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Kampf für ein freies Südamerika

Das politische Erdbeben der französischen Revolution brachte weit über Europa hinaus die Machtverhältnisse ins Wanken. Auch im fernen Südamerika entflammte das Feuer der Freiheit. Dort kämpften Männer wie der Venezolaner Simón Bolívar und der Argentinier José de San Martín für die Befreiung ihrer Heimat von der spanischen Herrschaft.

Von Stefan Fuchs | 24.05.2007
    Es ist ein Marsch unendlicher Entbehrungen, den General Antonio José de Sucre und seine 3000 Soldaten zurücklegen müssen. Von den tropischen Tiefebenen der Pazifikküste bis in die schwindelnden Höhen von Quito führt sie ihr Weg mitten durch das menschenleere Herz der Anden über sturmgepeitschte Schneefelder und endlose Hochebenen. Vor dem von den Spaniern besetzten Quito schließlich beschließt Bolívars bester General, den Feind listenreich zu umgehen, die Stadt vom unbefestigten Norden her anzugreifen. In einem nächtlichen Gewaltmarsch erklimmen Sucres Truppen die schroffen Hänge des Pichincha-Vulkans, dessen Krater aus 4600 Meter Höhe über die Stadt Quito blickt.

    "Als die Sonne am 24. Mai im Osten aufging, wurde sie von den Kämpfern der Freiheit auf einem Schlachtfeld begrüßt, das bald vom Heldenblut rot gefärbt sein würde. Zu unseren Füßen erwachte Quito aus dem Schlaf. Türme, Kuppeln und Dächer vergoldeten sich, ganz so wie die Sonne des Sieges bald das strahlende Antlitz der Söhne der Stadt vergolden sollte."

    In seinen Erinnerungen eines "Veteranen der Freiheitskriege" beschreibt der ekuadorianische Dichter Carlos Tobar jene denkwürdige Schlacht, die am 24. Mai 1822 das Schicksal der spanischen Kolonien in Amerika besiegeln sollte. Männer aus allen Teilen des Kontinents, Kolumbianer, Venezolaner, Ekuadorianer, Peruaner, Argentinier und Chilenen haben sich dem Befreiungsfeldzug José de San Martíns und Simón Bolívars angeschlossen.

    "Unsere Schützen feuerten nur wenige Salven, wir kämpften mit Bajonetten und Säbeln. Der Mut der Spanier versetzte uns in Erstaunen. Keuchend und noch außer Atem vom steilen Aufstieg stürzten sie sich auf uns wie ein bergan fließender Sturzbach. Wir empfingen sie und schlugen mit Macheten und Gewehrkolben auf sie ein. Es fehlte nicht an Steinen, die wir den Feinden entgegenschleuderten. Sterbende Pferde stolperten in die Tiefe und rissen die nach oben Stürmenden mit sich."

    Zu spät hatte der spanische General Melchor Aymerich, das Umgehungsmanöver bemerkt. In aller Eile müssen seine Truppen nun die steilen Abhänge des Pichincha erklimmen, wo sie General Sucre mit seinen Männern erwartet.

    "Die Verwundeten wanden sich zu unseren Füßen oder krochen ins Dickicht, damit sie auf dem engen Schlachtfeld nicht von den Stiefeln der Kämpfenden zermalmt wurden. Dann erhielten wir Befehl, zur Attacke überzugehen und den Gnadenstoß zu führen. Als ob der Vulkan, auf dessen versteinerten Ausbrüchen wir kämpften, selbst erwachte, ergoss sich glühende Lava unaufhaltsam aus dem Krater menschlicher Leidenschaften, der flammende Wogen wütender Menschen ausspuckte, die mit blutüberströmten Bajonetten schreiend und fluchend den Berg zum Erzittern brachten."

    In drei Stunden ist alles vorüber. Über tausend Tote und Verwundete liegen auf dem zerklüfteten Schlachtfeld. Am nächsten Tag ziehen die Befreier in ein jubelndes, blumengeschmücktes Quito ein. Der Weg zum Angriff auf die letzte spanische Bastion, Lima, ist frei. Im dritten Anlauf scheint Bolívars Traum von einer einzigen geeinten Republik Gran Colombia zum Greifen nah. Begeistert schreibt er über den genialen Strategen, der dies möglich gemacht hat.

    "General Sucre ist der Retter der 'Kinder der Sonne', er hat die Ketten gesprengt, mit denen Pizarro das Inkareich gefesselt hatte. Die Nachwelt wird ihn darstellen, mit einem Bein im Krater des Pichincha, mit dem anderen auf den Höhen des Potosí, wie er in seinen Händen die Wiege des ersten Inka-Herrschers Manco Cápac trägt, den Blick auf die Ketten Perus gerichtet, die sein Schwert zerschmetterte."

    Aber mit den militärischen Erfolgen gegen die spanischen Truppen wachsen die Rivalitäten zwischen den Kämpfern für die Unabhängigkeit und ihr schroffer Stolz. Bolívars großer Traum von der Einheit Spanisch-Amerikas, er zerbröselt in Kämpfen um Einfluss und Macht.

    Acht Jahre nach der Schlacht von Pichincha wird General Sucre in einer Bergeinsamkeit im Süden Kolumbiens Opfer eines Hinterhalts.