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Kampf gegen IS-Terror
"Libyen könnte neues Epizentrum des Terrorismus werden"

Die Terrormiliz "Islamischer Staat" bekomme immer mehr Ableger, sagte Guido Steinberg, Nahost- und Terrorismusexperte im DLF. Das lasse die Sorge zu, dass der IS ein internationales Netzwerk aufbaue und dadurch enorm gestärkt werde. Der Westen müsse sunnitische Verbündete vor Ort finden.

Guido Steinberg im Gespräch mit Peter Kapern | 17.02.2015
    Guido Steinberg, Terrorismus- und IS-Experte, von der Stiftung Wissenschaft und Politik in einer Talkrunde
    Guido Steinberg, Terrorismus- und IS-Experte, von der Stiftung Wissenschaft und Politik (dpa / picture alliance / Karlheinz Schindler)
    Steinberg sagte weiter, die Luftangriffe der "Koalition der Willigen" seien nicht effektiv. "Man braucht die Bodentruppen", an diesen mangele es aber. Im Irak benötige man arabische Sunniten, um den IS wirksam zu bekämpfen. Die gebe es aber nicht. Auch in Syrien brauche man aufständische arabische Sunniten, mit denen man zusammenarbeiten könne. "Im Moment zeichnet sich ab, dass man nur sehr schlechte Verbündete hat, nämlich die Kurden oder auch schiitische Milizen, mit denen man in sunnitischen Gebieten tatsächlich IS nicht erfolgreich bekämpfen kann." Deswegen werde sich die Terrororganisation noch weiter ausbreiten in der arabischen Welt.
    Derzeit gebe es Ableger des IS in Ägypten, im Jemen, in Algerien und Afghanistan. "Das lässt zumindest die Sorge zu, dass IS ein internationales Netzwerk aufbaut so wie Al-Kaida nach 2001 und dadurch enorm gestärkt wird." Steinberg sagte, es sei zwar wünschenswert, wenn der Kampf gegen den IS auch auf Libyen ausgeweitet werde. "Es ist wohl so, dass Libyen in Nordafrika das neue Epizentrum des dschihadistischen Terrorismus werden könnte." Allerdings gebe es dort keine möglichen Verbündeten. Die europäische und amerikanische Politik sei vollkommen ratlos. Ein erster Schritt könne sein, den Nachbarstaat Tunesien zu stabilisieren.

    Das Interview in voller Länge:
    Peter Kapern: Der Papst ist empört und Volker Kauder, der Fraktionschef der Union im Bundestag auch. Empört wegen der Ermordung von 21 koptischen Christen in Libyen. Sie waren Gastarbeiter aus Ägypten, die Ende vergangenen Jahres entführt und nun bestialisch ermordet wurden, und zwar vom IS, vom sogenannten Islamischen Staat, der auch in Libyen über militante Kämpfer verfügt.
    Die Antwort der ägyptischen Regierung ließ nicht lange auf sich warten. Präsident Abdel Fattah al-Sisi schickte seine Luftwaffe los, um Stellungen und Camps der IS-Milizen zu bombardieren. Dutzende der Steinzeit-Islamisten sollen dabei ums Leben gekommen sein.
    Und bei uns am Telefon ist jetzt Guido Steinberg, der Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Guten Tag, Herr Steinberg!
    Guido Steinberg: Guten Tag, Herr Kapern!
    Kapern: Der IS jetzt auch in Libyen. Wie kommt er dahin?
    Steinberg: Das ist die große Frage, die auch unter Experten höchst umstritten ist. Ich hatte bisher immer den Eindruck, dass es da kleinere Gruppen gibt, die aufgrund des so großen Erfolges von IS in Irak und Syrien einfach mal sagen, wir sind jetzt IS.
    Es zeigt sich allerdings in den letzten Wochen und Monaten, dass es doch mehr als reine Absichtserklärungen sind dieser kleineren Gruppierungen. Das sind mittlerweile in Libyen drei, die sich dem IS angeschlossen haben. Und es scheint so, als hätten die doch einige Kontakte, als würden die unterstützt. Und das gilt eben nicht nur für Libyen, sondern wir haben jetzt, wie wir auch eben gehört haben, einen IS-Ableger in Ägypten, wir haben einen kleinen im Jemen, einen kleinen in Algerien, einen in Afghanistan. Und das lässt doch zumindest die Sorge zu, dass die Organisation IS ein internationales Netzwerk aufbaut, so wie Al Kaida nach 2001, und dadurch enorm gestärkt wird.
