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Kampf gegen IS
"Das irakische Militär ist kaum einsatzfähig"

Der Nahost-Experte Guido Steinberg teilt die Kritik an der mangelnden Motivation irakischer Soldaten - und kann die Gründe dafür auch nachvollziehen. Denn die Soldaten seien nicht gewillt, für eine korrupte Regierung zu kämpfen, sagte er im DLF.

Guido Steinberg im Gespräch mit Christine Heuer | 26.05.2015
    Der Nahost-Experte Guido Steinberg
    Der Nahost-Experte Guido Steinberg (Imago / Müller-Stauffenberg)
    Christine Heuer: US-Verteidigungsminister Ashton Carter wirft den irakischen Soldaten im Kampf gegen den IS mangelnden Kampfeswillen vor. Bagdad reagiert sauer, US-Vizepräsident Joe Biden versucht jetzt, die Wogen wieder zu glätten. Und am Telefon ist Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik, Autor unter anderem des Buches "Kalifat des Grauens" (Anm. der Red.: Richtig ist "Kalifat des Schreckens") über den Islamischen Staat. Guten Morgen, Herr Steinberg!
    Guido Steinberg: Guten Morgen, Frau Heuer!
    Heuer: Washington reißt allmählich der Geduldsfaden. Ist das irakische Militär wirklich so schwach, wie der Minister Carter sagt?
    Steinberg: Ja, das ist tatsächlich so. Das irakische Militär ist kaum einsatzfähig und man hat das im letzten Jahr immer wieder gesehen bei der Eroberung von Mossul durch IS, jetzt bei der Eroberung von Ramadi. Das hat allerdings durchaus seinen Grund. Die Soldaten sind nicht motiviert, für eine Regierung, für eine politische Elite zu kämpfen, die ausgesprochen korrupt ist. Die Führung des Militärs wird auch nicht nach militärischen Erwägungen ausgewählt, sondern da werden Günstlinge des Ministerpräsidenten und der Politik untergebracht und das führt insgesamt dazu, dass das irakische Militär tatsächlich sehr, sehr wenig wert ist.
    "Luftangriffe laufen etwas ins Leere"
    Heuer: Wie kann man das ändern?
    Steinberg: Das irakische Militär braucht eine ganz, ganz grundlegende Reform. Ich bin allerdings insgesamt sehr skeptisch, dass das funktionieren wird mit der politischen Elite in Bagdad. Der Irak ist eines der korruptesten Länder der Welt, und das bei ganz beträchtlichen Öleinnahmen. Und das wissen natürlich die Soldaten und deshalb sind sie so wenig motiviert. Und ich glaube, dass mit dieser Regierung es tatsächlich sehr, sehr schwierig werden wird, den Islamischen Staat effektiv zu bekämpfen.
    Heuer: Der Irak setzt ja bereits schiitische Milizen ein, zusätzlich zu den Soldaten. Die USA möchten, dass er auch noch sunnitische Milizen gegen den IS losschickt. Würde das irgendetwas an der Ausgangslage verändern?
    Steinberg: Ja, das würde tatsächlich etwas verändern. Das große Problem liegt ja in der irakischen Politik. Wir haben eine Regierung dort, die sehr, sehr stark schiitisch dominiert ist und die in den letzten Jahren alles getan hat, die Sunniten aus der Politik des Landes auszuschließen. Die hat sogar Angehörige ehemaliger sunnitischer Milizen, die mit den Amerikanern zusammengearbeitet haben, zwischen 2006 und 2010, verfolgt. Und ein großer Erfolg oder ein Zurückdrängen des IS wird nur möglich sein mit Teilen der sunnitischen Bevölkerung. Da lässt aber Bagdad im Moment tatsächlich jegliche Initiative vermissen und ich denke, das ist tatsächlich eher der Hintergrund dieser doch sehr frustrierten Äußerungen von Verteidigungsminister Carter. Es fehlt der politische Ansatz, der eine effektive Bekämpfung von IS am Boden möglich machen könnte. Und deswegen laufen die Luftangriffe der Amerikaner und ihrer Verbündeten doch etwas ins Leere.
    "Bagdad muss Abstand vom Iran nehmen"
    Heuer:!! Der Irak, höre ich aus allem, was Sie antworten, heraus, fällt aus. Nun sagt der Iran, die US-Soldaten, die im Irak stationiert sind, die sollen doch eingreifen. Warum eigentlich nicht, Herr Steinberg?
