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Kammermusik
Ein Störenfried – neu eingespielt

Der japanische Geiger Daishin Kashimoto und der russische Pianist Konstantin Lifschitz haben sämtliche Sonaten von Ludwig von Beethoven für Violine und Klavier neu eingespielt. Sie klingen bei ihnen so, wie sie gemeint waren: als Hinweis an die Hörer, dass diese Musik keine Unterhaltung, sondern Kunst ist.

Von Raoul Mörchen | 09.03.2014
    So klingt die wohl radikalste Einleitung einer Sonate für Violine und Klavier - sie klingt heute noch radikal und sie war es erst recht 1802, als Ludwig van Beethoven diese wenigen Takte komponierte. 18 Takte, um genau zu sein, 18 Takte, die ein Werk eröffnen, das als "Kreutzer-Sonate" berühmt werden sollte - so berühmt, dass der russische Schriftsteller Leo Tolstoi sogar eine Novelle danach benannte. Dabei verdankt sich der Titel einem Musiker, der die Radikalität Beethovens nicht als Herausforderung empfunden hatte, sondern als Affront. Die Sonate sei geradezu "unverschämt unverständlich", soll der berühmte französische Geiger Rodolphe Kreutzer ausgerufen haben, als er die Partitur in den Händen hielt - und danach gleich beiseite legte. Gespielt hat Kreutzer sie nie. Dabei ist das Werk ein Schaustück sondergleichen: von einer bis dato in der Sonatenliteratur ungekannten Extravaganz und Virtuosität ...
    Man kann sich die Fassungslosigkeit des Publikums gut vorstellen, das am 24. Mai 1803 in Wien diese Musik zum ersten Mal hörte, gespielt von ihrem Komponisten und dem geheimnisumwitterten "schwarzen" Geiger George Bridgetower. Violinsonaten hießen damals fast ausnahmslos noch "Sonaten für Klavier und Violine" oder gar "für Klavier mit Violinbegleitung". Erst langsam wurde die Gattung erwachsen und etablierte sich als eigenständige, ernst zu nehmende Form der Kammermusik. Im Kontext höfischer Unterhaltung und bürgerlichen Musizierens hatte sie lange Zeit Bescheidenheit geübt: Duo-Sonaten waren kurz, sie waren einfach zu verstehen und einfach auszuführen - und, ebenso wichtig: Das Klavier war hier der Herr im Haus. Ein mitspielendes Streichinstrument hatte nur die Melodie zu verstärken.
    Ein konzertantes Duo zweier gleichberechtigter Partner
    Und nun dies, die Kreutzer-Sonate: Selbstbewusst eröffnet nicht etwa das Klavier, sondern die Violine ein Werk von geradezu monumentalen Dimensionen, schon der erste Satz so lang wie gewöhnlich eine ganze Sonate, technisch für beide Interpreten gleichermaßen extrem anspruchsvoll und dabei formal so frei, so originell, so fordernd, dass es sich an den vertrauten Modellen nicht mehr messen lässt. Die Kreutzer-Sonate präsentiert sich als konzertantes Duo zweier gleichberechtigter Partner.
    Die Kreutzer-Sonate ist Beethovens neunte für Violine und Klavier, eine weitere Sonate mit der Opuszahl 96 wird ihr zehn Jahre später noch folgen. Und doch kulminiert alles, was Beethoven zur Gattung der Duo-Sonate beizutragen hatte, bereits in diesem Werk: Es bringt die Sonate vom Salon in den Konzertsaal, nimmt sie aus den Händen der Amateure, überantwortet sie den Profis - und setzt mit der Gleichberechtigung der Stimmen einen Standard, der das gesamte 19. Jahrhundert hin gelten wird und für Interpreten noch heute gilt. So tut denn der japanische Geiger Daishin Kashimoto auch sehr gut daran, nicht irgendwen an seine Seite zu lassen bei der Gesamtaufnahme dieser Sonaten, sondern mit dem Russen Konstantin Lifschitz einen Pianisten, der seinerseits als Solist und Kammermusiker einen ausgezeichneten Ruf hat.
    Historisch gut informiert
    1979 in London geboren, in Japan und den USA aufgewachsen und ausgebildet, zählt Daishin Kashimoto nicht zu den großen Solisten, deren Weg alljährlich durch die Konzerthäuser und Kammermusiksäle der Welt führt. Dennoch wird manch einem der Mann auf dem Cover der neuen Sonaten-Box bekannt vorkommen: Kashimoto ist Konzertmeister der Berliner Philharmoniker. Nachdem er sich in Deutschland bei den bedeutenden Pädagogen Zakhar Bron und Rainer Kussmaul letzte Instruktionen geholt hat, führte Kashimotos Weg in kurzer Zeit auf diese exponierte Position. Seit 2009 spielt Kashimoto in Berlin am ersten Pult. Sein Ausflug von der Orchester- in die Kammermusik war ihm nun aber offenbar eine Herzensangelegenheit. Für die Beethoven-Aufnahmen schlüpfte er dem Kleingedruckten zufolge in die Rolle des Co-Produzenten, was vermutlich nichts anderes heißt, als dass Kashimoto die Aufnahme selbst finanziert hat - mittlerweile eine durchaus gängige Praxis. Erstaunlicher ist da schon, wie mühelos der Orchestermusiker Kashimoto umschaltet auf das intime Format des Duos:
    Auf modernem Instrumentarium, aber historisch offenbar gut informiert, schaut Daishin Kashimoto nicht nur sehr genau auf den originalen Notentext mit seinen vielfältigen Dynamik- und Tempovorschriften, er hört auch sehr genau auf seinen Partner Konstantin Lifschitz. Mag der hier und da auch zu lang auf dem Pedal stehen und damit die eher trockene, klare Artikulation von Kashimoto etwas unterlaufen: Einverständnis herrscht sonst in wirklich allen Fragen - vor allem bei der elementaren Frage der Verteilung der Stimmen, die auch bei Beethoven nicht pauschal, sondern nur von Fall zu Fall beantwortet werden kann. Ihre durchweg moderaten Tempi modellieren Kashimoto und Lifschitz ausgesprochen elegant, die langsamen Binnensätze verströmen eine zuweilen atemberaubende Ruhe und Gelöstheit. Und doch bleibt bei allem das Wissen darum präsent, dass Beethoven kein braver Klassizist war, sondern ein Störenfried: die jähen, zornigen Umschläge der Stimmungen, die beißenden Sforzati und Fortepianos, die bewussten Irritationen erwarteter Abläufe, sie klingen bei Kashimoto und Lifschitz so, wie sie gemeint waren: als Erinnerung an die Hörer, dass diese Musik keine Unterhaltung, sondern Kunst ist.
    CD-Infos:
    Beethoven: The Complete Violin Sonatas
    Daishin Kashimoto und Konstantin Lifschitz
    Warner Classics 04281