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Kampf der Abwanderung im slowakischen Kosice

Im slowakischen Kosice stemmt sich die junge Generation gegen den Niedergang der wirtschaftlichen Strukturen. Hochschulabsolventen wollen die zweitgrößte Stadt des Landes in eine Kreativmetropole verwandeln. Helfen könnte dabei, dass Kosice 2013 europäische Kulturhauptstadt wird.

Von Kilian Kirchgessner | 29.05.2012
    Die Musik ist laut aufgedreht, das gehört hier zum Konzept. Eine Seitenstraße im Zentrum von Kosice, der Hauptstadt des slowakischen Ostens. "Smelly Cat" heißt das Café, zu deutsch stinkende Katze; hier in einer früheren Wagen-Remise ist der Treffpunkt der jungen Kreativen. Sie sitzen auf Ohrensesseln und schlürfen Milchkaffee. Einer von ihnen ist Michal Hladky, ein Architekt und Designer mit moderner Hornbrille.

    "Ich hatte nach meinem Studium auch Angebote aus dem Ausland, nach Deutschland oder England hätte ich gehen können. Aber es hat sich so entwickelt, dass ich hier angefangen habe. Wie es momentan aussieht, will ich hier auch dauerhaft bleiben."

    Ein Weg, der noch vor kurzem undenkbar war: Die Region um Kosice – das war das Armenhaus der Slowakei, gelegen an der ukrainischen Grenze, schlecht angebunden, geprägt von der Schwerindustrie und mit einer Arbeitslosenrate von fast 25 Prozent. Leute wie Michal Hladky, die gut ausgebildet sind und mehrere Sprachen sprechen, sind in der Vergangenheit aus dem Osten geflüchtet – in den Speckgürtel rund um die wohlhabende Hauptstadt Bratislava oder gleich ins Ausland.

    "Am Anfang haben meine Freunde gelacht, als ich gesagt habe, dass ich bleiben will: Was willst du hier bloß machen, haben sie gefragt. Es braucht viel Enthusiasmus, viel Engagement, das stimmt. Ich bin auf Hindernisse gestoßen, immer wieder. Da muss man erst einmal durch – anders geht es nicht."

    Fünf Jahre ist das jetzt her. Inzwischen betreibt Michal Hladky seine eigene Design-Firma, die sich gut etabliert hat. Und: Er ist nicht der einzige, der sich in Kosice niedergelassen hat. In den vergangenen Jahren sind viele Hochschulabsolventen bewusst im Osten der Slowakei geblieben. Eine eigene Szene mit Künstlercafés, Szene-Galerien und vor allem jeder Menge Optimismus hat sich entwickelt.

    "Wenn ich mir anschaue, wie die Lage auf kulturellem Gebiet noch war, als ich 2007 hier angefangen habe: Da gibt es einen Zuwachs um sicherlich 400 Prozent. Diese Entwicklung ist ein riesiger Sprung für die nur fünf Jahre."

    Vor allem ist sie ein Wunder, an das in Kosice fast niemand geglaubt hat. Seit der politischen Wende war die Stadt in einem Teufelskreis gefangen: Die jungen Hochschulabsolventen wandern ab - und dass sie nicht in der Region bleiben, schreckt die Investoren zusätzlich ab. Marek Vertal ist einer der Männer, die die Entwicklung stoppen wollen: Er leitet bei der Stadt Kosice die Abteilung, die Firmenansiedlungen unterstützt.

    "Wir sähen hier gern Unternehmen, die den Hochschulabsolventen eine Chance bieten. Manche Branchen sollten von Bratislava aus zu uns in den Osten ziehen. Uns geht es um ein Signal, dass sich etwas bewegt: Das nehmen die Bürger wahr, sie bleiben dann hier und werden geduldiger beim Warten auf bessere Zeiten."

    Zeigen, dass sich etwas bewegt – das könnte die Aufgabe der jungen Kreativen sein. Niemand in Kosice macht sich Illusionen darüber, dass die vielen Arbeitslosen aus dem Osten des Landes plötzlich alle in kreativen Berufen arbeiten könnten. Aber mit der Jugend bliebe die Hoffnung vor Ort, mit den gut Gebildeten würde die ganze Region attraktiver.

    Michal Hladky sitzt in seinem Lieblingscafé in der Altstadt von Kosice. Die kritische Masse müsse man erreichen, ruft er: Wenn erst einmal viele Kreative vor Ort seien, dann bekomme die Stadt einen Ruf, der weit über die Region hinaus reiche.

    "Sehr gut sichtbar ist das bei den Neuen Medien, bei Software und im Online-Sektor. Da hat Kosice ein großes Potenzial. Wir haben hier zum Beispiel eine landesweit tätige Firma aus dem Bereich mit 4000 Mitarbeitern. Es gibt gut ausgebildete Leute aus diesem Feld, die ziehen sich gegenseitig an. So entstehen neue Ideen. Ich rede jetzt nicht von einem neuen Konzern wie Apple, aber das nächste Computerspiel, das weltweit Furore macht – das könnte aus Kosice stammen."

    Das ist es, wofür sich Michal Hladky und viele seiner Freunde engagieren. Ihre Heimat jedenfalls, daran sind sich die jungen Kreativen einig, wollen sie nicht dem Verfall überlassen.