Kein Geld für gutes Wohnen

DDR-Altschulden lasten auf Wohnungsunternehmen

09:58 Minuten
Ein etwa 100 Tonnen schwerer Spezialbagger reißt ein zehngeschossiges Wohnhaus ab. Die städtische Wohnungsgesellschaft Schwerin (WGS) lässt insgesamt drei Plattenbau-Hochhäuser mit zusammen 855 Wohnungen im Stadtteil Lankow abreißen.
855 Wohnungen, einfach abgerissen: Die Hochhäuser in Schwerin-Lankow standen etwa zur Hälfte leer. © picture alliance / Jens Büttner / dpa-Zentralbild / dpa
Von Silke Hasselmann · 23.08.2019
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Weder für Fahrstühle noch für Spielplätze ist Geld da: Kommunale Wohnungsunternehmen in den neuen Bundesländern können wegen hoher DDR-Altschulden kaum investieren. Was das für die Bürger bedeutet, zeigen Beispiele aus Mecklenburg-Vorpommern.
Schwerin, Frühjahr 2018: Der Abbruchleiter Norbert Pfeiffer steht mit wetterfester Jacke in Signalorange am Zaun seiner damaligen Baustelle. Oder besser: Rückbaustelle. "Wir stehen hier in dem wunderschönen Stadtteil Lankow der Landeshauptstadt Schwerin und befinden uns jetzt in der Eutiner Straße 1-2", sagt Pfeiffer. 1968 wurde hier ein zehngeschossiger Block mit knapp 300 kleinen Wohnungen errichtet. Nun verwandeln wuchtige Hydraulikbagger den Plattenbau im Auftrag der Schweriner Wohnungsgesellschaft (WGS) zu Hartbetonschutt.
"Was den Bautyp angeht, ist das einer von denen, die zu DDR-Zeiten konzipiert wurden. Das ist ein sogenannter Tafelbau", erklärt Pfeiffer. "Der ist relativ einfach zurückzubauen, jedenfalls mit dieser Technologie, die wir hier anwenden sollen. Das ist das sogenannte Eindrücken."

Hochhäuser ohne Bewohner

Heute erinnern nur noch drei Rasenflächen an die Grundrisse der einstigen Hochhäuser: 855 kommunale Wohnungen ersatzlos vernichtet – den Grund dafür erläutert WGS-Geschäftsführer Thomas Köchig so:
"Wir hatten als WGS in den drei Hochhäusern einen Leerstand, der lag regelmäßig bei über 50 Prozent. Das war also nicht stark nachgefragter Wohnraum; sehr kleine Appartements. Und ja, dieser Leerstand produziert Kosten. In dem Moment, in dem keine Mieter mehr drin sind, zahlt die Wohnungsgesellschaft die Kosten. Angefangen von Grundsteuern, Versicherungen – das läuft ja alles weiter, bis der Letzte raus ist. Wir hatten allein auf einem Hochhaus 900.000 Euro echte Kosten pro Jahr. Da können Sie sich vorstellen, wenn Sie drei davon haben, das kann die Existenz der ganzen Firma gefährden."
Als die Abrissentscheidung fiel, blickte das mit 10.500 Wohneinheiten zweitgrößte kommunale Wohnungsunternehmen in Mecklenburg-Vorpommern auf insgesamt 18 Prozent Leerstand. Das heißt, knapp jede fünfte Wohnung der stadteigenen Gesellschaft brachte keine Mieteinnahmen. Ein weiteres Problem kam hinzu, berichtet Köchig:
"Wir konnten auch nicht so viel instand setzen – das wollen wir auch nicht verhehlen –, weil wir ein Altproblem haben wie viele Wohnungsgesellschaften der neuen Bundesländer, die nicht aus Versehen in Potsdam und Berlin stehen. Bei uns ist es nämlich so, dass wir Altschulden haben. Beim Übergang in die Bundesrepublik ging es einfach darum, diese Gebäude zu bewerten, sie in die Bilanzen zu nehmen. Da hat man gesagt: 'Naja, die Wohnungen sind nachhaltig, die sind was wert!' Dann hat sich herausgestellt, es war nicht an dem. Und diese Schulden, die da drauf liegen, die schleppen wir heute noch mit uns herum. Wir waren eigentlich in einer Negativspirale, die einfach galt irgendwann zu unterbrechen. Im Moment reden wir von deutlich über 200 Millionen Euro Schulden."