    Bündnisse machen "die militärischen Aktivitäten dieser einzelnen Gruppen sehr, sehr viel effektiver"
    Kapern: Sie haben es gerade gesagt, Herr Steinberg, wo überall Terrororganisationen sich plötzlich auf den IS berufen.
    Das klingt ja fast so, als würden Dschihadisten das Trikot wechseln wie Fußballprofis im europäischen Fußball und mal für diese, mal für jene Terrororganisation in den Kampf ziehen. Nach welcher Logik, nach welchen Kriterien wird da eigentlich entschieden?
    Steinberg: Nun, es geht da zunächst nach dem Erfolg. Und der Vergleich mit dem Fußball ist durchaus treffend.
    Man konnte nach 2001 beobachten, dass es ein sogenanntes Ablegernetzwerk gab, das sich entwickelte. Und zwar mit der Entstehung eines Ablegers in Saudi-Arabien 2003, dann im Irak 2004 und so weiter. Und da schien es oft darum zu gehen, dass man, wenn man dieses Label Al Kaida übernahm, man Zugriff auf Rekruten vor allem aus der Golfregion bekam, aber auch aus der ganzen Welt, und auf die Finanzierungsnetzwerke. Und so ähnlich scheint es bei IS auch zu sein.
    Es gibt mittlerweile recht detaillierte Nachrichten darüber, dass der ägyptische IS-Ableger durchaus Delegationen in den Islamischen Staat in Irak und Syrien entsandt hat, daraufhin beispielsweise finanzielle Unterstützung erhielt. Und seitdem er zu IS gehört, ist diese Einheit, die vor allem auf dem Sinai unter dem Namen Provinz Sinai, also Provinz des Islamischen Staates agiert, wesentlich effektiver geworden. Und das ist auch die große Gefahr, das deutet sich auch in Libyen an, vor allem, wenn man sich das Video betrachtet, auf dem diese 21 koptischen Geiseln ermordet werden.
    Da stellt man nämlich fest, dass das auch in der Öffentlichkeitsarbeit, in der technischen Ausarbeitung so gut ist wie auch die anderen Videos des IS, das verweist darauf, dass es da tatsächlich eine effektive Zusammenarbeit zwischen den Organisationen gibt. Also kurz: Das macht dieses Bündnis, macht die Öffentlichkeitsarbeit, aber auch die militärischen Aktivitäten dieser einzelnen Gruppen sehr, sehr viel effektiver.
    Europäische und amerikanische Politik in der Syrien-Frage "vollkommen ratlos"
    Kapern: Sieht ja nun ganz so aus, Herr Steinberg, als sei Libyen ein genauso zerfallener Staat wie jene Bereiche des Irak oder Syriens, die vom IS kontrolliert werden. Muss der Kampf gegen den IS auf Libyen ausgeweitet werden?
    Steinberg: Ja, das wäre zumindest wünschenswert. Es ist wohl so, als ob Libyen in Nordafrika das neue Epizentrum des dschihadistischen Terrorismus werden könnte.
    Allerdings ist die große Frage, wie man diesen Kampf denn in Libyen führen will. Man hat ja da eine ähnliche Situation wie auch in Syrien, dass es eigentlich keinen Verbündeten für die westliche Politik gibt. Da gibt es islamistische Gruppierungen, da gibt es kriminelle Milizen und da gibt es einen ehemaligen Militär, Chalifa Haftar, der im Bündnis mit den Ägyptern, den Vereinigten Emiraten und mit Saudi-Arabien eine säkularistische Diktatur neu errichten will.
    Es ist also die große Frage, wie man dort eingreifen will. Und das ist ja auch ganz offensichtlich, dass nicht nur die europäische, sondern auch die amerikanische Politik da vollkommen ratlos ist.
    Ich denke, der erste Schritt für die Europäer wäre, die Nachbarländer zu stabilisieren, in Ägypten wird das sehr schwierig und da sind auch eher die Golfstaaten involviert, aber ich denke da vor allem an Tunesien. Das ist ja weiterhin die einzige mögliche Erfolgsgeschichte des Arabischen Frühlings.
