Samstag, 20. April 2024

Archiv


Kampf gegen die Langeweile

Ende gut, alles gut - aus dieser Redensart hat Rosemarie Marschner ein Rezept für ihren Roman gemacht. Als Ergebnis serviert sie leichte Kost, so süß und klebrig, dass sie doch etwas schwer im Magen liegt:

Von Eva-Maria Mesken | 06.05.2005
    " Als man ihren Sarg in die Erde senkte, flammten die Blitzlichter auf und surrten die Fernsehkameras. Reden wurden gehalten, Nachrufe, die ihre Weitsicht rühmten, ihr politisches Verständnis, ihre Unbestechlichkeit und die Klarheit ihrer Sprache. Ein gelungenes Leben, hieß es überall. Geradlinig wie sie selbst. Ein Mensch, der von vielen verehrt worden war. Ein Beispiel und Vorbild.

    " Eine vorbildliche Journalistin im Alter, ein fleißiges Dienstmädchen in der Jugend: Das ist Marie, die untadelige Heldin des Romans. Doch bevor sie zu Grabe getragen werden kann, müssen sich die Leser durch mehr als vierhundert Seiten kämpfen. Und das ist ein Kampf gegen die Langeweile. Denn Marschner hat ihre Geschichte im Österreich der dreißiger Jahre angesiedelt und mit einem Personal bevölkert, das in jedem Trivialroman auf den Plan tritt: Eine gute Köchin, eine eitle Hausherrin und ihr Gatte, eine verwöhnte Tochter und ein Großvater, dem das Dienstmädchen Marie im so genannten "Bücherzimmer" die Zeitung vorlesen darf. Im Lauf der Jahre verliebt sich Marie in einen jüdischen Fabrikantensohn, heiratet aber einen Bäcker und leidet unter ihrer Schwiegermutter. Besonders bewegend ist diese Geschichte nicht. Aber das liegt weniger am Plot, als vielmehr an den Romanfiguren, die nicht besonders lebensecht wirken. In Marschners Welt sind die Menschen gut oder schlecht, schwarz oder weiß:

    " Richard Ohnesorg versuchte, Elvira aufzuhelfen, aber sie stieß ihn von sich. Als sie dann auch noch Marie erblickte, erstarrte sie. Beschämt und noch wütender als zuvor, sprang sie auf - plötzlich wieder unverletzt - und klopfte sich den vermeintlichen Staub von der Kleidung. "Was machst Du denn hier?" rief sie mürrisch. "Gibt es im Haus nichts zu tun?" Marie blieb stehen: "Ihr Herr Großvater schläft", erklärte sie mit ruhiger Stimme, "darum habe ich Zeit für einen Spaziergang um den See." Elvira konnte sich nicht bezähmen. "Spaziergang! Seit wann gehen Dienstmädchen denn spazieren?"

    " Marschners Heldin Marie soll ein unkonventionelles Mädchen sein, ist dafür aber ziemlich konventionell geraten. Sie ist wissbegierig, war bereits als Kind Klassenbeste, eignet sich mühelos jede Sportart an und ist "so flink und geschickt, dass alle sich wunderten", schreibt Marschner. Alle. Auch die Leser. Denn die Protagonistin ist ein solches Bündel hervorragender Eigenschaften, dass ihre viel beschworene Außenseiterposition abwegig erscheint. Begründet wird dieses am Rande stehen mit Maries unehelicher Herkunft. Ihre Mutter wurde sehr jung schwanger und nach Maries Geburt von den Dorfbewohnern ausgegrenzt. Über ihre Reinheit besteht trotzdem kein Zweifel:

    " […] Marie fing an zu begreifen, was damals geschehen war. Sie sah ihre Mutter - das hübsche, braungebrannte Mädchen mit dem hellen Haar, zierlich wie eine kleine Elfe und einfach und ehrlich wie das klare Wasser draußen an der Quelle.

    " Diese Vergleiche und diese Sprache sind eine weitere Schwäche des Romans. Marschner entscheidet sich immer für das Nächstliegende. Romanfiguren werden "weiß wie die Kacheln an der Wand" oder "rot vor Zorn". Zorn ist heiß und flammend, Ufer und Auwälder sind lieblich, Fenster leuchten golden wie Sterne. Deshalb klingen die Sätze mitunter wie aus einem Kitschroman. Und darüber kann auch der historische Kontext nicht hinwegtrösten. Die Beschreibung der Nationalsozialisten beschränkt sich auf gängige Plattitüden:

    " Eine Handvoll Männer von obskurer Herkunft und lückenhafter Bildung maßte sich an, gottähnlich zu erschaffen, zu formen und auszumerzen. Tausend Jahre - ob sie wirklich selbst daran glaubten? Wozu aber dann diese Hast, mit der sie ihre Ideen, dahergeflattert wie verwirrte Vögel, in die Tat umsetzten, ohne sie zu prüfen und ihre Ausführung sorgfältig zu planen? Hatten sie etwa Angst, über das nachzudenken, was sie zu tun befahlen? Oder waren sie einfach nicht klug genug, das Ende zu bedenken?

    " Obwohl Rosemarie Marschner den Anschluss Österreichs an Nazi-Deutschland in ihrem Roman ebenso beschreibt wie Umsiedlungen für ein von Göring geplantes Hüttenwerk, wird ihre heile Alpenwelt nicht wirklich erschüttert:

    " Ein fleißiger Menschenschlag hatte stets hier gelebt, der es sich trotzdem gerne gut gehen ließ. Keine Ideologen und keine Fanatiker. Keine Krieger. Die Männer lustig und unter Alkoholeinfluss ein wenig streitbar; die Frauen mollig, kokett und bodenständig.

    " In so einer molligen Welt steht außer Frage, dass am Ende alles gut werden muss. Als die uneheliche Marie von ihrer Schwiegermutter bei der Gestapo denunziert wird, besinnt sie sich auf ihren Vater - praktischerweise ein berühmter Anwalt. Der kennt seine Tochter nicht, nimmt ihre Rettung aber sofort in die Hand und schickt ihr einen charmanten Junganwalt, der sie vor dem KZ bewahrt, ihre Scheidung einleitet und ihr Lebensgefährte wird. Marschner spart hier nicht mit Zuckerguss. Nur ein paar Fragen lässt sie am Ende noch offen. Zum Beispiel, was die Heldin eigentlich treibt, bevor sie als Journalistin so eindrucksvoll beigesetzt wird. Vielleicht hat sich die Autorin diese Lebensphase für die Fortsetzung ihres Romans aufgehoben, die im November erscheinen soll. Fast möchte man ihr wünschen, dass sie bis dahin ein anderes Romanrezept gefunden hat.