Schulden lassen sich nicht abreißen

Mit einem Abriss verschwinden die Häuser und laufende Betriebskosten auch. Mit ihnen verbundene Schulden aber bleiben. Das weiß auch Andreas Breitner, einst Innenminister von Schleswig-Holstein und nun Direktor des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW). Diesem Verband gehören auch 73 kommunale Gesellschaften und 69 Wohnungsbaugenossenschaften aus Mecklenburg-Vorpommern an.
"Also das begegnet uns, wenn wir als Prüfungsverband in die Bilanzen unserer Mitgliedsunternehmen gucken", berichtet Breitner. "Wenn wir sie steuerlich beraten. Wenn wir feststellen, dass notwendige Investitionen in die demografische Ausgestaltung der Wohnungen oder in die energetische Sanierung ausbleiben und wir fragen: ‚Woran liegt das denn?‘ Dann erklärt sich das oft dadurch, dass die Unternehmen noch sehr stark durch uralte Schulden belastet sind."

Vier Milliarden Euro Altschulden

Diese Altschulden stammen vor allem aus Krediten, mit denen die DDR-Staatsbank das sozialistische Wohnungsbauprogramm finanzieren und zugleich die politisch gewollten Niedrigmieten quersubventionieren sollte.
Statt diese eher virtuellen Verbindlichkeiten 1990 per Einigungsvertrag zu streichen wie in anderen Branchen geschehen, wurden sie auf die kommunalen Wohnungsgesellschaften und Genossenschaften übertragen. Die Tilgungsraten fließen seitdem an die Deutsche Kreditbank, die die Bücher der DDR-Staatsbank übernommen hatte – bis heute für sie ein sehr einträgliches Geschäft.
"Also in Mecklenburg-Vorpommern haben die VNW-Mitgliedsunternehmen – das sind die Genossenschaften und die kommunalen Unternehmen – immer noch, Stand heute, 435 Millionen Euro Altschulden", sagt Andreas Breitner vom Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen. "Insgesamt sind es noch vier Milliarden Euro, die an Altschulden vorhanden sind in allen fünf neuen Bundesländern. Und das belastet sie enorm und hemmt sehr stark Investitionen."

Leere "LPG-Häuser" in Nordwestmecklenburg

Beispiel: die Wohnungsgesellschaft Radegast mit Hauptsitz in Gadebusch.
"Wohnungsgesellschaft, Post. Guten Tag!" So meldet sich Heike Post üblicherweise, wenn sie im Dienst ist. Derzeit im Urlaub, steht sie dennoch für ein Telefongespräch über die Lage der vier kommunalen Wohnungsunternehmen im Landkreis Nordwestmecklenburg bereit, die sie als Geschäftsführerin der gemeinsamen Wohnungsgesellschaft Radegast verwaltet. Gesellschafter sind fünf Städten mit ihren zu DDR-Zeiten entstandenen Plattenbausiedlungen und 25 Dörfer.
Wie fast überall in den agrarisch geprägten Regionen stellten die Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften auch hier in jedes Dorf wenigstens einen Drei- oder Viergeschosser für ihre Mitarbeiter – sogenannte "LPG-Häuser", die heute am meisten von Leerstand geprägt sind.
"Diese vier Unternehmen haben mal 14 Millionen Euro Altschulden gehabt", erzählt Heike Post. "Es gab in den 90er Jahren die Möglichkeit, Teilentlastungen für diese Altschulden zu bekommen. Das haben, denke ich, alle Wohnungsunternehmen in Anspruch genommen. Aber die Bestände, die man zu einem Stichtag X noch behielt, bekamen einfach 150 D-Mark je Quadratmeter als Schulden aufgebrummt, obwohl die Häuser 10, 20, 30, 40 und 50 Jahre alt waren zum Zeitpunkt der Wende. Das heißt, wir sind mit maroden Häusern und Schulden gestartet."