    Steinberg: Nun, weil die Amerikaner die bittere Erfahrung gemacht haben, dass sie nicht in der Lage sind, in den sunnitischen Gebieten des Westen und Nordwesten Iraks effektiv zu operieren, wenn sie nicht die Unterstützung eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung haben. Und diese Unterstützung werden sie nur gewinnen, wenn die irakische Regierung ihre Politik gegenüber den Sunniten im Land ändert. Und dazu gehört natürlich auch, dass Bagdad etwas Abstand vom Iran nimmt, dass Bagdad keine schiitischen Milizen einsetzt, vor denen sich die Sunniten ganz besonders fürchten. Insofern sind diese iranischen Bemerkungen doch etwas scheinheilig. Die Amerikaner sind gut da beraten, wenn sie keine Bodentruppen schicken. Letzten Endes gibt es nur Aussicht auf Erfolg in einem Bodenkampf gegen den IS, wenn sunnitische Milizen, sunnitische Einheiten, gegebenenfalls eine Nationalgarde, wie die Amerikaner das planen, die Hauptlast des Kampfes übernehmen.
    Heuer: Wäre es eine Idee, Spezialeinheiten der USA zu schicken, die so etwas wenigstens unterstützen könnten?
    Steinberg: Ja, das ist eine Zwischenlösung, die im Moment in Washington sehr intensiv diskutiert wird. Das große Problem daran ist, dass das irakische Militär nicht verlässlich ist. Und wenn jetzt amerikanische Spezialkräfte mit den Irakern in den Kampf ziehen, dann müssen sie da doch einige Verluste in Kauf nehmen. Und das will die amerikanische Regierung nicht. Wir wissen ja, dass Obama sehr, sehr skeptisch gegenüber dem Irak-Einsatz insgesamt war und dass es gewissermaßen zu seinem politischen Credo gehört, keine Bodentruppen zu schicken. Und ich denke, dass auch der verstärkte Einsatz von Spezialkräften erst kommen wird, wenn sich Bagdad bewegt.
    "Es gibt keine moralisch einwandfreie Lösung"
    Heuer: Herr Steinberg, Sie setzen auf die Milizen, zumal auf die sunnitischen, damit da ein Ausgleich stattfindet zwischen Schiiten und Sunniten im irakischen, naja, erweiterten Militär, sage ich mal. Milizen, was heißt denn das eigentlich? Sind das nicht auch Terroristen?
    Steinberg: Ja, zumindest wenn man sich die schiitischen Milizen anschaut, dann ist das sicherlich der Fall. Wir haben es dort mit iranisch ausgebildeten Gruppierungen zu tun, die in den letzten Jahren immer wieder mit terroristischen Aktivitäten gegen die amerikanischen Besatzungstruppen bis 2011 aufgefallen sind, aber auch mit terroristischen Aktivitäten gegen die sunnitische Zivilbevölkerung. Und das macht diese Strategie der irakischen Regierung so problematisch, die ja vor allem auf schiitische Milizen setzt. Bei den sunnitischen Milizen war das wohl auch so, das waren ehemalige Aufständische, die ab 2006 den Kampf gegen die Amerikaner aufgaben und vorher natürlich auch für terroristische Aktivitäten verantwortlich waren. Es gibt da keine ganz saubere und keine moralisch einwandfreie Lösung. Es gibt tatsächlich nur Bemühungen der Amerikaner, etwas effektiver vorzugehen.
    Heuer: Herr Steinberg, zum Schluss Ihre Prognose: Ist der IS militärisch noch aufzuhalten?
    Steinberg: Ja, ich denke schon, dass es Hinweise darauf gibt, dass die Expansion des IS gebremst ist. Und man sollte sich tatsächlich auch von den Erfolgen in Palmyra und in Ramadi nicht täuschen lassen, die ganz großen Erfolge des Jahres 2014 wird die Organisation nicht mehr wiederholen können. Aber ich denke, wir müssen uns darauf einstellen, dass auch die amerikanischen Prognosen, dass das vielleicht noch drei Jahre dauert, bis die Organisation zurückgedrängt ist, dass die doch sehr optimistisch sind. Es wird wahrscheinlich länger dauern und wir müssen uns darauf einstellen, dass der Irak nicht in der Lage ist, dieses Problem zu lösen, und dass die amerikanischen und alliierten Luftangriffe sehr, sehr lange weitergehen, ohne das Problem zu lösen. Sie werden das Problem ganz einfach nur eindämmen helfen.
    Heuer: Guido Steinberg von der Stiftung Wissenschaft und Politik in Berlin. Ich danke Ihnen für das Gespräch heute früh!
    Steinberg: Ich danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.