. Aber auch die guten Seiten:
    "Man sagt bei uns: Er benimmt sich wie ein Deutscher, wenn jemand auffällt durch seine Kraft und durch seine Entschlossenheit, etwas umzusetzen."