    Die Tunesier haben große Sorge wegen dessen, was da in Libyen passiert, sie fragen immer wieder nach Waffen in Europa nach, sie fragen nach Hilfe bei der Grenzsicherung nach Libyen. Und ich denke, das wäre zumindest ein Schritt, bei dem die Europäer eine Rolle spielen können, vor allem die Sicherung der Südgrenze Tunesiens, um zu erlauben, dass das tunesische Experiment möglicherweise ein Erfolgsfall wird.
    In Libyen, denke ich, da wird der Bürgerkrieg sich noch intensivieren und das werden die Europäer leider nicht verhindern können.
    Entstehung des IS im Irak "auf politische Fehler der Regierung" zurückzuführen
    Kapern: Was hat eigentlich die Koalition der Willigen bislang im Kampf gegen den IS erreicht?
    Steinberg: Nun, sie hat den IS zumindest gestoppt und leicht zurückgedrängt. Das ist durchaus ein Erfolg, den man den Luftangriffen der Amerikaner und ihrer Verbündeten zuschreiben kann, aber auch der Unterstützung, die beispielsweise die Deutschen für die irakisch-kurdischen Truppen geleistet haben. Allerdings ...
    Kapern: Aber gleichzeitig, das haben wir gerade festgehalten, Herr Steinberg, weicht der IS verstärkt nach Libyen und auf den Sinai aus!
    Steinberg: Ja, allerdings sind diese Gruppen dort ohnehin präsent. Die schließen sich jetzt nur der Organisation an.
    Ich denke trotzdem, dass, wenn es um die Organisation im Irak und Syrien geht, wir davon ausgehen müssen, dass das immer noch eine getrennte Organisation ist, auch wenn die jetzt ein Bündnis mit anderen Gruppen eingeht. Aber das große Problem im Irak und Syrien ist, dass diese Luftangriffe jetzt an Effektivität verlieren, weil die großen Ziele alle zerstört sind. Und jetzt zeigt sich, dass man bei dieser Bekämpfung des IS auch dort nicht weiterkommt. Und da haben Sie recht: Man kommt im Irak und Syrien nicht weiter und in anderen Gebieten mehren sich die Anzeichen, dass sich Gruppierungen anschließen.
    Es wird jetzt darum gehen, Verbündete vor Ort zu finden, und das ist das große Problem. In Syrien wird das sehr, sehr schwer möglich sein, im Irak gibt es da einige Anzeichen, aber es zeigt sich da, wie auch anderswo, dass die Entstehung des IS auf politische Fehler der Regierung zurückgeht.
    Die irakische Regierung, die schiitisch geprägt ist, ist weiterhin nicht bereit, auf die Sunniten im Land zuzugehen in einer Art und Weise, die sie davon überzeugen würde, dass die irakische Regierung die bessere Alternative ist als der IS. Und ohne dass das passiert, wird es im Irak keinen großen Erfolg gegen IS geben, und ohne dass das beispielsweise in Libyen passiert, wird die Organisation dort auch stärker werden.
    "Wir werden mit dem IS noch lange zu tun haben"
    Kapern: Ganz kurz noch mal nachgefragt, Herr Steinberg, weil die Nachrichten heranrücken: Wenn Sie von Verbündeten vor Ort sprechen, die man benötigt, das ist eine Umschreibung dafür, dass es Bodentruppen braucht, um den IS zu schlagen?
    Steinberg: Ja, selbstverständlich. Man braucht die Bodentruppen, diese Luftangriffe sind nicht effektiv, und an diesen Bodentruppen mangelt es. Man braucht im Irak arabische Sunniten, um IS wirklich wirksam bekämpfen zu können. Die gibt es nicht. Man braucht in Syrien Aufständische, arabische Sunniten, mit denen man zusammenarbeiten kann. Und im Moment zeichnet sich ab, dass man nur sehr schlechte Verbünde hat, nämlich die Kurden oder auch schiitische Milizen, mit denen man in sunnitischen Gebieten tatsächlich nicht erfolgreich IS bekämpfen kann. Deswegen werden wir mit dieser Organisation lange zu tun haben. Und wir werden beobachten, dass sie auch noch weiter ausgreifen wird in der arabischen Welt.
    Kapern: Guido Steinberg, der Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Steinberg, danke, dass Sie uns mit Ihrer Expertise weitergeholfen haben! Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag und tschüss!
    Steinberg: Gleichfalls, ich danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.