Kredite für die Sanierung

Im Bestand der Wohnungsgesellschaft Radegast befinden sich noch 140 Häuser, auf denen DDR-Altschulden lasten. Bislang sind sechs der ursprünglich 14 Millionen Euro getilgt. Plus Zinsen, versteht sich. Aktuell stehen also noch immer acht Millionen DDR-Altschulden in den Büchern.
"Nach Adam Riese ist noch nicht einmal die Hälfte bezahlt, obwohl wir schon dreißig Jahre nach der Wende sind", bilanziert Geschäftsführerin Heike Post. "Und wir werden auch noch 25 Jahre weiterbezahlen."
Natürlich müsse man auch noch Kredite bedienen, die man nach der Wende für die Sanierung des Bestandes aufgenommen hat, sagt Post. Doch allein die verbliebenen acht Millionen Euro an DDR-Altschulden entziehen den vier kommunalen Wohnungsunternehmen jährlich eine Investitionskraft von 600.000 bis 700.000 Euro.

Kein Geld für Fahrstühle und Spielplätze

Was sie mit dem Geld tun würden, müssten sie die DDR-Altschulden nicht mehr bedienen? Darüber muss Heike Post nicht lange nachdenken.
"Fahrstuhl, finde ich, ist etwas für alle. Eine junge Mutti, die ihr Baby oder Kleinkind in den vierten Stock tragen muss, freut sich ganz genauso über einen Fahrstuhl wie eine ältere Dame, die so von oben schön gucken kann, was sie sonst nicht könnte. Also, Fahrstühle würde ich anbauen.
Ich würde auch der zweiten Sanierungswelle gelassener entgegensehen, einfach auch Wohnungszuschnittsveränderungen machen, die in den Plattenwohnungen gut möglich sind. Die Platte ist etwas ganz Tolles. Die kann man nämlich sehr schön umbauen und den neuen Bedingungen anpassen. Und ich würde sehr gern ein paar mehr Spielplätze bauen, muss ich auch sagen. "
Das höre er von allen kommunalen und genossenschaftlichen Unternehmen, sagt Andreas Breitner, Direktor des Verbandes Norddeutscher Wohnungsunternehmen und damit auch zuständig Mecklenburg-Vorpommern.
"Nun, durch Federstriche ist im Einigungsvertrag vieles geregelt worden; das nun leider nicht und die Folge hält jetzt 30 Jahre an. Insofern finde ich es eher einen Skandal, das heute Wohnungsunternehmen, die es eh schon schwer genug haben – zum Beispiel in Vorpommern – einfach nicht flexibel und wirtschaftlich agieren können. Die sind in den Fesseln ihrer Altschulden gefangen. Und da suchen wir gerade den Schlüssel."

Hilfe beim Schuldenabbau

An der Suche beteiligt sich auch eine Kommission "Gleichwertige Lebensverhältnisse", unlängst eingerichtet von drei Bundesministerien und dem Kanzleramt. Gut so, meint der frühere SPD-Landespolitiker Breitner, denn:
"In dieser Kommission geht es auch um DDR-Altschulden. Avisiert sind 200 Millionen Euro Hilfe. Das wäre ja schon mal was. Und das Land Mecklenburg-Vorpommern muss ich besonders positiv erwähnen, weil die nicht nur allein auf die Hilfe des Bundes setzen, sondern sich auch schon damit befasst haben, was ist, wenn vom Bund nichts kommt."
Tatsächlich sieht ein Gesetzesentwurf der Schweriner SPD-CDU-Landesregierung vor, im Rahmen des "kommunalen Finanzausgleiches" 35 Millionen Euro als DDR-Altschuldenhilfe bereitzustellen. Dieses Geld könnte nach jetzigem Stand nur unter den kommunalen Gesellschaften aufgeteilt werden. Die Wohnungsbaugenossenschaften sind außen vor. Man suche bereits gemeinsam nach einer Lösung, so Verbandschef Andreas Breitner:
"Vorrangig sehen wir aber den Bund in der Pflicht. Wenn das passiert und möglicherweise verstetigt werden kann, bin ich guten Mutes, dass wir in zehn Jahren über dieses Problem nicht mehr reden müssen."
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