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Kampf gegen den "Veitstanz"

Neurologie.- Autopsien verstorbener Hungtington-Patienten belegen: Transplantierte Gehirnzellen können die fortschreitende Zerstörung der grauen Zellen nicht aufhalten.

Von Kristin Raabe | 21.07.2009
    Vor etwa zehn Jahren pflanzte der Neurochirurg Thomas Freemann von der Universität von Südflorida sechs Huntington-Patienten neue Nervenzellen in ihr bereits erkranktes Gehirn ein. Das neue Hirngewebe stammte von Embryonen und sollte die durch die Krankheit zerstörten Zellen ersetzen. Über einen Zeitraum von zwei Jahren schien es einigen der Patienten ein klein wenig besser zu gehen. Ein deutlich messbarer Erfolg zeigte sich allerdings nicht und so beendete Thomas Freemann seine Studie nach dem sechsten Patienten. Die meisten seiner Studienteilnehmer sind inzwischen an der Krankheit verstorben. Das ermöglichte es dem amerikanischen Arzt nun allerdings, in einer Autopsie Gewebeproben zu entnehmen, um zu erforschen, was aus den transplantierten Zellen geworden ist:

    "Wir haben herausgefunden, dass das transplantierte Nervengewebe dieselben Degenerationserscheinungen aufwies, wie es auch für die Huntington-Krankeit selbst typisch ist. Es waren genau dieselben Zelltypen betroffen."

    Mit diesem Ergebnis hatten Thomas Freeman und seine Kollegen von der Universität Laval in Quebec nicht gerechnet. Die transplantierten Zellen verfügten nicht über das Gen, das die Huntington-Krankheit auslöste. Folglich hätten sie eigentlich überleben müssen, zumal sie sich ganz gut in das Empfängergehirn integriert zu haben schienen. Thomas Freemann hatte sie in das sogenannte Striatum transplantiert, jenen Hirnteil, der zuerst von der Huntington-Krankheit angegriffen wird.

    "Wir haben uns die genetischen Marker für das Huntington-Eiweiß angeschaut, konnten sie allerdings im transplantierten Gewebe nicht nachweisen, obwohl es doch die Krankheitssymptome aufwies. Wo also war das abnormale Gen aktiv? Wir fanden es schließlich in Schicht fünf der Großhirnrinde. Die Nervenzellen dort haben Verbindung zum Striatum. Dabei benutzen sie den Botenstoff Glutamat, der auf manche Zellen toxisch wirken kann. Diese Verbindung könnte also für die Zerstörung der transplantierten Zellen im Striatum verantwortlich sein. Möglicherweise findet bei der Huntington-Krankheit selbst ein ganz ähnlicher Mechanismus statt. Die Krankheit geht von der Großhirnrinde aus und greift von dort aus das Striatum an, wo bei der Huntington-Krankheit die ersten zerstörten Zellen beobachtet werden."

    Ergebnisse aus Tierversuchen sprechen für diesen Krankheitsmechanismus. Thomas Freeman und seine Kollegen konnten allerdings nun zum ersten Mal beim Menschen Hinweise finden, dass die Huntington Krankheit von der Großhirnrinde ausgeht. Mit dieser Erkenntnis lässt sich in Zukunft vielleicht auch eine neue Therapie entwickeln. Auch wenn seine Gewebetransplantation den Patienten nicht helfen konnte, setzt Thomas Freeman durchaus Hoffnungen in andere Zelltherapien.

    "Wir glauben, dass die Immunreaktion zum Scheitern unserer Therapie beigetragen hat. Wenn man jetzt aber nur einzelne Stammzellen transplantiert, anstatt ein ganzes Gewebestück, bekommt man keine so starke Immunreaktion auf das transplantierte Gewebe. Es käme nicht zu so einer starken Entzündung. Außerdem wären andere Typen von Zellen vielleicht auch eher immun gegen den Angriff der Nervenenden aus der Großhirnrinde. Aber alle diese Fragen müssen erstmal gründlich im Labor untersucht werden, bevor sie in der Klinik angewandt werden dürfen."

    Auch Therapien, die mit Wachstumsfaktoren arbeiten, könnten Huntington-Patienten in Zukunft helfen, meint Thomas Freeman. In jedem Fall wird es allerdings noch Jahre dauern, bis die Betroffenen auf Heilung hoffen dürfen.