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Kampf gegen den IS
Die möglichen Folgen der Offensive auf Mossul

Der Angriff der irakischen Armee auf Mossul läuft, dem IS könnte er einen entscheidenden Schlag versetzen. Doch auch andere Konsequenzen werden befürchtet: Helfer sehen mehr als eine Million Zivilisten in Gefahr - und nach der Eroberung der Stadt stellt sich eine schwierige Machtfrage.

17.10.2016
    Irakische Streitkräfte 45 Kilometer vor Mossul. Zu sehen ist ein Soldat mit einem Gewehr.
    Irakische Streitkräfte 45 Kilometer vor Mossul. (AFP / Ahamd Al-Rubaye)
    An dem Angriff auf Mossul beteiligen sich auch Kämpfer der kurdischen Peschmerga-Miliz. Unterstützt werden die Streitkräfte mit Luftangriffen von einer US-geführten Koalition. Ein Reporter der Agentur Reuters beobachtete Hubschrauber, die in Richtung Mossul flogen und hörte Explosionen im Osten der Stadt. Es wird erwartet, dass rund 30.000 Soldaten sowie Angehörige der Peschmerga und sunnitischer Milizen an der Offensive teilnehmen, um die 4.000 bis 8.000 IS-Extremisten aus Mossul zu vertreiben. In einer ersten Stellungnahme erklärte die Armee, mehrere Verteidigungslinien des IS seien zerstört worden.
    USA erwarten langwierige Kämpfe
    Nach Einschätzung der USA ist mit einem schnellen Erfolg der Regierungstruppen nicht zu rechnen. Die Rückeroberung werde Wochen oder "womöglich länger" dauern, sagte der für den Kampf gegen den IS in Syrien und im Irak zuständige US-General Stephen Townsend. Die US-geführte Anti-IS-Koalition unterstützt die irakischen Regierungstruppen und ihre Verbündeten bei der Rückeroberung von Mossul. Mossul ist die letzte Großstadt, die noch von der Terrormiliz Islamischer Staat beherrscht wird. Die Extremisten hatten die Stadt vor zwei Jahren eingenommen. Seit Monaten haben die irakischen Streitkräfte zusammen mit ihren Verbündeten die Rückeroberung von Mossul vorbereitet.
    Der IS solle aus der Stadt im Norden des Landes vertrieben und die Würde der Einwohner wieder hergestellt werden, hatte Ministerpräsident Haider al-Abadi zuvor im irakischem Staatsfernsehen gesagt. Das Fernsehen zeigte Al-Abadi in Uniform umringt von hohen Offizieren. "Mit Gottes Hilfe werden wir siegen", sagte er.
    Die Sieger könnten Gegner werden
    Die Einnahme der Stadt, in der Mal fast drei Millionen Menschen gelebt haben, käme laut Beobachtern zumindest im Irak einer militärischen Vernichtung des IS gleich. "Es ist jedenfalls, wie es scheint, der Anfang vom Ende der territorialen Ausdehnung des IS im Irak und seines Staatsprojekts im Irak", sagte Volker Perthes von der Stiftung Wissenschaft und Politik im Deutschlandfunk.
    Der Nahost-Experte Udo Steinbach sagte im DLF, mit dem Zurückdrängen durch die Armee sei "das Thema Irak dann abgehakt" für den sogenannten Islamischen Staat. Der IS werde sich darauf konzentrieren, seine Positionen in Syrien zu halten. Dort stünden "die Karten aber auch nicht besonders günstig".
    Ein militärischer Schlag sei im Interesse von US-Präsident Barack Obama, der mit einem außenpolitischen Erfolg abtreten wolle, berichtet Anne Allmeling aus dem ARD-Studio Kairo im Deutschlandfunk. Allerdings bleibe die Frage, wie die militärischen Sieger anschließend miteinander verfahren. "Die kurdischen Peschmerga, die irakischen Streitkräfte, schiitische Milizen, sunnitische Stämme - sie werden sich wahrscheinlich auch wieder bekämpfen, weil alle sich von der Befreiung Vorteile erhoffen."
    Hilfsorganisationen befürchten Folgen für Zivilisten
    Hilfsorganisationen sehen derweil mehr als eine Million Menschen in Gefahr. Er sei höchst besorgt um die Sicherheit von rund 1,5 Millionen Menschen, die noch in der Stadt lebten, sagte UNO-Nothilfekoordinator Stephen O'Brien. Die Hilfsorganisation UNHCR rechnet mit bis zu einer Million Flüchtlingen aus Mossul, von denen bis zu 700.000 humanitäre Hilfe benötigen könnten. "Familien sind einem extremen Risiko ausgesetzt, in die Schusslinie zu geraten oder von Scharfschützen ins Visier genommen zu werden", sagte O'Brien. Zehntausende könnten belagert oder als menschliche Schutzschilde festgehalten werden. Die Hilfsorganisationen Norwegian Refugee Council (NRC) forderte die Einrichtung von sicheren Fluchtrouten für Zivilisten.
    O'Brien beklagte, die humanitäre Hilfe für den Irak sei unterfinanziert. Das UNHCR hat nach eigenen Angaben erst rund ein Drittel der rund 200 Millionen US-Dollar (rund 180 Millionen Euro) bekommen, die es für die Versorgung der Vertriebenen aus Mossul bräuchte. Im Nordirak befinden sich bereits 1,8 Millionen Kriegsflüchtlinge.
    Der UN-Flüchtlingskommissar Grandi schrieb auf Twitter, er sei auf dem Weg in den Nordirak, um dort Vorbereitungen für mögliche Fluchtbewegungen von Zivilisten zu treffen.
    IS könnte entscheidend geschlagen werden
    Der Kampf um Mossul gilt als möglicherweise entscheidende Offensive gegen den Islamischen Staat. Die Terrormiliz hat in den vergangenen Monaten herbe Rückschläge einstecken müssen und bereits ein Drittel ihres ursprünglichen Gebietes verloren. Erst gestern eroberten in Syrien Regierungsgegner mit Unterstützung der Türkei die Stadt Dabik, die für den IS von symbolischer Bedeutung war.
    (nch/fwa/vic)