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Kampf dem Alkohol

Alkoholismus ist ein weltweites Problem. 1980 gründete sich die ISBRA, die International Society for Biomedical Research on Alcoholism und lädt seither alle zwei Jahre zu einem internationalen Symposium, um die neuesten Forschungsergebnisse im Kampf gegen die Krankheit auszutauschen. Derzeit diskutieren die Wissenschaftler in Paris.

Von Suzanne Krause | 15.09.2010
    Alkoholismus galt lange Zeit schlicht als Charakterschwäche, verbreitet quer durch alle Gesellschaftsschichten. Heute jedoch zeigen wissenschaftliche Studien: Die Neigung zu übermäßigem Alkoholkonsum kann genetisch verankert sein. Dafür verantwortlich ist allerdings nicht ein einziges, sondern eine Vielzahl von Genen, sagt Mickael Naassila. Der Physiologe leitet die Laborgruppe Alkoholabhängigkeit beim staatlichen französischen Institut für Gesundheitsforschung, dem Inserm.

    "Bei der Alkoholabhängigkeit spielen genetische Faktoren eine sehr große Rolle. Diese Krankheit wird zu 50 bis 60 Prozent von genetischen Anlagen bestimmt. Bei Menschen, die bestimmte Genmutationen tragen, bricht die Krankheit zwar nicht unweigerlich aus. Aber wenn gewisse schädliche Umwelteinflüsse dazu kommen, haben sie ein erhöhtes Risiko, alkoholabhängig zu werden."

    Erst allmählich decken die Forscher auf, wie tief Alkohol in den Körper eingreift.

    "Alkohol wird überall im Körper aktiv, im Gehirn ebenso wie im gesamten Organismus. Er wirkt bis in den Zellkern hinein und langfristiger Alkoholmissbrauch verändert die Genaktivität dauerhaft. Denn Alkohol modifiziert die Art und Weise, wie bestimmte Moleküle in der Zelle aneinanderbinden."

    Dass Alkoholkonsum in der Schwangerschaft sich für den Fötus schädlich ist, beobachtete als Erster 1968 ein französischer Kinderarzt. Was genau im Mutterleib geschieht, erforscht Rajesh Miranda im Institut für Health Science in Texas.

    "Von allen Drogen hat Alkohol sicher die größten Auswirkungen auf die Entwicklung des Fötus. Wir wissen heute, dass die Art der Schäden davon abhängt, zu welchem Moment der Schwangerschaft die Frau Alkohol konsumiert. Wenn sie beispielsweise während der letzten sechs Monate trinkt, beeinflusst dies die Größe und die Struktur des Hirns. Wir dachten bislang, dass dies dadurch bewirkt wird, dass der Alkohol Gehirnzellen abtötet. Nun wird immer deutlicher, dass Alkohol auch auf die Hirn-Stammzellen einwirkt und ihre Differenzierung unterbindet. Und somit entsteht ein Gehirn, das viel kleiner und weniger komplex ist als ein typisches menschliches Gehirn. Wir wissen heute: Jeder Tropfen ist einer zu viel."

    Mit Erfolg arbeiten die Wissenschaftler an der Entwicklung feinerer Diagnoseverfahren, an Biomarkern, um schon geringste Mengen an Alkohol im Körper der Schwangeren wie auch des Ungeborenen nachzuweisen. Denkbar ist, den fötalen Schäden mit Medikamenten oder auch mit einer speziellen Ernährung entgegenzuwirken. Auch nach der Geburt können gewisse Schäden noch korrigiert werden: wenn das Kind ein soziales Umfeld mit viel positiver Stimulanz erhält.

    Dass die Genetik von Alkoholkranken nun besser verstanden wird, erlaubt es den Forschern zudem, aus der bislang anonymen Masse von Alkoholikern gewisse Gentypen herauszufiltern. Und damit gezieltere, persönlichere Therapien anzubieten, sagt Michel Reynaud, Organisator der ISBRA-Konferenz in Paris.

    "Das ist wie bei den Krebsspezialisten. Sie sind derzeit weltweit dabei, immer gezieltere Therapien zu entwickeln, je nachdem, wie das Gensystem des Patienten auf bestimmte Behandlungen antwortet und abhängig von der Art des Tumors. Wir Alkoholspezialisten tun es ihnen nach."

    Optimistisch stimmt die Wissenschaftler die Entwicklung neuer Medikamente, die beispielsweise die Trinklust hemmen. Ziel ist nicht mehr, einen Alkoholabhängigen zur lebenslangen Abstinenz zu bringen, sondern ihm die Kontrolle über sein Suchtverhalten zurückzugeben.